september 1995

Mario Jandrokovic

Sekt, Brötchen und Kultur

Die Szene auf der Suche nach Wirtschaftswundern und der verlorenen Jugend.

Die »Alchimie der Veränderung« war nicht nur das Motto der diesjährigen Sommerszene, sondern scheint auch die neue Richtlinie zu sein, um die sich die Chefetage für das Haus am Neumayerplatz bemüht. Gerade nachdem das zwölftägige Festival wieder zum Podium aktueller Popmusik wurde, aber auch weil das neue Beisl wieder ein buntes und vor allem junges Publikum anzieht, blieb die Szene heuer nicht länger eine Enklave gediegener Avantgarde-Gourmets. Intendant Michael Stolhofer räumt auch ein, daß es der Fehler des letzten Jahres gewesen sei, »daß wir mit einigen wenigen Schlagworten Grenzerlebnisse transportiert haben, denen die Leute aus dem Weg gegangen sind.« Heuer sei es zwar »wieder populärkulturmäßiger als früher« gewesen, aber »letztlich auch vom Thema her offener. Dadurch war so ein Rockprogramm nicht nur bunter, sondern hat auch bunter gewirkt«.

Damit die Szene auch unterm Jahr bunter ist oder wirkt, wurde die Idee eines offenen Hauses geboren; um dieses muß sich über das Jahr das neue Hausmanagment kümmern.

Stolhofer: »Für mich persönlich heißt das, daß ich das Jahr über wahrscheinlich um die Hälfte mehr Zeit habe, um mich auf das Festival zu konzentrieren.«

Peter Baldinger wird als Hausmanager tatsächlich als »Wunderwuzi« (Zitat Stolhofer) agieren müssen, denn »das Problem ist«, so Baldinger, »daß wir keinen Schilling Programmbudget haben. Wir können nur die Betriebskosten decken. Es geht also vorderhand darum, den Saal vermehrt zu vermieten, und zwar auch an die Wirtschaft. Da wir als Stammhaus für freie Gruppen und Produzenten eigene Produktionen in der Hand haben, können wir sie der Wirtschaft für Präsentationen zusätzlich anbieten. Dann gibt es neben Sekt und Brötchen eben auch noch eine Tanztheaterveranstaltung. Es geht darum, Geld hereinzukriegen, um im nächsten Jahr immer ein bißchen fürs Programmbudget auf die Seite zu schaffen.«

Zwangsweise definiert sich also die Offenheit des Hauses in erster Linie einmal über die aufgehaltene Hand gegenüber der Wirtschaft, was die angepeilte breite Palette des Kulturangebots letztendlich von der Nachfrage der mehr oder weniger potenten Veranstalter abhängig macht. Bleibt die Frage offen, ob dabei ein Ort des Austausches entstehen kann - als eine Membran für diverse kulturelle Aktivitäten in der Stadt.

Baldinger: »Man darf das Kommerzielle nicht nur als Gefahr sehen. Es gibt nur eine Gefahr: daß keine Kohle da ist, das Haus zugesperrt wird und auch für das Festival nicht mehr existiert. Wie bisher steht unser Haus daneben für Salzburger Kulturinitiativen und freie Produzenten zur Verfügung. Da arbeiten wir mit Karteneinnahmen 80:20 und kriegen bestenfalls den Strom rein. Wir werden sicher nicht alles abdrehen nur wegen der Wirtschaft.«

Vom Programm her hat sich die Idee eines offenen Hauses speziell bei den Pop-Veranstaltungen des heurigen Festivals verwirklicht. Mit der Programmauswahl von Judith Schnaubelt, Redakteurin beim »Zündfunk« auf Bayern 2, und Stephan Gyöngyösi, bei der Sommerszene ‘94 zuständig für die Filmreihe »Ultimate Pleasure Through Ultimate Pain«, wurde vor allem auch das reife Durchschnittsalter der Szene-Klientel rapide nach unten gedrückt.

Schnaubelt: »So wie sich die Szene in den letzten Jahren entwickelt hat, war es ja eher etabliertes Feuilleton, nur in Richtung Avantgarde und nicht in Richtung Mozart. Bei den Konzerten war der Saal, das Foyer, das Lokal und der Vorplatz voll mit jungen Leuten. Die hatten vielleicht nicht einmal eine Karte, aber sie wußten, es gibt ein Konzert und da ist was los.«

Doch die Freude daran, daß die Szene wieder für neue Publikumsschichten attraktiver gemacht wurde, scheint nicht ganz ungetrübt zu sein, wenn Michael Stolhofer in den SN verlautbart: »Dadurch, daß wir auch viele Angebote aus der Populärkultur hatten, konnten gewisse Zwischentöne nicht wirklich beschützt vorkommen.«

Wer von der Annahme ausgegangen ist, daß gerade Bands wie MC 900 Ft. Jesus, The Fall oder Transglobal Underground für die Zwischentöne im gängigen Repertoire des Festivals gesorgt haben, zeigt sich ob dieser kuriosen Bestrebung nach beschützten Kunstnischen zumindest etwas verwundert.

Schnaubelt: »Artenschutz ist ein wunderbarer Begriff dafür, nur was oder wer soll geschützt werden? Es sieht fast nach Dissen aus und das kapier ich nicht.«

Michael Stolhofer betont dagegen, ganz hinter dem Programm zu stehen, obwohl dadurch offenbar die gewissen feinen Unterschiede verlorengegangen sind: »Wenn man so ein dichtes Festival macht, wo die Leute dann zum Teil bis drei Uhr morgens im Haus sind, ist der Platz für irgendwelche Zwischentöne oder für ganze Sätze nicht unbedingt da. In letztem Jahr habe ich versucht, eine Literaturschiene neben den anderen Dingen unterzubringen. Das war beim heurigen Programm organisatorisch und atmosphärisch einfach nicht drinnen. Es ist eigentlich nicht als Verlust, sondern als einkalkulierte Verengung auf der Strecke geblieben. Aber im Grunde genommen spricht gar nichts dagegen, das in dieser Form weiterzumachen.«

Ob diese neue Form von avanciertem Musikverständnis nun bestehen bleibt, wird sich weisen, denn, wie man hört, plant Michael Stolhofer für nächstes Jahr David Byrne und Tom Petty als Hauptacts. »Mit diesem Programm«, so Judith Schnaubelt, »hat das Pop-Team von heuer nun wirklich nichts mehr zu tun. Das ist für mich eine Popkultur, die durchs Feuilleton abgesegnet, abgefrühstückt und für gut beheißen wurde. Die hat nichts Junges mehr, wie zum Beispiel Neil Young. Und das finde ich für ein Festival, das neue Akzente setzen und anders sein will, ziemlich fatal.«