juni 1995

Thomas Neuhold

ENDLICH EBERGASSING!

Wenn Haider »TATblatt« sagt, meint er alle, die bereit sind, gegen die Dritte Republik aufzustehen

Was waren das für Zeiten: Andreas Baader, Ulrike Meinhof und die ganze RAF; HausbesetzerInnen, Autonome, Vermummte im Anhang. Berufsverbote da, Bespitzelungen hier und die Polizei durfte noch bis weit in die 80er Jahre trainieren, wie gegen Grüne »Terroristen« vorzugehen sei. Ja, das waren noch Zeiten. Da war der linke Terror noch das, was er zu sein hat: Mediale Rute im bürgerlichen Nachrichtenfenster, mit der selbst den Liberalsten klargemacht werden konnte, wie notwendig der Ausbau des staatlichen Gewaltmonopols ist.

Und dann das: Nicht genug, daß RAF und Rote Brigaden nicht mehr die Rolle spielten, die man ihnen zugedacht hatte. Nein, plötzlich brannten Asylantenheime, detonierten Briefbomben, wurden Menschen durch heimtückische Sprengfallen ermordet. Söhne prominenter F-Politiker erklärten Halbwüchsigen, wie eine menschliche Kehle am schnellsten zu durchschneiden sei und ließen sich dabei auch noch filmen. Immer wieder mußte man abwiegeln, sich um Antworten herummogeln und sich im schlimmsten Fall sogar distanzieren.

Aber jetzt: Endlich Ebergassing! Jetzt ist der Terror endlich dort, wo er hingehört: Links! Welcher Teufel die Attentäter auch geritten haben mag, das Ergebnis ist eindeutig. Nach dem Versuch, in Niederösterreich eine Hochspannungsleitung mittels Sprengsatz zu unterbrechen, bekommen die Polit-Desperados von rechts Auftrieb: Wir haben es Euch immer gesagt, Links heißt Terror, brüllen sie die verunsicherten Bürger an. Und die ducken sich verängstigt ob der autonomen Drohung. Halb Wien ohne Strom? Was sind dagegen schon vier tote Zigeuner? Oder, wie die F-Führer nicht müde werden zu behaupten, vielleicht wären ja die Anschläge von Klagenfurt, Oberwart und Stinatz gar nicht der rechten Szene zuzuschreiben?

Einer, der bereits vor dem versuchten Anschlag in Ebergassing ins Visier der F geriet, ist der Wiener Journalist, Neonazi-Experte und »kunstfehler«-Autor Wolfgang Purtscheller. In gleich drei parlamentarischen Anfragen befaßten sich die F mit Purtscheller: Unter anderem wollte Jörg Haider auch wissen, warum Purtscheller für »diese Kulturzeitung in Salzburg« schreibe, wo doch der Trägerverein (die ARGE, Anm.) auch Subventionen erhalte.

Der zahnlose Angriff auf einen unabhängigen Journalisten wäre ohne Ebergassing verpufft. Jetzt avanciert Purtscheller in der Haider-Diktion zum publizistischen Unterstützer der linken Gewaltszene, deren Beziehungsgeflecht laut Haider von »Organisationen wie den Grünen«, über Anwälte, Künstler wie Peter Turrini, der KPÖ bis hin zu SOS-Mitmensch reiche.

BERÜHRUNGS- UND

BERUFSVERBOT

Ebergassing war für die F ein Geschenk. Plötzlich können all jene, die offen gegen die Entwicklung hin zur autoritären Dritten Republik Stellung beziehen, gebrandmarkt werden. Egal ob es sich um Anwälte, Künstler, Journalisten, Nationalratsabgeordnete oder Minister handelt, sie alle sollen mit dem Hinweis auf Gewalt und Terror mit einem »Berührungsverbot« belegt werden:

Der Minister, der sich beim besten Willen nicht als »unser Mann in der Regierung« feiern läßt und sogar offen gegen die F Stellung bezieht, muß abtreten.

Kritische KünstlerInnen erhalten Auftrittsverbot bei Veranstaltungen, die von der öffentlichen Hand unterstützt werden.

Unbequeme Journalisten werden kaltgestellt, indem man potentiellen Auftraggebern mit Konsequenzen im Subventionsbereich droht.

Der unsinnige Versuch von zwei Männern, »die im weiteren Sinn in der linken Szene aktiv waren« (ein TATblatt-Mitarbeiter), mit Sprengstoff einen Strommast zu knicken, endete für diese mit einem tödlichen Unfall. Für die F ist Ebergassing willkommene Munition, um von eigenen Nahverhältnissen abzulenken, vor allem aber um die Durchsetzung autoritärer Strukturen weiterzutreiben.

Wenn Haider »TATblatt« sagt, meint er andere. Letztlich all jene, die bereit sind, gegen die Dritte Republik aufzustehen. Sie alle sind das »linke Netzwerk« und sollen sich untereinander mißtrauen. Das Muster ist klar: Wie nahe ist denn nun der »kunstfehler« dem linken Terror, wenn Purtscheller für diesen schreibt? Selbstzensur wird angeraten.

Aber noch wichtiger ist: In den Augen der Bevölkerung sollen »wir alle« als Terrorfreunde und latente Gewalttäter diskreditiert werden. Der Wiener F-Führer Rainer Pawkowicz hat dies deutlich demonstriert. Er forderte ausgerechnet anläßlich einer Linksextremismus-Debatte im Wiener Gemeinderat ein Auftrittsverbot für den Kabarettisten Leo Lukas. Das Vergehen? Lukas hatte den Satz »amol mecht i gern am Tag der Fahne auf die Fahne brunzn« verwendet. Alle in einen Topf: Kritische Künstler wie verwirrte Gewalttäter.

EINER BLEIBT ZU WENIG

Es ist überwiegend Innenminister Caspar Einem zu verdanken, daß sich Haiders politische Treibjagd nicht zur unkontrollierbaren Lawine entwickelt hat. Einem demonstrierte stellvertretend, wie den F beizukommen ist: Er erwiderte die F Angriffe nicht in der unsäglich hilflosen bisherigen SP-Manier, den F-Forderungen ein Stückchen nachzugeben, um dann auf Ruhe zu hoffen, sondern Einem kämpft mit ideologisch offenem Visier: Es ginge um ein anderes Politik- und Menschenbild, so die Botschaft.

Die Ironie dieser Auseinandersetzung, bei der sich nun ausgerechnet Haider-Gegner ausgerechnet für einen SPÖ-Innenminister stark machen und sogar Solidaritätsaktionen starten, ist angesichts der jüngeren österreichischen Geschichte unübersehbar.

Mit der bisher ungewohnt offenen ideologischen Konfrontation ist es Einem sogar gelungen, Medien wie »profil« oder »Kurier«, die wieder einmal den Haiderschen Luftblasen auf den Leim gegangen waren und ebenfalls Einems Rücktritt forderten, zu überzeugen und »umzudrehen«.

So weit, so gut. Bedenklich bleibt jedoch, daß das Netzwerk, vor dem die F so zittern, noch nicht existiert. Denn sollte die Exekutive bei den Ermittlungen glücklos agieren, werden sich viele, die jetzt noch aus ihren Logenplätzen dem Minister verhalten applaudieren, abwenden. Bis dahin müßten auch andere den politischen Kampf gegen die Dritte Republik aufgenommen haben.