september 1995

Thomas Neuhold

Sauft Beaujolais - freßt Bouillabaisse

Boykottieren ist wenigstens etwas, aber ist Boykott was?

Seit Jacques Chirac die Wiederaufnahme der französischen Atomtests im Südpazifik verkündet hat, meiden die guten ÖsterreicherInnen, also jene mit globalem Bewußtsein, alles französische: Boykott! Aber hat die Bewegung tatsächlich bereits jene Qualität erreicht, wo sie auch wirklich ans Eingemachte geht? Erlauben Sie hierorts eine intime Frage: Verweigern Sie wirklich die französische Liebe? Lachen Sie nicht! Wenn Boykott, dann aber richtig.

Es ist auch nix mehr mit der genüßlichen »Gitanes« danach. Kein tiefes Kratzen in der Lunge nach dem ersten, leicht verschwitzten Zug schwarzen Tabaks. Nichts mehr! Die Stattdessen-Milde Sorte nachher ist wie mit »Pariser« - über den Begriff sollten wir uns auch noch einmal unterhalten - vorher. Aber wir kennen kein Pardon: Boykott is' Krieg; da is' Schluß mit lustig. Dem werden wir's schon zeigen, dem Franzosen!

Eingebrockt hat mir den atomaren Lustverzicht die französiche Regier..., nein halt: Eigentlich ist der Versuch, einen ganzen Staat via Schampus-Entzug in die Knie zu zwingen, den holländischen Hosenkackern zu verdanken. Hätten die feigen Weicheier vom Shell-Vorstand damals ihre Ölbüchse einfach ins Meer gekippt, wär uns das Malheur erspart geblieben. Aber nein, die Gelbmuschler mußten ja gleich nach zwei Wochen den Ökopaxen nachgeben. Alle Welt hat's gesehen: So einfach geht's! Jetzt ist Boykott groß in Mode und wir können Kranewitter statt Remy Martin saufen, die gute alte Nivea ersetzt die Vichy-Creme, Coq au Vin ist vom Speiseplan verdammt und mein Renoir hängt im Keller.

Genau betrachtet war die Geschichte mit Shell eigentlich ziemlich unfair: Schauen Sie sich die Konkurrenz an. Exxon vertraute jahrelang einem in jeder Hafenkneipe der Welt bekannten Trunkenbold Millionen Liter Rohöl an. Als dann der Käpt'n in seinem Fett - oh Überraschung! - tatsächlich einmal seine Ölwanne an die Küste geschippert, dort um eine Klippe gewickelt und so hunderte Kilometer Küste samt BewohnerInnen mariniert hat, war nichts zu hören von: »Tankt nicht bei Esso!«

Und jetzt bekommen auch noch die Franzosen wegen den Memmen von Shell ihre Prügel. Wo gab's denn vorher sowas, ein Land boykottieren? Selbst wenn die Türkei Kurden abschlachtet, daß dem Saddam schwindlig werden könnt', kaum einer sagt seinen Urlaub ab. Schon gehört? Kauft keine türkischen Produkte? Lächerlich!

Oder wie wär's mit: Macht nicht Ferien in Kroatien? Nix da! Haufenweise pilgern die Österreicher an die Adria und zahlen mit jedem Cevapcici Kriegssteuer an das Tudjman-Regime. Zuhause wird dann ein Kilo an »Nachbar in Not« überwiesen. Wegen dem Gewissen.

Nur die Franzosen kommen dran. Boykott! Wegen den acht Tests! Die kommen dazu wie die Jungfrau von Orleans zu einem Kind. Und ich kann mir überlegen, was mit unserem Renault geschehen soll. Was sollen jetzt die Nachbarn von uns denken, fragt meine Freundin mit besorgtem Blick auf den französichen Embargo-brecher vor unserem Haus. Ein Peugeot kommt - eh klar! - nicht ins Haus. Aber was sonst? Kann ich voraussagen, ob nicht in einem Jahr Japan an der Reihe ist? Vielleicht wegen der Waljagd? Längerfristig kommt ja da keiner mehr mit dem Boykottieren nach.

Freilich hätten wir schon früher wissen können, daß aus den Renault-Werken nicht nur harmlose Rostlauben rollen, sondern auch Panzer, Kanonen und anderes Kriegszeug. Aber der Kapitalismus ist echt ein Schweine-System; alle multinationalen Pkw-Spengler gehören sich irgendwie gegenseitig, alle produzieren Tanks und Puffen und verkaufen diese fleißigst auf der ganzen Welt, auf daß sich die Menschheit abmurkse. Wen soll man jetzt am besten boykottieren?

Herr Ober, noch einen Pernod!

»Nur die Franzosen kommen dran. Boykott! Wegen den acht Tests! Die kommen dazu wie die Jungfrau von Orleans zu einem Kind. Und ich kann mir überlegen, was mit unserem Renault geschehen soll.«