november-dezember 1995

Didi Neidhart
gehört

STRANGE SOUNDS FOR XXX-MAS

Wenn es wieder haufenweise unnötige CDs von noch unnötigeren Popstars mit Landsitz, Pferdezucht und eigenem Golfplatz gibt, dann bedeutet das nur eines - es weihnachtet wieder. Und so wie es heuer aussieht, wird uns dabei auch nicht die eine oder andere Weihnachtsweise im schlumpfigen Kindertechnogewand erspart bleiben, die dem Durchschnittskonsumenten dann wieder ein Bild von Techno suggeriert, das mit den eigentlichen Intentionen ungefähr soviel gemein hat, wie Vera Russwurm mit Hermes Phettberg auf dem Sektor Talk-Show. Das soll uns aber alles nicht besonders kratzen und kann uns auch, soweit sich die werte Nachkommenschaft nicht im totalen Schlumpftechnofieber befindet, gelinde gesagt powidel sein. Gibt es doch genügend CDs für die es sich lohnt Santa Claus (oder wen auch immer) anzubaggern.

Ein guter Tip für alle, denen die Ethno-Sounds der sogenannten Weltmusik zu folkloristisch ghettoisiert erscheinen und denen es bei ideologisch bedenklichen Zuschreibungen wie »ursprünglich« und »authentisch« den Magen umdreht, sind die aktuellen Veröffentlichungen des Brooklyner Wordsound Labels (in Ö von Ixthuluh vertrieben), das seine militanten Vorstellungen eines »multikulturellen« Soundclash (Zersetzung/Afrikanisierung westlicher Musiktechnologieen) aus dem Spannungsfeld zwischen Minderheitenpolitik, urban- em Guerilla-HipHop, radikalen Dub-Experimenten, Industrial-Techniken (Cut-Ups), Free Jazz (Sun Ra!) und DJ-Culture entwickelt. Die CD »The Red Shift« der Label-Chefs WORDSOUND bietet dabei einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Dinge und fährt dabei zwischen dem Brooklyn River und dem Nil auch noch mit P-Funk und astralen Spirituals herum.

Regelrechten Derwish-Dance- floor bieten dafür QUABALLAH auf ihrer 5-Track-CD »Dub In Fusion«, wo schon mal indische Tabla-Rhythmen mit Jungle-Grooves gekoppelt werden und hypnotische Beschwörungsformeln bösartige Mantras auf die Tanzfläche loslassen. Den Höhepunkt stellt aber das geheimnisvolle SESHAMBEH PROJECT dar. Statt Songtiteln gibt es kryptische Schriftzeichen, die Musik entzieht sich jeder Kategorisierbarkeit (klingt teilweise so, als hätten sich William Burroughs und Sun Ra einen Soundtrack für Brion Gysins Dreammachine ausgedacht) und begibt sich dabei in jene dunklen Regionen, in denen sich schon Industrial-Acts wie Throbbing Gristle, Psychic TV und Coil auf der Suche nach den Geheimnissen der marokkanischen Master Musicians Of Jajouka (die ihre hypnotischen Tribal-Sound nur bei den jährlichen Pan-Riten spielen) herumgetrieben haben. Musik, gefährlich wie der Fluch der Pharaonen. Motto: »Blackness Is Light«.

Wie es das Reich der Pharaonen nicht mehr gibt, so ist auch die DDR nur noch ein real existierender Mythos, den die einen nostalgisch verklären und die anderen am liebsten gleich ganz aus der Geschichte eleminieren wollen. Gut, daß es Kräfte gibt, die beiden Strömungen entgegenarbeiten und ein differnziertes Bild des »anderen Deutschlands« im Auge haben. Umso erfreulicher dann auch Projekte wie der Sampler »L’AMIGAMORE« (L’Age D’Or/Echo), der 20 feine Stücke »Tanzmusik aus der DDR von 1963 bis 1970« präsentiert. Zwar hatte Erich Honecker 1965 auf dem 11. Plenum des ZK der SED noch verkündet: »Niemand in unserem Staate hat etwas gegen gepflegte Beat-Musik.«, nur verstand man im Plenum darunter etwas ganz anderes als die von der amerikanischen »Unkultur« schon infizierten Musiker. Diese ließen sich davon aber nicht besonders beeindrucken und tarnten ihre Beat-Nummern einfach subversiv als Schlager oder Jazz. Herausgekommen sind dabei so herrliche Instrumentals wie »Sputnik Thema« (naheliegend), »Etage 8«, »Blues auf Rädern«, »Party Zeit«, »Elektron« oder die beiden obskuren Muzak-Nummern »Palmen am Meer« und »Das Jahr ist jung« des kambodschanischen Staatschef Prinz Norodom Sihanouk. Alles in allem exzellente DDR-Exotica-Sounds, die den damaligen BRD-Beat-Combos in absolut nichts nachstehen. Und mal ehrlich - wer hätte je gedacht, daß die Mecklenburger Seenplatte zu bester Surfmusik inspiriert?

Ganz andere Klänge hingegen auf der CD »Nuf« von NONPLACE URBANFIELD (Incoming!/Ixthuluh). Dahinter verbirgt sich der junge Kölner Elektronik/Klang-Bastler Bernd Friedman, der hier seine Vision einer »final corporate colonisation of the unconscious by sound« mittels blubbernden Ambientsounds, eleganten Dub-Bässen, liquiden Dope/Trip-Grooves, gewagten Pink Floyd-Samples (»Echoes«) und einem Mega-Remix von Birth Controls Diskothekenfeger »Gamma Ray« (hier als »Gamma Disco Dub« in seine wichtigsten Bestandteile zerlegt) vorstellt und damit eine der besten »New Electronic«-Veröffentlichungen dieses Jahres abliefert. Hypnotischer Stoff, aus dem man - einmal eingetaucht - nicht mehr so leicht rauskommt.

Zum Schluß noch der obligatorische, themenbezogene Tip für den Weihnachtsabend. Wenn auch schon vor einigen Jahren veröffentlicht, so erfüllt der Sampler »Bummed Out Christmas« (Rhino/Ixthuluh) jedes Jahr wieder seinen Zweck, nachdem der Gang durch den Advent schon orangenpunsch- und glühweingetränkt absolviert wurde und sich am 24. Dezember Körper, Geist und Seele zu einem kollektiven Katzenjammer verbünden. Alles halb so tragisch, verglichen mit den Songtiteln dieser CD, die da lauten: »Somebody Stole My Santa Claus Suit«, »Christmas Can Even Kill You«, »Santa Came Home Drunk«, »Lonely Christmas Call«, »Christmas In Vietnam« bzw. »Christmas In Jail«. Naheliegend fallen die Tränen hier in meist countryfizierte Biermusik, welche ja bekanntlich von Masochisten für Masochisten erfunden wurde. In diesem Sinne: »Frohes Fest!«