oktober 1995

GastautorIn

Seife und Fernsehen

Warum heißen Soap Operas »Soap Operas«? Wer macht sie? Und vor allem, was haben Alf oder Al Bundy mit Seife zu tun?

Naheliegend läßt sich vermuten, daß diese »Opern« etwas mit Seife zu tun haben und nur wegen Seife produziert werden.

Bereits in den dreißiger Jahren haben Waschmittelfirmen Geschichten im Radio gesponsert, um mit der dazwischengeschalteten Werbung ihrer Produkte die amerikanischen Hausfrauen zu erreichen.

Die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür hatte die amerikanische Telefon- und Tele- graphgesellschaft AT&T bereits 1923 geschaffen. Mit dem Aufbau des ersten »radio network« (ein Netz geographisch weit verbreiteter und über firmeneigene Telephonlinien verbundener Radiostationen, das als Werbeträger angeboten wurde) ebnete sie den Weg in die Zukunft der ökonomischen Ausschlachtung der Medien. Die Soaps ermöglichten so eine gewinnbringende Fusion zwischen Rundfunk und Wirtschaft, die die potentielle Käuferkraft (vorwiegend Frauen) über die Jahre hin vor dem Bildschirm fesselte.

Die Entwicklung der amerikanischen Soap Operas verläuft von den Anfängen im Radio (1930 - 1940) über die Zeit des Wechsels vom Radio zum Fernsehen ( 1950 -1960) bis hin zu den großen Neuerungen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, die auch jetzt noch ihre Nachwirkungen zeigen.

Im Dezember 1950 starteten die ersten Soaps im Fernsehen. Eine der ersten TV-Soaps, »The Guiding Light«, kann dabei als transmedial bezeichnet werden, lief sie doch schon seit 1937 im Radio und ab 1952 in beiden Medien gleichzeitig. Noch zu Beginn der sechziger Jahre wurden sechzehn Soaps gleichzeitig im Radio und TV ausgestrahlt, da noch nicht jeder Haushalt mit einem Fernsehgerät ausgerüstet war.

Einige der ersten Soap-AutorInnen wehrten sich allerdings gegen die neue Form: Irma Phillips, die Autorin der ersten, 1930 ausgestrahlten Radio-Soap Opera »Painted Dreams«, erachtete das neue Medium Fernsehen für nicht fähig, die (Werbe-)Botschaft zu übermitteln, müßte doch nicht nur zugehört (was ja neben der Hausarbeit geschehen kann), sondern auch zugesehen werden.

Heute sind die Soap Operas genau in diesem Sinne konzipiert: so seicht und schaumig, daß das Nur-Nebenbeisehen nicht nur möglich, sondern für Menschen mit gewissen ästhetischen Ansprüchen sogar empfehlenswert ist.

Die zweite Hälfte der Siebziger mit ihren gesellschaftlichen Umschwüngen stürzte die Soap Operas in die Krise, da sie den sich verändernden Ansprüchen des Publikums nicht mehr gewachsen waren. Zunehmend gingen die ehemals »Nur-Haus«-Frauen außer Haus arbeiten und interessierten sich für neue Themenkreise. Die Soap-ProduzentInnen mußten sich neue Ideen einfallen lassen, und sie taten es: Neue Plots entstanden, behandelten aktuelle soziale Themen, und sogar ein minimales filmästhetisches Level wurde erreicht. »General Hospital« (seit 1975) steht für diesen Paradigmenwechsel in der Soap-Opera-Produktion. Ohne diesen Wechsel hätte es nie »Dallas« und »Denver Clan« geben können. Mit »Eine schrecklich nette Familie«, die so gar nicht mehr im charakteristischen Milieu der traditionellen Soaps spielt, sondern vielmehr im Spiel mit den klassischen Elementen diese parodiert, zeichnet sich gegenwärtig ein Silberstreif am Horizont ab. Die nächste Generation der Soaps ist am Kommen.

Erforschte Seifen

Die Soaps sind noch nicht lange Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. In den 70ern, mit dem enormen Erfolg von »Dallas« und »Denver Clan«, richtete sich das Interesse der Film-, Kultur- und Literaturwissenschaften auf die Soaps als Untersuchungsgegenstand. Aber erst der Einfluß strukturalistischer und semiotischer Theorien auf den Diskurs über Film und Fernsehen hat den Soaps, indem sie zum eigenen Genre erklärt wurden, den ihnen gebührenden Platz gesichert.

Die Soaps als eigenständige »Kunstform« haben ihre eigene charakteristische Form, die sich im ästhetischen Gesichtspunkt deutlich von der Form des klassischen Dramas (Anfang, Höhepunkt, Ende) unterscheidet: Soaps widersprechen diesem formalen Aufbau, sie sind als ein »unendlicher Höhepunkt« komponiert. Traditionellerweise wird im ästhetischen Diskurs von Einheit, Symmetrie etc. gesprochen, wohingegen die Soaps eine unendliche, diffuse und ungelöste Struktur haben. Hinzu kommt die »anonyme AutorInnen- schaft« der Soaps, die die Aufnahme von Soaps in die traditionelle Klassifikation von Kunst (das eigenständige künstlerische Werk als konkreter Ausdruck der Persönlichkeit der Autorin/ des Autors) erschwert.

Die Soaps mit ihrem überwiegend weiblichen Publikum mußten der männlich dominierten Forschung wohl suspekt erscheinen, und die klassischen methodischen Ansätze der ausschließlich Wirkungsforschung betreibenden Sozialwissenschaften, die über Jahre hinweg in mehr oder weniger gleichbleibenden Art die (bleibenden) Wirkungen auf das Publikum (mit anderen Worten: das Potential an Manipulationsbereitschaft) untersuchten, standen wohl auch mehr im Zeichen der ökonomischen Interessen der »radio networks«. Die aus diesen Forschungen resultierende Repräsentation der weißen middle-class-Hausfrau als depressiv, ungebildet und naiv - und also dementsprechend empfänglich für die auf sie zugeschnittene Werbung - ist (deswegen) jahrelang aufrechterhalten worden. Erst mit Beginn der feministischen Forschung änderte sich das Bild von der Soap-Seherin in der Wissenschaft. In den meisten neueren Ansätzen wird sie als aktiv, ästhetisch anspruchsvoll betrachtet und für fähig erachtet, aus dem beschränkten Angebot der Kulturindustrie für sich das Beste zu machen.

Soaps sind weiblich.

Soaps handeln im Unterschied zu anderen Genres von Frauen, die nicht mehr länger nur als Ehefrauen oder Freundinnen eine Nebenrolle spielen, sondern Heldinnen sind und selbstbestimmt handeln. Weibliche Charaktere stehen als Identifikationsfiguren für die unterschiedlichsten Aspekte des Frau-Seins. Hier setzt die komplexere Interpretationsweise vor allem der feministischen Forschung an. So war es Anfang der achtziger Jahre Tania Modleski mit ihrem Buch »Loving with a Vengeance«, die den Beginn der feministischen Analyse der Soaps einleitete. Im Gleichsetzen der charakteristischen Struktur der Soaps - die des endlosen Wartens - mit der Endlosigkeit des weiblichen (Hausfrauen-)Alltags und darüber hinaus mit der weiblichen Sexualität (»multi-climaxed, never-ending«) ermöglichte sie erstmals eine positive Bewertung der spezifisch weiblichen Räume.

Gegenwärtig werden diese Interpretationen stark kritisiert. Neuere Ansätze betonen vermehrt Aspekte wie die Fähigkeiten der ZuseherInnen, die Soaps zu lesen und für ihren Lebenszusammenhang zu interpretieren. Dies meint nach Charlotte Brundson die Vertrautheit der ZuseherInnen mit den Soaps als Genre, das Wissen über eine spezifische Soap (z.B. Wer mit wem?) und den Einbezug des eigenen kulturellen Hintergrunds, über den die individuellen Wertvorstellungen definiert werden. Soaps werden »intertextuell« gelesen, und eine Reihe zusätzlicher Elemente wird in die individuelle Analyse miteinbezogen, wie etwa Gespräche über die Soaps mit Bekannten und Informationen über die Charaktere aus den wöchentlichen TV-Guides.

Nicole Beyer