august 1995

Gelbe Sternderl auf blauem Grund

Die ersten Monate im Zeitraffer: Das für die oberösterreichische Kulturzeitschrift »hillinger« geführte EU-Tage buch der Linzer Journalistin Eugenie Kain mit Ergänzungen von »kunstfehler«-Mitarbeiter Thomas Neuhold.

• 31.12. 1994, ein paar Sekunden vor Zwölf: Es soll nur niemand was Falsches glauben. Aber um Mitternacht die Pummerin und der Donauwalzer, das mag man halt. Also Fernseher eingeschaltet. Die Uhr läuft schon. Rote Zeiger auf blauem Grund und überall die gelben EU-Sternderl. Der Sekundenzeiger rückt vor und der ORF schlägt zu: »Willkommen im Freien Markt: Media-Markt«, dröhnt das Kastl. Dann erst die erlösenden Glockenklänge. Dieses Jahr fängt ja gut an.

• 2.1. 1995: Brigitte Eder verkündet, daß man sich in der EU beim Einkaufen monatlich 1000 Schilling sparen kann. Grund genug für den ORF, den Leuten aus Stadt und Land mit Kameras ins Einkaufswagerl und ins Gesicht zu fahren. Schlagobers, Joghurt und Mehl sind billiger geworden, Flaschenmilch teurer. EU-Preise-Schauen wird zum Volkssport.

• 5.1.: Der EU-Papierriese Svenska Cellulosa übernimmt die PWA und ihre Niederlassungen in Österreich. Das Bangen um die Standorte beginnt.

• 10.1.: Die Wirtschaftskammer Salzburg - einer der vehementesten Beitrittspropagandisten - demonstriert »Europareife«: Die Handelskämmerer verbieten Betrieben aus dem »EU-Ausland«, in der Kammerzeitung »Salzburger Wirtschaft« Inserate zu schalten.

• 13.1.: Den Milchbauern steht die Milch, den Weinbauern der Wein bis zum Hals, weil sie kaum mehr Förderung bekommen. Agrarkommissar Franz Fischler sagt, das hat alles nichts mit der EU zu tun. Landwirtschaftsminister Molterer meint gleich, wir KonsumentInnen seien schuld, weil wir auf den Preis und nicht auf die Qualität schauen.

• 16.1.: Das Sparpaket heißt jetzt Stabilitätsprogramm.

• 17.1.: Was EU-Gegner schon immer gewußt haben, wissen plötzlich auch Wirtschaftsforscher und der ORF. Die EU-Beitragszahlungen reißen »unser« Budget in den Milliardenabgrund. Das Defizit wird um einiges höher sein als nach den Maastrichter Verträgen erlaubt. Deshalb das »Stabilitätsprogramm« und bei diesem einem wird es wohl nicht bleiben.

• 19.1.: Eine neue Meldung aus dem Milchregal. Dort macht sich jetzt Haltbarmilch zu Dumpingpreisen breit. Die H-Milch kommt von österreichischen Molkereien, die damit verhindern wollen, daß europäische H-Milchproduzenten den Milchmarkt aufrollen. Zum »freien« Spiel der Kräfte gehört auch, daß die Produktionskosten von H-Milch wesentlich höher sind als die von Vollmilch, dafür ist der Vitamingehalt gleich Null. Aber was soll's, halb Europa säuft schon die weiße Brühe.

• 10.2.: Aus Tirol ist zu hören, daß LKWs seit dem EU-Beitritt auf den Transitrouten weder auf Beladung noch auf ihre Verkehrssicherheit überprüft werden. An den Grenzen gibt es keine Kontrollen mehr. Aus Brüssel hört man noch viel Schlimmeres: Seit heute sind wir Mitglied der NATO, als »Partner für den Frieden«. Mock, für den Neutralität schon immer ein Fremdwort war, will Österreich auch in die WEU - das zukünftige Militärbündnis Europas - hineintreiben. NATO-Generalsekretär Willy Claes sagte anläßlich unseres NATO-Beitrittes: »Wir brauchen keine Trittbrettfahrer in Sachen Sicherheit. Und da kann ich mir nicht vorstellen, daß ein neutrales Land Vollmitglied der Allianz wird.« Mock aber will es uns glauben machen.

• 13.2.: Britisches Rindfleisch darf nach Österreich eingeführt werden. Bisher gab es wegen der in Großbritannien grassierenden Rinderseuche BSE, dem Rinderwahnsinn, ein Importverbot. Aber jetzt müssen auf EU-Beschluß alle Einfuhrverbote gelockert werden. Während also britisches beef importiert werden soll, muß Österreich 30 Prozent seines Rindfleischüberschusses ins Ausland exportieren.

• 20.2.: Es hat uns sehr gefreut: Der Spitzenkandidat der Salzburger ÖVP für die Europaparlamentswahlen heißt Karl Habsburg.

• 26.2.: Das Parlament wird mit Vorlagen aus Brüssel überschwemmt. Sieben Wochen sind wir jetzt dabei und in Wien sind bereits 910 Vorschreibungen aus Brüssel eingetroffen. Parlamentarier, jetzt wird's ernst, ihr habt es so gewollt!

• Erste Märzwoche: Stahlarbeiterstreik in Bayern, aber europäische Strukturen der Gewerkschaften gibt es nicht. Nicht einmal solidarische. Oder wurde die Unterstützung des ÖGB überhört? Apropos Arbeitsmarkt: In Salzburg wird ein interner Amtsbericht der Landesregierung bekannt, der feststellt, daß die EU das arbeits- und sozialrechtliche System in Österreich systematisch untergräbt. Der Report verschwindet in diversen Schubladen.

• 2.3.: Beruhigend: Das EU-Parlament stimmt gegen die Patentierung von menschlichem Genmaterial. Beunruhigend: Jetzt ist wieder die EU-Kommission am Zug.

• 11.3.: Die EU-Stimmung kippt, besonders bei Frauen. Nur mehr 34 Prozent halten den Beitritt für richtig. Wer läßt sich schon mit billigem Schlagobers abspeisen?

• 12.3.: Megastau in Nickelsorf. Die Zöllner üben »Schengener-Abkommen« und erfassen vorschriftsmäßig die Daten aller Einreisenden. Elf Stunden Wartezeit, damit keine Einwanderer mehr in's schöne Europa kommen. Ein praktischer Nebeneffekt: Alle Grenzgänger werden datenmäßig erfaßt - darum auch der neue EU-Paß mit Lesezone - und da hat man dann politisch Unliebsame auch gleich im Computer.

• 16.3.: Die rollende Landstraße Salzburg-Wörgl wird eingestellt. Mit dem EU-Beitritt ist die Straße für die Frächter noch billiger geworden.

• 24.3.: Das Maskottchen hat seine Schuldigkeit getan. Gitti Ederer hat zuerst in Korfu den EU-Vertrag nicht unterschreiben dürfen, jetzt ist sie nicht im Vorbereitungskommitee für die Regierungskonferenz aller EU-Staaten und ärgert sich sehr.

• 27.3.: Schadenfreude ist die schönste aller Freuden: Einen Tag nach dem offiziellen Inkrafttreten des Schengener-Ab-kommens ist der zentrale Fahndungs-computer ausgefallen.

• 10.4.: Wir sind 100 Tage in der EU, wer feiert?

• 25.4.: Innenminister Einem unterschreibt das Schengener Abkommen. Österreich ist aus freien Stücken als zehntes Land dem Abkommen zur Errichtung eines europäischen Polizeistaates und der Festung Europa beigetreten. In den nächsten Jahren werden unsere »Außengrenzen« um zwei Milliarden Schilling für Nicht-EU-BürgerInnen undurchlässig gemacht. Haider hat das Verhältnis der F zur EU wieder einmal dargelegt. Natürlich sind die F schon immer für eine europäische Integration gewesen, aber halt für eine ordentliche. Deshalb soll Österreich gleich als Vollmitglied in die NATO und damit es ganz sicher ist, auf seinem Territorium Atomwaffen stationieren lassen.

• 27.4.: Apropos F: 3000 Menschen protestieren im oberösterreichischen Lenzing gegen die Errichtung der geplanten Lyocell-Anlage im burgenländischen Heiligenkreuz. Das Burgenland ist ein EU-«1«-Fördergebiet, Oberösterreich nicht. Sorry, sagt der Lenzing-Vorstand; wir sind die einzigen, die für Euch sind, sagt F-Landesrat Achatz bei der Demonstration und bekommt den meisten Applaus.

• 29.4.: Die EMA, eine Tochterfirma der Elektrokabel Braunau, sperrt zu und verlegt die Kabelbaumproduktion nach Ungarn. 310 Beschäftigte, davon 260 Frauen, werden arbeitslos. Vor der EU - Abstimmung hat auch diese Firma damit argumentiert, daß nur ein Beitritt zur EU den Standort sichern kann.

• 9.5.: Landeshauptmann Hans Katschthaler gibt bekannt: Das »European Art Forum« wird jedes Jahr zu Pfingsten ab 1996 in Salzburg über die Bühne gehen. Rund sechs Millionen soll die Hochkulturpartie kosten.

• 18.5.: »News« diagnostiziert den »Euro-Frust«. Die ÖsterreicherInnen sind angefressen, weil sie keine Informationen mehr bekommen und weil außer Schlagobers fast nichts billiger geworden ist. Sie holen sich »ihr« billiges Europa mittels Einkaufsfahrten ins Ausland und machen keinen Unterschied zwischen Deutschland und Slowenien. Das paßt den Geschäftsleuten nicht. Sie fordern eine Freigabe der Ladenschlußzeiten. Seltsame Logik.

• 21.5.: In Straßburg wird mit einjähriger Verspätung der Jahresbericht über die Achtung der Menschenrechte in der EU im Parlament behandelt. Damit werden in der EU auch künftig Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit nicht als Menschenrechtsverletzung gewertet.

• 22.5.: Die Salzburger Arbeiterkammer und die Wirtschaftskammer schließen den »Sektfrieden«: Damit verzichtet die AK auf eine Anzeige jener Gastronomiebetriebe, die Steuersenkungen nicht an ihre Kunden weitergeben. Ein Tip: Frag einmal Deinen Wirt.

• 2.6.: In Messina beginnt die »Reflexionsgruppe« mit den Vorbereitungen für die EU-Regierungskonferenz im nächsten Jahr, wo dann am Maastricht-Europa weitergefeilt werden soll. Im österreichischen Grundsatzpapier kommt das Wort Neutralität nicht mehr vor. »Kein Grund zur Beunruhigung«, sagt Vranitzky, »die verhandelnden Beamten wissen ja, daß wir neutral sind.«

• 12. 6.: Jahrestag der EU-Abstimmung: Der Katzenjammer ist groß. Keine EU-phorie, kein Drive, keine Visionen mehr. Es muß was geschehen ein Jahr nach der Abstimmung, sagt Gitti Ederer und kündigt für Herbst eine neue Europa-«Informations«kampagne an. 15 Millionen Schilling hat sie dafür im Budget. Aber wer frißt schon Müllers Joghurt?

• Nachtrag nach dem 12. Juni: Der Erzeugergetreidepreis ist von fünf Schilling je Kilo Weizen (vor dem Beitritt) auf rund 1,30 gerutscht; Brot wird nicht billiger. In Vorarlberg stoppt die EU alle Landesförderungen für Milch und Rindfleisch, da diese der Umstrukturierung dieses Sektors entgegenstehen würden.