september 1995

Harald Friedl
im gespräch

»Es bedarf des Absurden, um dem objektiven Wahnsinn nicht zu erliegen.«

Über den Schausprecher und Hörspieler Uwe Dick

Uwe Dick schreibt, spielt und singt. Trotz seiner 16 Bücher und 21 Live-programme, mit denen er, oft radelnd, unterwegs ist, muß er der Kulturschickeria eine Zumutung sein: »Der Haß der Clique ist mein Adelsbrief«. Und auch seinem Publikum macht er es beileibe nicht leicht.

• Es gibt Arbeiten darüber, wie innovativ ich bin und wie viele onomatopoetische Kreationen und Neologismen pro Quadratmeter Text bei mir zu erwarten und zu erleiden stehen. Das ist der Beruf der Germanisten, die uns dann mehr oder weniger wieder unter die Erde bringen.

Wie haben Sie es denn mit den

GermanistInnen?

• Ach, die stören mich nicht weiter. Die kommen nicht zu meinen Lesungen und ich nicht zu den ihren! Solange die Autoren leben, werden sie ihnen nicht gerecht, und ihre Wertigkeiten holen sie auch nur aus dem Feuilleton. Das sind Leute, die unsere Arbeit bewirtschaften. So, wie die Geistlichen die Bewirtschafter der Todesangst sind. Die Ausnahmen gibts natürlich und die sind zu feiern!

Uwe Dick blickt wach, denkt schnell, spricht pointiert. Als heiterer Mensch lacht er gerne auch über seine eigenen Scherze und Schnapsideen: »Die einzige Fahne, die ich gelten lasse, ist die SlivoWitzfahne!«

Fragt man ihn nach dem Beruf, bekommt man je nach Anlaß oder Laune unterschiedliche Antworten: »Alleinunterhalter«, »Schauprecher und Hörspieler« oder »Partisan des Poetischen«. Letztlich ist Uwe Dick aber doch ein Poet im klassischen Sinn.

Für die alten Griechen bedeutete »poiesis«, von dem sich »Poesie« herleitet, das Verlangen, aus dem, was man sieht und erkennt, etwas zu machen. Ziel ist ein inneres Gleichgewicht von Sehen, Erkennen und Handeln. Doch der Mensch im Gleichgewicht will nicht nur ein Gedicht schreiben, er will auch eine Rede halten und etwas durchsetzen.

Und all das mit Freude tun: »Wenn ich schon kein Geld habe, dann will ich wenigstens gut leben.«

• Also: Wenn ich schreibe, unterhalte ich auf alle Fälle zuerst mich allein, und zwar sehr intensiv und meistens am besten. Und wenn ich in einen Saal gehe, bin ich auch Alleinunterhalter.

Seine Auftritte sind ihm »ein Prüfstein für den Realitätsgrad seiner Wahrnehmungen« (Eva Hesse) und dank seines schauspielerischen Talents oft gefeiert.

• Eine meiner Maximen ist: Sprache bitte, nicht Schreibe! Sprache ist die Dominanz des Klangs: musikalische Struktur der Sprache, die rhythmische Vehemenz, die polyrhythmische Vielfältigkeit, das Schreien, das Stakkato. Das ist so wie bei einem Musiker. Als Sprachkomponist brauche ich das Publikum. Ich brauche den Windkanal, ich brauch das Atemwerk, und das bezieht sich nicht nur auf meinen Atem, sondern auch auf den Atem der Leute.

Uwe Dick ist sowohl in den feinen, zarten als auch in den aggressiven, brachialen Sequenzen ein exzellenter Vortragender. Weichgekochte Sprachkulinarien bekommt man von ihm allerdings nicht geboten. Er gibt dem Publikum keine Chance, Textpointen von sich auf die nächste Person abprallen zu lassen. Dick verweigert sich auch der im Kulturbetrieb üblichen Kumpanei mit der eigenen Zuhörerschaft, die darin läge, ihr a priori und kollektiv das Gefühl zu geben, einer kunstsinnigen Elite anzugehören.

• Ich bin an Dichte interessiert, an Intensität! Und deshalb müssen auch meine Hörer relativ arbeiten bei einer Lesung. Da geht nix mit Zurücklehnen, sondern ich verlange höchste Intensität der Wahrnehmungsarbeit und Konzentration statt Zerstreuung. In unserem Kulturverbrauch haben wir heute eine sehr starke Bedienungsmentalität. Die Leute wollen Geld ausgeben. Dafür soll der da vorne jetzt einmal für mich denken, er soll möglichst virtuos denken und mir das Gefühl anstrengungslos vermitteln, daß ich das, was er so virtuos gedacht hat, natürlich als einziger in diesem ganzen Saal verstanden habe. Und da geht ja bei mir gar nix! Man versteht mich gut, aber nicht gern, und dabei bleibts!

Uwe Dick überrascht mit einem an Joyce erinnernden Sprachreichtum. Ständig negiert er die Truhen des standardisierten Wortschatzes, um die Wort-Schätze zu suchen. In eigenen Kreationen, in Lautgemälden, in Dialekten, in Wortgerippen, denen unnötige Laute entzogen sind, um leise den verhüllten Sinn der Begriffe zu entschlüsseln oder um die archaische Kraft von Sprache ungebremst herauszulassen.

• In meiner Familie wurde baltisch, berlinisch, pommerisch und russisch gesprochen. Ich bin auf Umwegen relativ spät zum Bayrischen gekommen. Es hat mir sehr gefallen und zwar wegen seines Reichtums des feinen, andeutenden, um drei Ecken herum sich tarnenden Sprechens bis zur absoluten Bierfaust, die den Tisch in die Bereiche der nach oben hin offenen Richterskala auf 6-7 bringt.

Auch die rhythmischen und die melodischen Möglichkeiten. Ich meine, es gibt im Deutschen »zerbrechen«, »zerkrümeln« aber ein Wort wie »daPresln« ... ein Tokioter, der braucht gar nicht wissen, was das heißt. Aber wenn der hört, »Den kannt i daPPrrresln!«, dann kennt er sich aus. Das ist schon der Anfang des Indoeurobayrischen. Ich bin beim Indoeurobayrischen angekommen, in dem ich durchaus fünf, sechs Assonanzfunktionen gleichzeitig akustisch bewältigen kann. Da gibts Beispiele genug, beim »Öd«, beim »Cantus Firmus« und in der »Sauwaldprosa«.

Zu seiner politischen Haltung zwei Aphorismen aus »Pochwasser. Eine Biographie ohne ich« (siehe Bücherseite):

»Denn nicht Menschen wünscht der Staat, sondern Gefolgschaft.« Und: »Staatsbegräbnis? Ja wann denn endlich?!«

Wo steht Uwe Dick eigentlich weltanschaulich?

• Bei so viel Nebel, bei so viel Schwindel, bei so vielen Potemkinschen Dörfern, bei so viel Disneyland, bei so viel Volkswatte, da gilt es durchzuschauen: was ist dahinter, was verdeckt das? Also, Weltdurchschauung ist mir wichtiger als Weltanschauung, um es mal auf der ersten Ebene ping-pong-mäßig zurückzuspielen.

Sie würden also auch die Zuordnung »Anarchist« ablehnen?

• Würd ich! Weil der Anarchist meistens vom vermeintlichen Fundament derer weggeschleudert wird, die glauben, daß sie Positionen haben, die auf etwas Festem gründen. Und das ist natürlich ein Witz. Das ist, wie wenn der Narr mit der blauen Kappe den Narren mit der roten Kappe einer falschen Obrigkeit bezichtigt. Ich bin ein Narr ohne Kappe! Ich hab nichts über mir und auf mir. Aber ich bin natürlich ein subversiver Narr.

Subversiv auf allen Feldern. Auch auf dem sich als links oder alternativ bezeichnenden.

• Stromlinienschnauzen leisten keinen Widerstand. Zivilcourage und Widerstand beginnen in der eigenen Stadt und nicht mit der Forderung, daß man am Bikiniatoll eine andere Art von Bademode verkaufen soll.

Wir brauchen viel weniger Kulturpreise, abgesehen davon, daß wir gar nicht so viel Kultur haben - die Kulturpreise fallen mit Recht - sondern mehr Preise für Zivilcourage. Und je mehr Preise für Zivilcourage wir hätten, desto besser sähe es übrigens auch aus in unserer Kulturarbeit.

Uwe Dick, der »kunstfehler« dankt herzlich!

Wieder zu Hause lese ich zum wiederholten Male in »Theriak« und bleibe an folgenden Zeilen hängen:

»... wirst manche Antwort finden

und ewig neue Fragen

doch nie die Antwort auf die Frage

warum denn Erde stürzen muß

in eines jeden Menschen Mund«.

Dazu als Widerhall die eben abgetippten Tonbandworte:

• Mir kann nichts passieren. Ich glaub auch, daß das Universum keineswegs irgendwo einen Anfang gehabt hat sondern immer war, und folglich werd auch ich immer sein, wenn auch Gott sei dank nicht als dieser blödsinnige Uwe Dick. Das wär fürchterlich, wenn ich nach einem Marsch über 13 Milchstraßen mir wieder in dieser Form begegnen müßte. Gräßlich. Aber als Witz tät ich sogar das gelten lassen.

Wie heißt es in »Pochwasser«?

»Nimm dein Ende vorweg, und du lebst auf ...«