oktober 1995

Didi Neidhart

Cinemagic

Salzburg feiert die ersten 100 Jahre Kino

Als die Gebrüder Lumière am 28. Dezember 1895 im Untergeschoß des Grand Café in Paris, 14 Boulevard des Capucines, erstmals Filme vor einem zahlenden Publikum auf eine Leinwand projizierten, setzten sie nicht gerade viel Vertrauen in die Möglichkeiten dieses neuen Mediums. »Der Film ist eine Erfindung ohne Zukunft«, soll Louis Lumière damals prophezeit haben. Spätestens 1897 schätzte er die Sache jedoch komplett anders ein und eröffnete zusammen mit seinem Bruder Auguste das erste Etablissement, das ausschließlich der Vorführung von Filmen diente. Kino war also geboren.

Wie fast alle technischen Erfindungen ist aber auch das Kino nicht plötzlich aus einem Ei geschlüpft und war da. Viel eher wurden in einem Prozeß, der um das 16. Jhdt. mit der Camera Obscura begann, die einzelnen Elemente und Erfindungen sukzessive zusammengeführt.

Die Orte, an denen die Bilder mittels Guckkästen, magischen Laternen, Wunderscheiben und Wundertrommeln, Lebensrädern und Phantasmagorien laufen lernten, waren Jahrmärkte, Schaubuden und Varietés. Zwischen Kuriositätenkabinetts, Freak-Shows, Quacksalbern, Feuerspuckern und Schwertschluckern war die neue Zauberwelt der motion pictures ein magischer Anziehungspunkt.

Kein Wunder also, daß sich die erste Generation von Kino-Künstlern großteils aus dem fahrenden Jahrmarktvolk rekrutierte (George Méliès, der filmtrickbesessene Pionier des phantastischen Films, war nicht zufällig ein gefeierter Illusionist und Zauberkünstler) und im Kino immer wieder diese Stätten seiner »Geburt« dargestellt werden.

Um die Verquickung von Film, Zirkus und Varieté geht es auch der »Aktion Film« in ihrem einwöchigen Projekt CineCircus, bei dem ausgewählte Filmbeispiele in einem Zirkuszelt im Volksgarten gezeigt werden.

»Dort, wo das Kino geboren wurde, in Schauzelten und Varietés, läßt sich die Geschichte des Films wieder einatmen. Das Zirkuszelt in Verbindung mit der Zauberwelt der bewegten Bilder - gleichsam als magischer Treffpunkt für offene Augen und Ohren.«

Die Faszination, die von diesen Orten ausgeht, ist nicht auf eine unschuldige Kindheitreduziert. Viel eher sind es geheimnisvolle Orte mit ebensolchen Menschen (egal, ob diabolisch wie Dr. Caligari oder verführerisch wie Marlene Dietrich), die unheimlich und anziehend zugleich sind. Sei es in den bei CineCircus gezeigten Filmen wie »Das Cabinet des Dr. Caligari«, »Der blaue Engel«, »Der Abgrund« (übrigens das Kino-Debut von Asta Nielsen), »Die Kinder des Olymp«, »La Strada«, »Luna Park« oder bei Tod Brownings Klassiker »Freaks«, David Lynchs »Elefantenmensch« und dem Kult-B-Movie »The Incredibly Strange Creatures Who Stopped Living And Became Mixed-Up Zombies« - die Zuckerwatte bleibt einem bei diesen Filmen ebenso im Hals stecken, wie einem Clowns nach der Lektüre von Stephen Kings »It« nicht mehr so recht geheuer sind.Es ist wahrlich eine fremde, seltsame Welt. Genauso wie das Oktoberfest in Achternbuschs »Bierkampf« oder Texas in David Byrnes postmoderner Nabelschau »True Stories«.

Beachtenswert bei CineCircus auch das jeweilige Vorprogramm zu den Hauptfilmen. Unter dem Titel »Die Avantgarde« präsentiert hier Sixpack Film das umfangreiche Schaffen österreichischer Avantgardefilmer, die auch im Ausland Aufsehen erregt haben. Neben Arbeiten von Mara Mattuschka, Peter Tscherkassky und Otto Mühl (!) ist unter anderem »Cojones« des Salzburgers Peter Brauneis zu sehen, welcher auf der heurigen Berlinale als einziger österreichischer Beitrag vertreten war und dabei hervorragende Reaktionen erhielt. Die vorgestellten Produktionen stehen dabei formal wie inhaltlich in direktem Zusammenhang mit den darauffolgenden Spielfilmen (nach Mühl wird der Abstieg in die Hölle folgerichtig mit Achternbusch weitergeführt) und bieten somit die Möglichkeit zum direkten Vergleich dessen, was sich in den letzten Jahrzehnten im Kino getan hat.