oktober 1995

Didi Neidhart
gehört

DUB FROM HELL

Heavy Liquid Grooves

Dub, die hohe Kunst, das Mischpult als eigentliches Hauptinstrument zu verstehen (bei Verwendung extremster Hall/Echo/Delay-Effekte und gefährlicher Betonung tiefster Baß-Frequenzen), erlebt heuer einen Boom, wie er seit über 15 Jahren nicht mehr da war. Metal-Bands lassen Dub-Remixe ihrer Songs anfertigen und stoßen damit in Sound-Territorien vor, die nichts an quälender Düsternis zu wünschen übrig lassen, TripHop tut mit den Slow-Motion-Grooves von Portishead, Tricky und Massive Attack sein übriges dazu, und ironischerweise scheint gerade Jungle, jener ultrahektische, mit 180 Beats-per-Minute losdonnernde Dancefloor-Wahnsinn, die Sinne auch für Dub wieder zu schärfen. Komischerweise spielt das Dub-Mutterland Jamaica dabei keine wesentliche Rolle mehr, dafür ist England zum kreativen Zentrum geworden. Nachzuhören auf dem exzellent zusammengestellten und von SPEX herausgegebenen Sampler KING SIZE DUB, VOL. 1 (Echo Beach/Extraplatte). Vertreten sind alle Größen der Szene (Adrian Sherwoods On-U-Sound Label, Revolutionary Dub Warriors, The Disciples, Zion Train, Dub Syndicate, Bim Sherman u.a.) und jede nur erdenkliche Spielart zwischen Roots-Reggae-Anklängen und Acid/Techno-Einflüssen.

Was man unter Dub außerhalb des reinen Reggae-Kosmos zu verstehen hat, zeigt hingegen MARCO DUB INFECTION, VOL.1 (Virgin). Das Koordinaten-System, in dem man sich bewegt, wird schon in den Liner-Notes sichtbar. Neben Dub-Pionieren wie King Tubby und Lee »Scratch« Perry werden Sun Ra, Brian Eno, William Burroughs, Jimi Hendrix, Musique Concrete, Jackson Pollock, Dali, Godard und William Gibson (»Neuromancer«) als wichtige Einflüsse genannt. Entsprechend abgefahren und nicht kategorisierbar ist die Musik, die neben abgespactem afro-karibischem Cyber-Wahnsinn auch das suchter- zeugende Potential von Dub für Bands wie Coil, Laika, Tortoise, The Golden Palominos und den hinlänglich bekannten Scorn dokumentiert.

Daß die Möglichkeiten neuerer Dub-Errungenschaften bei weitem noch nicht ausgereizt sind, beweist auch das CROOKLYN DUB CONSORTIUM mit »Certified Dope, Vol. 1« (Worldsound/Ixthuluh). Diese »secret society of subterranean bass terrorists« (u.a. Bill Laswells Automaton, Roots Control, Sub Dub, Quaballah Steppers) entführt mit ihren futuristischen, alptraumhaften Dub-Exkursionen in ungehörte Soundräume, wo sich langsamste Reggae-Riddims in Echokammern überschlagen, tiefste Baß-Sounds vibrieren, komische Synthie-Fiepser, nichtidentifizierbare Industrial-Geräusche und afrikanisch/arabische Elemente von überall hereinbrechen und Tracks implodieren und in schwarze Löcher stürzen.

In noch abstraktere Trip-Hop/ Dub-Regionen entführt VALIS I (Subharmonic/Ixthuluh). Der Untertitel »The Destruction Of Syntax« ist hier wörtlich zu nehmen. Egal, ob Dub, HipHop, Jungle, Jazz, Ambient - hier wird nichts fusioniert, sondern in kleinste Bestandteile zerlegt und wild neu zusammengeworfen. Vielleicht der Höhepunkt derzeitiger Abstraktionskunst im weiten Feld experimenteller Dancefloor-Musik. Aus diesem Höllentopf wird noch einiges an hypnotischen Grooves auf uns zukommen. Mindblasting as shit. Dub it!