august 1995

Gerald Gröchenig

Kulturelle Qualifikation oder Saisonarbeit

Sparmaßnahmen schaffen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Beschäftigten in Kulturbetrieben

Die Festspiele sind aus. Gerard Mortier, künstlerischer Leiter, wird vom Direktorium zwei Monate stempeln geschickt, Finanzkrise, Sparmaßnahmen, eh schon wissen. Er bekommt von der Frau Präsidentin noch eine schriftliche Garantie, danach weiterbeschäftigt zu werden, für das Arbeitsamt. Dort trifft er den Landestheaterintendanten Lutz Hochstraate. Der hat sich gerade vom Bezug des Arbeitslosengeldes abgemeldet, auch er war zwei Monate aus Sparmaßnahmen »freigestellt«.

Auch wenn’s nur wenige wahrhaben wollen, es gibt sie, die einen und die anderen. Die einen, die über dieses Szenario lachen können, weil’s sie nicht trifft: Die Finanzierung ihrer Kulturarbeit ist fix in den einzelnen Budgethaushalten verankert. Sie können jedes Jahr mit dem benötigten Betrag rechnen. Anders ist's da schon, wenn Kulturförderungen aus den Budgetposten “Ermessensausgaben” gezahlt werden: Nach Ausschöpfung aller Sparmöglichkeiten in Verwaltung und Programm mußten Kulturgelände Nonntal und TOI Haus ihre Angestellten im Sommer kündigen. Eine letzte Möglichkeit zu sparen, auf dem Rücken der Angestellten, und nicht zuletzt auf dem Rücken der Kunden, der Besucher der Zentren. Die Saisonarbeit im Kulturbereich ist geboren. Den Gewerkschaften und vor allem dem Sozialministerium müßten alle Haare zu Berge stehen, würde dieses Beispiel auch in anderen Branchen Schule machen.

Die einen wie die andern machen gute Arbeit, sind aus dem Kulturleben nicht mehr wegzudenken, bilden jenes kulturelle Netz, das diese Stadt lebenswert macht. Wenn Lebensqualität als Summe von Mikroereignissen verstanden wird, dann sind es die Veranstaltungen der “kleineren” Partner, die diese Lebensqualität ausmachen (wobei sich die Frage stellt, was klein bedeutet, wenn z.B. das Nonntal im Jahr ca. 165.000 InteressentInnen aufsuchen)

Die Anforderungen an die Arbeit, die in einem Kulturhaus, ob groß oder klein, auftauchen, sind dieselben: Gefragt sind Kenntnisse in speziellen Fachbereichen:

• Inhalte, Kunstsparten (für das Programm),

• Finanzplanung bis Buchhaltung (für Kostenkontrolle und Verwendungsnachweis),

• Personalpolitik bis Personalentwicklung (für das Betriebsklima),

• Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Steuerrecht bis Urheberrecht (damit alles den Gesetzen entspricht),

• Marktanalyse bis Kommunikationspolitik (um sein spezielles Publikum auch zu erreichen),

• Kulturentwicklungsplanung bis Programmplanung (um sich mittelfristige Ziele zu stecken)

• Organisationspolitik bis Organisationstechnik (um dies alles unter einen Hut zu bringen)

• Service, von Technik bis Catering

(um KünstlerInnen wie BesucherInne spüren zu lassen, daß man Arbeit und Anliegen ernst nimmt)

• Kultur, Gesellschaft, Politik, Verwaltung (damit man weiß, was in Österreich wie und warum gefördert wird und daran zum Wohle der Besucher-Innen teilhaben kann).

Einziger Unterschied zwischen großen und kleineren Kulturhäusern: Wo weniger Personal ist, ist dieses Wissen auch auf weniger Personen konzentriert. Umso wichtiger ist es, diese für den Betrieb zu halten, haben sie sich ihr spezielles Fachwissen erst einmal vor Ort angeeignet.

Um dieses (hoch)qualifizierte Personal muß gefürchtet werden. Die Fluktuation im Kulturbereich war schon vor Jahren eines der größten Probleme, mit denen diverse Zentren zu kämpfen hatten. Konnte man Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine Motivationen im Berufsalltag bieten, die zumindest annähernd vergleichbaren Berufszweigen ähnlich waren, mußte man früher oder später mit ihrem Ausscheiden rechnen. Nicht zuletzt die unhaltbaren Arbeitsverhältnisse im Kulturbereich haben vor Jahren dazu geführt, daß im BMfUK eine eigene Förderstelle für freie Kulturorganisationen eingerichtet wurde, womit man die gröbsten Unzulänglichkeiten zu lindern hoffte.

Größere Organisationen wie WUK oder Kulturgelände Nonntal haben von sich aus maßgeschneiderte Betriebsvereinbarungen mit den Angestellten in den Betrieben erarbeitet: Erstmals konnte ein Minimum jener Sicherheiten geboten werden, die für normale Angestellte selbstverständlich sind (Einstufungen, Gehaltsschemata, Vorrückungen, Arbeitszeitregelungen, usw.) Das wiederum ist eine Voraussetzung dafür, daß die Kulturzentren qualitativ wie quantitativ optimal genutzt werden können. Dafür wurden sie ja von der öffentlichen Hand auch eingerichtet.

Das alles steht auf dem Spiel, wird die Sparpolitik von Gebietskörperschaften weiter auf dem Rücken der kleinsten Partner im Kultur- wie Sozialbereich exekutiert. Es ist ein schwacher Trost, daß diese Entwicklung schon vor Jahren im Rahmen des von Bürgermeister Josef Reschen initiierten Kulturentwicklungsplanes der Landeshauptstadt vorausgesagt wurde. Nach Reschen waren Studie wie Szenarien so gut wie vergessen. Mit Vergessen können jedoch kaum Probleme gelöst werden.

Kultur- wie Finanzpolitiker sollten sich darüber im klaren sein, was sie hier aufs Spiel setzen: Nicht nur, daß sie den sozialen Frieden gefährden: Es haben nicht nur die BesucherInnen »hochkultureller« Einrichtungen das Recht, ihre kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen. Außerdem hat die Politik mit ihren Förderungen auch die Ausbildung der Mitarbeiter in den kleineren Betrieben finanziert. Diese Mitarbeiter führen ihre Tätigkeiten ja nicht für einen Verein aus, sondern für BürgerInnen und BesucherInnen der Stadt. Sie nehmen im kommunalen Geschehen eine anerkannt wichtige Stellung eine, sind für den »Betrieb Stadt« hochqualifizierte Personalressourcen im Kulturbereich. Und welcher Betrieb kann es sich leisten, Leute auszubilden und am Höhepunkt ihrer Qualifikation einfach abziehen zu lassen?