oktober 1995

Thomas Neuhold

»DER MENSCH ZUERST«

Spitalspersonal gegen Ausländerfeindlichkeit - Ein Bericht über die Möglichkeit, dem Rechtsruck politisch zu begegnen

Das Bild ist brutal und direkt: Ein offener Leichenwagen, zwei Särge, zahlreiche Kriminalbeamte, dazwischen liegen die ermordeten Roma von Oberwart. Der Text darunter ist an Deutlichkeit kaum mehr zu überbieten: »Oberwart-Burgenland-Österreich. Ausländerfeindlichkeit... Volksbegehren...Mordanschläge« steht da zu lesen. Und weiter im Text: »Ihre Stimme kann Leben retten. Im Freundeskreis. Am Arbeitsplatz. Am Wahltag!«

Harte Zeiten verlangen eben harte Plakate. Und politisches Handeln! Während das demokratische Österreich angesichts der Feigheit rechten Terrors und - vielleicht noch mehr - angesichts der eigenen Hilflosigkeit in politischer Lähmung erstarrte, wurde in den Gängen, Warteräumen, Raucherzimmern und unzähligen anderen Orten der Wiener Krankenhäuser genau jenes Plakat in hundertfacher Ausführung geklebt.

Organisiert wurde die Plakataktion von der Initiative »Der Mensch zuerst - Spitalspersonal gegen Ausländerfeindlichkeit«. Das unmittelbare Anliegen von »Der Mensch zuerst« erklärt ein anderes Plakat: »Fremdenhaß gefährdet Ihre Gesundheit! In Österreichs Spitälern arbeiten tagtäglich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur zusammen, um Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Denken Sie daran: Bei den nächsten Wahlen, beim nächsten Spitalsbesuch, im Arbeitsalltag. Keine Stimme für den Fremdenhaß!« Anders formuliert: Angesichts eines Anteils nichtösterreichischer Kollegen und Kolleginnen im Pflegebereich von bis zu 35 Prozent macht Ausländerfeindlichkeit Inländer krank. Mensch, Medizin, Personal und Gesundheit sind international, die Internationalität ist also eine gesund erhaltende, präventive Kultur.

Als konkrete Antwort auf die F-Volksverhetzung »Österreich zuerst« und vor dem Hintergrund der zunehmenden Belastung des Arbeitsklimas durch die AusländerInnenfeindlichkeit an vielen Wiener Spitälern erfolgte 1992 die Gründung der Initiative. Mit der politisch gezielten Kampagne »Medizin ist international« trat der Zusammenschluß von Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern im Spitalsbereich erstmals offensiv gegen den organisierten Rassismus an. Die dadurch entstandene »humanistische Dynamik« in Wiens Spitälern kann sich sehen lassen: Mit massiver Beteiligung aller Spitäler, insbesondere auch der jeweiligen Direktionen, unterschrieben knapp 10.000 Spitalsangehörige gegen das Haidersche Ausländer-Raus-Begehren. Mit eigenen Stickern, Plakaten, eigenen Patienteninformationen und Veranstaltungen wurde gegen die Ausländerfeindlichkeit mobilisiert. Mit Erfolg: »Plötzlich ist die Stimmung gekippt, die bisher Schweigenden haben gesprochen, und die Rassisten mußten das Maul halten«, erzählt Heinrich Geißler, Gesundheitsberater aus Wien.

Getragen vom Erfolg der Aktion startete die Initiative auch ein Arbeitsprogramm zur »Integration im Gesundheitswesen«. Mit konkreten Einzelprojekten, aber auch über die Wiener Sozialpolitik wird nun versucht, einzelne Maßnahmen, die sich bei einer Problemfelderhebung 1993 als vorrangig erwiesen haben, umzusetzen. Der Bogen von notwendigen Integrationsmaßnahmen spannt sich dabei von erweiterten Sprachprogrammen, einem Spachhilfepool für Notfälle bis zur mehrsprachigen Patienteninformation.

Im Vergleich zum Wiener Wahljahr 1996, wenn Haider zum Marsch auf das rote Wien ansetzt, dürfte die bisherige Auseinandersetzung geradezu harmlos gelaufen sein. Die Initiative »Der Mensch zuerst« hat jedenfalls schon jetzt vorsichtshalber eine weitere Kampagne vorbereitet, »damit Rechtsextremismus, Ausländer- und Menschenfeindlichkeit keine Stimme gegeben wird.«

Kontaktadresse:

»Der Mensch zuerst«

c/o Institut für betriebliche Gesundheitsvorsorge

Siebensterngasse 31/III

1070 WIEN

»Das Spitalspersonal ist international. Auch in den Wiener Spitälern arbeiten viele Menschen, die nicht in Österreich geboren wurden bzw. die nicht österreichische Staatsbürger sind. Sie retten täglich Leben und helfen mit, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten.

Sie helfen, ohne nach Herkunft, Religion oder Rasse ihrer

Patienten zu fragen. Ganz selbstverständlich.

All diese Menschen arbeiten tagtäglich zusammen, um Ihre Gesundheit wiederherzustellen und zu erhalten. Menschenfeindlichkeit und Rasssismus gefährden nicht nur diese Zusammenarbeit, sondern die Gesundheit aller - auch Ihre.«

(aus einer Patienteninformation von »Der Mensch zuerst«)