september 1995

Mario Jandrokovic
titel

»Lernen, sich Dinge zuzutrauen«.

Jugend und Kultur: Mehr als das kulinarische Tüpfchen auf dem I des Bildungswesens.

Da können wir aber freudig in die Zukunft blicken, wo wir doch eine derart kulturinteressierte Jugend haben. Schülerinnen und Schüler ermittelten im Rahmen eines Hochbegabtenkurses, bei dem sie sich auf mannigfaltige Weise mit dem Thema »Jugend und Festspiele« auseinandersetzten, per Fragebogen die kulturellen Interessen ihresgleichen. Auf die Jugend, wie sie sich in dieser Umfrage darstellt, müßten die repräsentativen Häuser der Kultur ruhig bauen können; schließlich waren immerhin 79 Prozent der Befragten der Meinung, die Festspiele seien für Salzburg »sehr wichtig«. Allerdings wurde dabei nicht näher gefragt, so Elfi Schweiger, »ob sie das in wirtschaftlicher oder künstlerischer Hinsicht sehen, ob nur für Erwachsene oder speziell für sie.«

Die AHS-Professorin hatte gemeinsam mit ihrer Kollegin Christa Gruber die Initiative für diesen Plus-Kurs ergriffen, bei dem rund 50 Schülerinnnen und Schüler der Gymnasiums-Oberstufe sich ein Jahr lang über den Lehrplan hinaus kreativ betätigten. Jedenfalls war dabei, so meint Elfi Schweiger, ein großes Bedürfnis bei Jugendlichen festzustellen, »daß mit dem Begriff Kultur etwas angefangen wird.«

Dabei ist Kultur keineswegs nur als kulinarisches Tüpfchen auf dem I des Bildungswesens zu betrachten. Auch die Professorin konstatiert die schon häufig festgestellte allgemeine Krise des Schulsystems: »Da werden Dinge, die von der Schule angeboten werden, aber über den Normalunterricht hinausgehen, als Rettungsanker aufgefaßt.« So sei beispielsweise auch die Schreibwerkstatt ein Mittel gewesen, Frust und Passivität zu überwinden: »Sie lernen wieder, sich Dinge zuzutrauen.«

Daß Kultur für Jugendliche einfach mehr ist als eine Maßnahme zur Veredelung der Geschmacksnerven, darüber sind sich die wohlmeinenden kulturellen Repräsentanten jeglicher Coleur einig; das heißt aber noch nicht einmal, daß etwa Alternativkulturzentren, die mit dem Image ewiger Jugendlichkeit gesegnet sind, tatsächlich attraktive Plätze für die Youngsters wären: »Die Jugend«, wo immer sie auch sein mag, ist jedenfalls stets woanders, als sie diejenigen haben wollen, die für sich den historischen Anspruch einfordern, Teil einer Jugendbewegung zu sein. Mit dem Hochhalten der Geschichte der Achtundsechziger und ihrer verspäteten heimischen Nachfolger ist höchstens Kultur an Jugendlichen, nicht aber mit Jugendlichen zu machen.

Das hehre Ziel, »Jugendliche mit unterschiedlichsten Alternativen und Möglichkeiten in Kontakt zu bringen, die es ihnen ermöglichen, ihr Leben zu gestalten«, verfolgt auch das Landesjugendreferat. Wolfgang Schick, Leiter dieser Einrichtung der Landesregierung, waltet als »Lobby für die Jugendlichen« seines Amtes: mit Aktionen im schulischen Bereich, mit dem Info-Bus, der pro Jahr landesweit mehr als 10.000 Jugendliche erreicht. Vor allem sieht Schick seine Aufgabe in präventiver Jugendarbeit: »Das wird immer wichtiger, da die Mittel für kurative oder therapeutische Jugendarbeit explodieren.«

Als eher unbürokratische Verwaltungseinheit über die Belange der Jugend ist dem Landesjugenreferat der Verein Akzente angehängt; neben dem »Theater der Jugend« und Informationstätigkeit sei hier vor allem die Zeitschrift Ultimo, »Bindeglied zwischen Jugendlichen und Akzente«, als buntes Organ präventiver Jugendarbeit erwähnt. So werden Jugendliche etwa mittels In- und Out-Listen aufs glatte Parkett zeitgeistig-urbanen Lebens vorbereitet; darüber hinaus ist das Blatt durch Inserate auch »ein entsprechender Wirtschaftsfaktor«.

Die Jugend-Service-Stelle setzt sich als Einrichtung des Magistrats ausgesprochen unbürokratisch für die Anliegen der Jungen in der Stadt ein. Nachdem das Büro in der Hubert-Sattler- Gasse so angenehm frei von Amtscharakter ist, überwindet die Klientel die vielzitierte Schwellenangst; andererseits bringe gerade dieses Arbeiten an der Basis, im Unterholz jugendlicher Belange, auch nur wenig Beachtung seitens offiziöser Würdenträger, wie Leiter Joe Eder zu berichten weiß: »Man wird als Jugend-Service-Stelle mehr oder weniger in den Topf der freien Kultur geworfen, was ja überhaupt nicht stimmt. Wir sind schon froh, wenn irgendwelche Verantwortlichen, die Entscheidungsbefugnis haben, überhaupt wissen, was wir tun.«

Da sie es offenbar nicht wissen und präventive Jugendarbeit ihrer Meinung nach wahrscheinlich mit wirkungsvollen Plakaten abgetan werden könnte, droht auch der Jugend-Service-Stelle der altbekannte Salzburger Rotstift: Im Herbst wird sich entscheiden, ob das eigenständige Büro auch räumlich (gewiß nicht zugunsten der Benutzerfreundlichkeit) in den Apparat des Kulturamtes eingegliedert wird. Womöglich wird auch durch die Kürzung der Belegschaft von vier auf zwei Personen effizientes Arbeiten verhindert. Joe Eder: »Wir könnten keine eigenen Projekte mehr durchführen, sondern wären nur noch Geldvergabestelle.«

Abgesehen von ihrer Service- und Beratungstätigkeit, die eine Vielzahl von Jugendlichen etwa bei sozialen Fragen in Anspruch nimmt, arbeitet die Jugend-Service-Stelle vor allem »in kreativen Freizeitbelangen«, so Bruno Gabriel. Dabei gehe es eben nicht einfach nur um die Finanzspritze, sondern auch um Vermittlung von Know-How: »Wenn Leute eine Veranstaltung machen wollen, helfen wir ihnen auch, Sponsoren zu finden, erstellen Finanzierungskonzepte, beraten sie in Steuerfragen.«

Salzrock bleibt laut Joe Eder nach wie vor ein großes, vor allem auch bekanntes Projekt der Jugend-Service-Stelle, »aber bei der Arbeit, die wir über das Jahr machen, verschwindend klein.« Theaterprojekte wie die Rockoper Brian’s Nightmare erfordern ein halbes Jahr Arbeit mit den Beteiligten zwischen 10 und 22 Jahren. Hauptanliegen sei es, so Bruno Gabriel, »daß die Leute wirklich längerfristig auch ohne uns weitermachen, daß sie von uns nur den Schub, die anfängliche Stütze bekommen.« Diese Starthilfe hat zahlreichen Kulturschaffenden - von der musikalischen Radioprominenz Josh über die Literatin Kathrin Röggla bis hin zu TheatermacherInnen und bildenden KünstlerInnen - auf ihrem Weg nach oben entscheidend geholfen; sie unterstützen nunmehr die Jugendservicestelle mit einer Unterschriftenaktion.

Wichtig wird die Aufbauarbeit aber vor allem in Randstadtteilen wie Liefering oder Lehen. In die dortigen Jugendzentren begab sich die Truppe von Brian’s Nightmare auf eine kleine Tournee. Eder: »Das sind wirklich Krisenpunkte. Da weißt du, daß da Leute sind, die sonst nirgends hingehen, in kein Rockhouse etwa, und das erste mal mit so etwas konfrontiert sind. Es war dann aber knackevoll. Wir beharren dabei auf den Eintritt, denn das muß ihnen etwas wert sein. Es ist auch ein Lerneffekt für die Leute, die mitspielen: Da kommen blöde Meldungen, und die müssen sie überspielen. Da machst du einerseits die kreative Arbeit, andererseits erfüllst du den sozialen Auftrag.«

Mit dem sozialen Auftrag der Jugendkulturarbeit ist hier gewiß mehr gemeint als lediglich Beschäftigungstherapie. Bruno Gabriel: »Es ist eine Aufgabe für uns, die Leute zu Gemeinschaftsdenken hinzuführen. Natürlich kostet das Geld, aber es ist weitaus billiger, diese Stelle fortzuführen als sie jetzt zuzudrehen und dann in zehn Jahren die Folgekosten zu zahlen.«

Jener Anteil der Jugend, der bei all diesen Bemühungen allzu leicht außer Reichweite bleibt, sind im speziellen Lehrlinge. Ihnen wird von Haus aus generelles Desinteresse unterstellt. Wenn sie jedoch die Gelegenheit haben, ihre Anliegen zu artikulieren, sieht die Sache etwas anders aus, weiß Herbert Huber: »Lehrlinge fühlen sich als Menschen zweiter Klasse behandelt und wollen eine bessere Ausbildung - Deutschunterricht und musische Fächer - in der Berufsschule. Dabei unterstellt man ihnen immer, sie wollen das eigentlich gar nicht.« Der Fotograf ist langgedienter Mitarbeiter bei einem Projekt mit Lehrlingen des Vereins Kreativ. Dieser wurde vor vier Jahren vom Fachbeirat Kreativität, einem Anhang des Landeskulturausschusses, gegründet.

Bisher ist so der Film Safer Sax entstanden, eine Geschichte aus dem Lehrlingsmilieu, die auf erfrischend witzige Weise deren eigene Probleme und Wünsche darstellt, dazu noch die gleichnamige Soundtrack-CD. Anfänglich galt es vor allem, geballtes Mißtrauen zu überwinden: »Die erste Frage war: Was müssen wir tun und was kostet das? Das ist für mich sehr bezeichnend, daß es für die Lehrlinge nichts gibt, wofür keine massive Gegenleistung zu erbringen wäre.« An Enthusiasmus hat es letztlich nicht gefehlt, nachdem die Leute neue Mittel entdeckten, um sich zu artikulieren. Huber: »Es war phänomenal, daß Leute aus St. Johann um sechs Uhr aufgehört haben zu arbeiten, anschließend gleich mit dem Zug nach Salzburg gekommen und um Viertel nach zehn mit dem Zug wieder zurückgefahren sind, und das jede Woche über zwei Monate.«

Größtenteils kommen die Gelder vom Land, auch Industriellenvereinigung und AK steuern ihr Scherflein bei - die Handelskammer nicht: »Es ist von der damaligen Präsidentin Rabl-Stadler ausgegangen. Es verwundert sehr, denn eigentlich sollte es im Interesse der Handelskammer sein, daß die Leute möglichst hochqualifiziert sind.«

Die Lehrlinge bekommen vor allem die Qualifikation, ihren eigenen Standpunkt gezielt zu artikulieren, wie Herbert Huber weiß. »Der Direktorstellvertreter der St. Johanner Berufsschule hat einmal festgestellt: Zwei aus seiner Klasse waren schon anderthalb Jahre dabei, und ihm ist einfach aufgefallen, wie die Kommunikationsfähigkeit der Leute zugenommen hat. Sie werden dadurch nicht unbedingt nur einfacher zu handhaben, denn sie fordern auch ein.«

Das Projekt bekommt immer mehr die Gestalt einer Zukunftswerkstatt, wo die Beteiligten etwa über Musik, Rollenspiele oder Aktionismus nicht nur ihre Probleme verarbeiten, sondern sich auch neue Perspektiven schaffen. Denn Kultur wird nicht erst ab da bedeutsam, wo große Gönner herzeigbare, repräsentative Kunstprodukte beklatschen können. Herbert Huber: »Kultur ist für mich die Fähigkeit, innerhalb einer Gesellschaft zu kommunizieren - jene Kommunikation, die dort anfängt, wo man aufhört, sich gegenseitig in die Papp’n z’haun. In dem Zusammenhang geht es nicht um große, spektakuläre Ergebnisse, sondern um einen Prozeß, der sich entwickelt, und um das Erlernen der Mechanismen einer Kommunikationsfähigkeit. Kultur ist für mich Kommunikation unter Gleichberechtigten.«

»Die Einschätzung, daß Jugendkultur nur eine Beschäftigungstherapie ausmacht, ist ein volkswirtschaftlicher Denkfehler. Da ist ein Potential vorhanden, das ansonsten zum Gewaltpotential werden und eskalieren kann.«

Herbert Huber über Jugend & Gewalt

»Es ist einfach nur groß der Druck da, sparen zu müssen, und es wird von dort genommen, wo am wenigsten Widerstand erwartet wird.«

Joe Eder über die geplanten Sparmaßnahmen für die Jugend-Service-Stelle