oktober 1995

GastautorIn

Der Ausgang der Flucht

An die 100 Ausländerinnen und Ausländer sitzen derzeit in Salzburg in Schubhaft. Der Maler Wilhelm Kaufmann, Jahrgang 1901, sah sich ihre Haftbedingungen an. Er protestierte, schrieb Briefe, hielt Reden.

Österreich, »ein Hort der Freiheit und Toleranz, der Humanität und Neutralität«; dieses schöne Bild schwebte mir vor, als die Macht des Faschismus, der das Gegenteil aller dieser Tugenden zur Maxime erhoben hatte, gebrochen war. Der Glaube an dieses Land hat uns im Widerstand gegen den totalitären Ungeist, wiewohl das stete Gefahr für Freiheit, Leib und Leben bedeutete, aufrecht gehalten. Zur Zeit scheint es allerdings oft, als ob die Staatstugenden einer bedenklichen Art von Staatsraison geopfert werden sollten.

Das Verhalten weiter Kreise gegen Flüchtlinge, die in unserem sicheren Land Zuflucht und Schutz suchen, erinnert manchmal an längst vergangen geglaubte Zeiten. Demagogen schüren die Angst um die Sicherheit und den Wohlstand des Landes und gegenüber allen »Fremden« - sofern sie nicht gewinnbringende Touristen sind. Die aber vor dem Krieg um ihr Leben in unser Land fliehen, will man nicht haben.

Die Kunde von untragbaren Zuständen in den Gefängnissen, wo Schubhäftlinge die ungewisse Entscheidung absitzen müssen, ob sie in die Hölle zurückgeworfen oder freigelassen werden sollen, alarmierte viele Menschen, die noch freies Denken und das Verantwortungsbewußtsein für den Rang unseres Landes im Völkerkonzert bewahrt haben.

Alenka Kemptner, erfahren in solch humanitärem Dienst und slawischer Sprachen mächtig, war meine Führerin. Wir erhielten Zugang zur Schubhaftabteilung unserer neuen, eindrucksvollen Polizeizentrale. Nachdem meine Personalien - ohne mein Beisein - registriert worden waren, durften wir einen der Unglücklichen, einen jungen Roma aus Serbien, besuchen, das heißt durch eine mit Sprechlöchern versehene Glasscheibe fragen und anhören. Sein (und seiner Leidensgenossen) einziges Vergehen ist, daß er ohne Ausweise aufgegriffen worden war, nachdem er sich dem Kriegsdienst (Für wen? Gegen wen?) durch Flucht entzogen hatte. Nur deswegen, sonst lag nichts gegen ihn und die anderen vor, mußte er unter unmenschlichen Zuständen monatelang zuwarten: acht Personen pro Zelle, ungenügende sanitäre Einrichtungen, keine vernünftige Beschäfti- gungsmöglichkeit. Eine Viertelstunde tägliches Luftschnappen im kahlen Gefängnishof war ihnen gewährt.

Jeder, der Obdach, Essen, Gehalt, Familie, Freunde und Freiheit als selbstverständlich genießt, versetze sich in das Elend sinnloser und unverdienter Gefangenschaft, in das Warten auf Abschiebung - oft auch in den Tod. Von zwei Selbstmordversuchen in jener Zeit war zu erfahren. Von wie vielen hört man nichts?

In letzter Zeit haben bemerkenswerte Veränderungen Platz gegriffen. Der seit März im Amt befindliche Polizeidirektor Dr. Karl Schweiger ist einem humaneren Vollzug gegenüber durchaus aufgeschlossen und tätig geworden. In seinen Absichten findet er Unterstützung durch den neuen Innenministers Caspar von Einem. Auch Dr. Gerhard Mory, der als engagierter Rechtsanwalt mit der täglichen Praxis konfrontiert ist, betont, daß die Zustände besser geworden sind, das Klima liberaler ist: »Die ganz harte Linie ist nicht mehr zu spüren.« Doch am System hat sich nichts geändert. Die Verfahren dauern zwei bis drei Monate. So lange Haft unter den beschriebenen Bedingungen »ist der Preis, den die Leute zahlen, damit sie vielleicht hier bleiben können« (Mory). Die Gefährdung muß individuell und nachweisbar sein. Wer als Volksgruppe oder unter den allge-meinen politischen Bedingungen leidet, hat keine Chance.

Zehn Salzburger Rechtsanwälte haben sich bereiterklärt, den ihrer Rechte meist völlig unkundigen Flüchtlingen durch Übernahme je eines Verfahrens beizustehen. Ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) humanitärer Verbände übernehmen die Betreuung während und nach (!!) der Gefangenschaft.

Wer in der Lage ist und den Wunsch hat, sich mit persönlichem Einsatz (Häftlinge besuchen, Betreuung nach der Freilassung) oder finanziell zu beteiligen, wird ersucht, sich an die »Intiative Hoffnung konkret«, Bergstraße 22 (Tel.: 870 828) zu wenden und/oder Spenden auf das Konto 291 55 06, BLZ 55000 bei der Hypo Bank Salzburg zu überweisen.

Dank an: Brunhild Krumm, Alenka Kemptner, UNHCR, Rechtsanwalt Dr. Gerhard Mory.

Wilhelm Kaufmann