oktober 1995

Harald Friedl

Das engste Dorf in Salzburg Stadt (Teil 2)

Im Stadtzentrum von Salzburg gibt es eine Gegend, in der im öffentlichen Raum noch so richtig gelebt wird. Sie ist die Antithese zu den von Tourismus und Yuppies gestreßten Zonen: Die Steingasse.

Sie wollten schon immer eine Sitar haben? Im »Reich der himmlischen Musiker«, dem »Gandharva Loka« (Sanskrit), ist sie zum Preis von 5700.- bis 16.700.- erhältlich. Der Laden für exotische Instrumente aus aller Welt ist Teil einer Kette mit Hauptgeschäft in Zürich. Auch Windspiele kann man hier erwerben, Windspiele mit dem Mond-, dem Sonnen- oder dem Venuston (schlag nach bei Hans Joachim Behrendt) oder solche in Yang-Dur, den männlichen Durterzen. Verkäuferin Sarah Moss aus Schottland hat viel Zeit zu erklären. Auch hier weht nicht der steife Wind des Kapitalismus.

Einstürzende Altbauten

Das gilt erst recht für »Steinklang Records«. Der winzige Laden liegt einen Stock über der Boutique »Harold and Maude« versteckt. Er bietet »zeitgenössische elektronische Klangkunst«, darunter eine der größten »Industrial«-Abteilungen Europas. Die Standortwahl hat sich aus persönlicher Bekanntschaft mit den Leuten von »Harold and Maude« ergeben.

Für Verkäufer Marko ist das beste an der Steingasse, daß hier einfach Leben auf der Straße ist, »anders als in Leopoldskron oder Parsch«. Freund und Kollege »Caligari« (ohne Dr. vor dem Namen), DJ und Sammler klassischer Horrorfilme, fühlt sich durch die Gasse an expressionistische Filme der 20er Jahre erinnert. »Alles ist alt und es schaut aus, als ob es einstürzen würde. Manche können sich gruseln in der Nacht. Mich baut das auf!«

Tagsüber kann das Sortiment der »Dispensa« sehr aufbauend sein, der kleinen italienischen »Speisekammer«, Nahrungsmittelgeschäft und Imbißstube mit kulinarischem Angebot. Vor einem Jahr hat sie sich zu den zwei Bordellen »Osteria« und »Maison de Plaisir« gezwängt. Warum gerade hierher, warum nicht an einen Standort, an dem mehr Geschäft zu erwarten wäre? »Weil es eine lebendige Gasse ist und hier noch Salzburger wohnen«, so Andrea Hick, die das Geschäft gemeinsam mit Renate Kitzmantel betreibt. »Die Steingasse ist halt noch echt im Vergleich mit der linken Altstadt.«

»Der Vorteil ist halt«, so Bernhard Voloder, »daß einen hier die Leute wirklich suchen.« Wie einige andere Läden auch, ist seiner ebenfalls nur begrenzt geöffnet: Dienstag bis Freitag nachmittag. Woanders wäre die Miete so hoch, daß er durchgehend offen und einen Angestellten haben müßte und damit in einer Kostenspirale drinnen wäre. In der benachbarten Linzergasse etwa wäre das Fünffache an Miete zu berappen.

»Im herzen einer grille

das cello zu streichen,

ist ein häufiger traum und

anlaß zur hoffnung ...«

(H.C. Artmann)

Antiquar Christian Weinek hat in 13 komma 13 Metern Entfernung vom winzigen Stammgeschäft in der Steingasse ein zweites, wesentlich größeres eröffnet. Unter dem Namen Max Bläulich hat er auch als Dichter (Wieser Verlag) einen Markennamen, und man kann nie sicher sein, auf wen von beiden man gerade trifft. Anfangs ist die Mutation nur angedeutet, wenngleich er auch als Antiquar seine berufliche Hauptbelastung durch das Spirituelle fühlt: »Die Geister der Autoren lassen dich nicht in Ruh. Wenn du träumst von toten Autoren, und du fragst sie, warum du sie träumst, und sie antworten dir `Weil wir in den Büchern leben', dann schnallst du ab.«

Und die Leute in der Steingasse, wie sind sie? »Die Leute sind schlau und geschäftstüchtig. Und es gibt überproportional viele Trinker!« Die Mentalität? »Hier herrscht eine Rattenmentalität!« Würde er wegziehen? »Lieben tu ich sie nicht, aber sie ist die einzige Gasse, wo der Kleinstadtgauner noch floriert.« Sein einziger möglicher Lebensraum also?

Gibt es hier ein elitäres Bewußtsein? »Sind doch lauter Gängster und Haxelsteller, de haum ka Elitedenken!« Darf ich Sie fotografieren, Herr Wein ...? Plötzlich überfällt ihn eine ungeheure Müdigkeit, »die Salzburger Müdigkeit«, sein Blick verschwimmt und mit ihm die Welt. Die Gasse hebt sich, Kunden und Antiquar versinken, ich vermag letzterem durch einen Taschenspielertrick noch eine Wortspende zu entreißen (siehe unten), und zurück bleibt ein vom Steingassentrauma unbefallener »kunstfehler«-Autor sowie schier unleserliches Gekritzel im Notizheft. Fictionality. Aber so liest es sich eben, wenn einer druckreif spricht.

Steter Tropfen höhlt ...

»Der Berg zieht, er ruft nicht. Das wirkt sich auf die Lunge aus,« hallt die Stimme von Max Christian Bläuek weinlich aus dem Felsengrund nach.

Der Fels spendet Schatten, der Fels ist magnetisch, der Fels schützt und er spendet Wasser. Auch wo man es absolut nicht brauchen kann. Im »Gandharva Loka« mußte an der felsseitigen Wand entlang ca. 30 cm über dem Fußboden eine Regenrinne installiert werden, in einem Haus fließt das Wasser nicht nur aus den Leitungen, sondern auch das Stiegenhaus hinunter. Und an so mancher Mauer schafft der Schimmel graue, schwarze Muster, die an moderne Gemälde archaischen Geistes erinnern. Ja, die Gasse hat in vieler Hinsicht etwas Surreales, etwas Trunkenes.

Sitting on Top of the World

»Seavas, Leo List, wia geht's da?« »Schlecht, danke!«, so die prompte Antwort des unvergessenen Mimen von Süßkinds »Kontrabaß« und Kafkas »Bericht an eine Akademie«. Auf Bühnentheater hat er längst gepfiffen, aufs Beisltheater nicht. Wie er also die Steingasse kommentieren würde? »Daß's a Doaf is, daß's an Haufm Oaschlecha gibt, daß des oazig Interessante de Huan san - wia in deara Nockalstodt iwaroi.«

Obwohl sie ihren Eingang nicht in der Steingasse hat: Ex-Geheimtip »Steinterrasse« auf dem Hotel Stein ist in diesem Bericht nicht zu umgehen. Nicht bloß, weil sie einen idealen Ausblick über die Stadt bietet, sondern weil sie von SteingassenbewohnerInnen stark frequentiert und in ihrem Charakter maßgeblich geprägt wird. Früher hatte man hier nur den Straßenverkehr der Staatsbrücke und den Wortverkehr der Gäste vernommen. Seit heuer läuft Barmusik. Zum Glück gerade etwas Ordentliches: R.E.M.

Ich treffe auf Christine Dachs, Werbekauffrau, und Sibylle Voggenhuber, Ordinationsgehilfin. Frau Voggenhuber hat 17 Jahre darauf gewartet, in der Steingasse zu wohnen, und würde sie unter keinen Umständen verlassen. »Jeder kann zu jeder Zeit gute Musik zum Fenster hinausbrüllen lassen, und niemand regt sich auf.« Das schätzt sie. Etwa wenn der bekannte Geiger Helge Rosenkranz die Gasse akustisch in Mozart taucht und »ein paar Japaner unten ausflippen«. Das ist halt noch südliche Lebendigkeit!

Ähnlich sinnlich der besondere Zugang von Frau Dachs, Linzergassenbewohnerin, und, laut Eigendefinition, »außerordentliches Mitglied der Republik Steingasse«. Was sie so eng an die Gasse bindet? »Meine letzte Liebe und ich haben uns im Steintor zum ersten Mal gevögelt. Also eigentlich im Gebäude darüber. Jetzt sind wir schon seit drei Jahren zusammen!« Das kam so, daß sie eigentlich die Katze einer Freundin füttern sollte »und dazu hat mich mein künftiger Geliebter begleitet... Das kannst du ohne weiteres so schreiben«, lacht sie und zündet sich eine Zigarette an.

Bei einem letzten Achterl mit Franz Wasner: »Willst du alt werden hier?« frage ich.

»Unbedingt! Weil die Gasse einen längeren Atem hat als ich.«

Und die Leute in der Steingasse, wie sind sie? »Die Leute sind schlau und geschäftstüchtig. Und es gibt überproportional viele Trinker!«

Dank an (“in order of appearance” von Teil 1 & 2): Ferd-inand Wallersdorfer, Franz Wasner, Ursula F., Maria Leitl, Bernhard Voloder, Erika Van Gorkom, Sarah Moss, Marko, Caligari, Andrea Hick, Renate Kitzmantel, Christian Weinek, Leo List, Christine Dachs und Sibylle Voggenhuber.