oktober 1995

Thomas Neuhold

Die Tausend-Schilling Story

Die Teilnahme am gemeinsamen Markt bringt Preisvorteile - für die Unternehmen und nicht für die KonsumentInnen

Als im Jänner dieses Jahres, unmittelbar nach dem EU-Beitritt Österreichs, Staatssekretärin Brigitte Ederer verkündete, jeder heimische Haushalt werde sich durch die Union im Monat rund einen Blauen ersparen, lachte eine ganze Nation. Fragen nach dem Nährwert von Schlagobers wurden sogar von jenen in Sachen EU gleichgeschalteten Medien gestellt, deren Journalisten monatelang jeden Propagandaschmäh in Sachen EU nachgebetet hatten. Haderers Schlagobers-Cartoon ist ohnehin legendär.

Genau betrachtet war Ederers Prognose aber gar nicht so falsch: Hätte sie einen relativierenden Konjunktiv - »könnte sich ersparen« - verwendet, wäre sie der Wahrheit schon näher gekommen. So aber ist sie in sozialdemokratischer EU-Naivität den heimischen Unternehmern auf den Leim gegangen. Die SPÖ-Funktionärin hat einfach das Prinzip Profitmaximierung vergessen, nach welchem der Kapitalismus nun einmal funktioniert. Tatsache ist - auch EU-Kritiker haben sich das einzugestehen -, daß die EU im Lebensmittelbereich enorme Preisreduktionen bringen könnte. Faktum ist aber auch, daß diese von den österreichischen Unternehmern nur mit äußerster Zurückhaltung weitergegeben werden.

Daß das Gefühl im Supermarkt, daß wieder einmal am Konsumenten zusätzlich verdient werde, auch beweisbar ist, haben wir - quasi als Wiedergutmachung zum sozialdemokratischen EU-Sündenfall der Gitti Ederer - auch einer sozialdemokratisch dominierten Organisation zu verdanken: Die AK hat mit regelmäßigen Warenkorberhebungen vor und nach dem EU-Beitritt die Preisentwicklungen in den beiden Hauptstädten Wien und Berlin verglichen. Demnach ist der durchschnittliche Warenkorb an Lebensmitteln mit Erhebungsstand Juni 1995 in der Bundeshauptstadt Wien für den Konsumenten um 8,6 Prozent teurer als in der deutschen Hauptstadt Berlin. Die Preise in Wien sind durch den Beitritt für den Konsumenten nur um 2,5 Prozent gesunken, im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel etwa nur um 1,2 Prozent. Die Großhandelspreise für Nahrungs- und Genußmittel (ohne Tabak) sind von November 1994 bis Mai dieses Jahres um 6,6 Prozent gesunken, der Verbraucherpreisindex um 0,1 Prozentchen. Die Spannen, die sich die EU-Gewinnler zusätzlich »einsackeln«, sind enorm.

Ein Beispiel: Laut AK sind die Preise, die Züchter und Bauern für Schlachtrinder erhalten, um rund zehn Prozent gefallen. Rindfleisch wurde somit um 4,80 Schilling je Kilogramm billiger. Schlecht für die Bauern, aber gut für die Konsumenten - möchte man meinen! Die Konsumenten zahlen dennoch um 4,6 Prozent mehr für das Rindfleisch.

Es gibt freilich auch überaus durchschlagende Preissenkungen zu melden: Milch und Milchprodukte sind durch den Beitritt gleich um 14 Prozent billiger geworden, Nudeln um 11 Prozent, und auch der Schokopreis ist um stattliche acht Prozent gefallen.

Niedrigere Preise sind manchmal allerdings auch ziemlich relativ: So ist beispielsweise die Babynahrung um 6,2 Prozent billiger als vor dem EU-Beitritt. Aus Sicht der jüngsten EU-Bürger, und insbesonders aus der ihrer Eltern ein Grund zur Freude, könnte man meinen. Nicht wirklich, wenn man bedenkt, daß die selbe Produktpalette in Berlin um 14,4 Prozent weniger kostet als in Wien. Angesichts der hohen Rohstoffanteile (Milch- und Getreidekomponenten) muß also der »Schnitt«, den die Flascherl-Mixer an den Kleinsten machen, nach dem EU-Beitritt enorm gestiegen sein. Aus Sicht des Konsumenten müßte die EU mehr bringen. »Für eine Familie mit einem Baby ergeben sich übers Monat gerechnet Mehrkosten von über 150 Schilling gegenüber dem EU-Nachbarn BRD«, stellt die Arbeiterkammer fest. Und das sind immerhin schon zehn Prozent der monatlichen Familienbeihilfe.

Besonders schmerzlich sind die Teuerungen, die die EU nach Österreich gebracht hat. In Sachen Ernährung ist die Union nämlich eine etwas ungesunde Sache: Schweinefleisch kann zwar um rund fünf Prozent billiger erworben werden; Obst, Gemüse und Salat - und nicht nur die Bananen - waren im Juni aber um 11,6 Prozent teurer als 1994.

Die AK steht mit der Kritik am heimischen Preissystem nicht allein da: »Die Verbraucher profitieren bisher von der Senkung der Agrar-Preise nur zum Teil und meist weniger als erwartet«, so die Bilanz des Wirtschaftsforschungsinstitutes. Laut WIFO bleiben die Gewinne insbesondere beim Großhandel hängen: »In Österreich sind mehr Zwischenstufen eingeschaltet. Vieles geht über den Großhandel, was in Deutschland direkt von den Verarbeitern bezogen wird. Da ergibt sich schon die Möglichkeit, die Margen ein wenig aufzubessern.«