august 1995

Harald Friedl

Menasses Dank

Der Autor Robert Menasse plädiert für kuschelweiche Kritik, denn: wer Staat und Kulturpolitik angreift, bläst in Haiders Horn, so die These. Ein Kommentar zur Selbstaufgabe eines Intellektuellen.

Die Autorin Ilse Aichinger hat einen offenen Brief geschrieben, der im »Standard« veröffentlicht wird. Sie kritisiert die Organisatoren des Österreichschwerpunktes bei der Frankfurter Buchmesse und - en passant und ohne Nennung des Namens - auch die Auswahl des Eröffnungsredners. Diese verdeutliche, so Aichinger, eine Attitüde österreichischer Kulturpolitik, daß »behördlich kommissionierte Kritik, (...) als Schmuck auch noch sein darf und eingeplant wird«.

InsiderInnen wissen, wer dieser Eröffnungredner ist: Menasse.

Ein paar Tage später wird Menasse ein großer Literaturpreis des Bundes überreicht und er kann in seiner Dankesrede den Hieb nicht auf sich sitzen lassen. Er kontert: Ilse Aichinger habe sich »schlecht beraten und falsch informieren lassen«. Böswillige Journalisten, »Einflüsterer«, hätten ihr das eingeredet. Er stellt Ilse Aichinger hin als ein verführtes Tschapperl.

Dieser Anmaßung schickt er eine zweite nach. Vorweg zwei Daten: Menasse ist Jahrgang 1954, Aichinger 1921. Und doch stellt er sich als einen dar, der durch die Nazis dieses Landes Vergleichbares erlitten habe. Auch seine Familie wäre »Opfer des Nazi-Terrors« gewesen (Aichingers Familie wurde gefoltert und getötet). Ilse Aichinger mußte damals fliehen. Und, als solle sein Leiden ja nicht im Schatten eines anderen Leidens stehen, droht Menasse gleich selbst den Exodus an, »in einem Anfall von Sehnsucht nach Bequemlichkeit« allerdings. Wie Aichinger bezieht sich Menasse auf Thomas Bernhard. Jedoch nicht, wie sie, auf den Kämpfer gegen Spießertum, Zynismus und Perfidie, sondern auf den Nihilisten. »Es ist alles lächerlich, wenn man den Tod denkt«, zitiert er Bernhard am Anfang und zum Ende seines Beitrages.

So weit könnte man die Erwiderung Menasses vielleicht noch als ein sich Abbeuteln eines beleidigten Eitlen ignorieren, läge im Kerngedanken seiner Rechtfertigung nicht eine programmatische Aussage, die entlarvend ist: »Würde ich heute das versuchen, was Thomas Bernhard 1967 getan hat (mit seiner Dankesrede zur Staatspreisverleihung einen Eklat bewirken, Anm. d. Autors), ich befände mich nicht in der Tradition dieses Dichters, sondern in der Tradition derer, die die Dichterworte damals skandalisiert haben, in Allianz mit jenen (sic!), die heute, Minister meinend, Dichter prügeln.«

Menasse spielt auf Haider und dessen Privatfirma »F« an, die, in Union mit der Staberl- und Kronenzeitung, H.C. Artmann mit Schmutz beworfen hat. Was will uns Menasse mit einer solchen Rechtfertigung sagen: Daß radikale, also an die Wurzeln gehende Kritik an diesem Staat, seiner Geschichte, seinem Kulturbetrieb der Sache Haiders dient? Daß rundum alle unfähig sind, zwischen konstruktiver Systemkritik und destruktivem Zynismus zu unterscheiden? Diese Argumentation ist gefährlich, weil sie nichts anderes nahelegt als die freiwillige Selbaufgabe der kritischen Intelligenz in diesem Land.

Kritik dosiert äußern, sich den Mantel des Kritischen umhängen und sich gleichzeitig im System betten - das ist die Attitüde eines Politikers. Die eines politisch denkenden Künstlers ist das nicht.

Bezüglich der Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse schreibt Menasse: »Da ich nicht hauptberuflich Österreicher bin, werde ich bei dieser Gelegenheit über das Schreiben, und nicht über das Leben in Österreich sprechen.« Als ob Leben und Schreiben zweierlei wäre, als habe sich ein literarischer Geist von seinem kulturellen Körper getrennt. Hier erinnert Robert Menasse an Karl Heinrich Waggerl, der, als Erfolgsautor des Dritten Reiches, sich nach 45 darauf berief, ja nie etwas anderes habe sein zu wollen als Autor.

In noch tiefere Deckung begibt sich Menasse, wenn er behauptet, nicht von österreichischer Seite als Eröffnungsredner ausgewählt worden, also keinesfalls »Staatskünstler«, sondern von deutscher Seite eingeladen worden zu sein. Tatsache ist: das (österreichische!) Organisationskomitee Frankfurt ‘95 hat Menasse vorgeschlagen. Und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat, wie in solchen Fällen üblich, die Einladung formell ausgesprochen.