november-dezember 1995

Thomas Neuhold

Wir da oben - Ihr da unten

Anläßlich des 2. Salzburger Bergfilmfestivals im DAS KINO: »kunstfehler« goes outdoor. Über Trenkers Enkel und ihre Lust am Berg

Wenn der Herrgott wollen hätt', daß i am Berg geh', hätt' er aus mir an Gams g'macht.

(Lungauer Volksweisheit)

Es gibt Leute, die denken bei ðKletternÐ nicht an ihre Karriere und bei ðSeilschaftÐ nur ans nächste Wochenende.

(Werbung für Climbingwear)

»Trenker war ein Tiroler mit Erdwärme, dessen Stallgeruch die urbane Gesellschaft erregte«. So beschreibt Dieter Lehner, Leiter des Trenker-Archives, die Faszination Trenker anläßlich des fünften Todestages des Luis. Wer sich heute der modernen Bergsteigerei nähert, wird von diesem »Stallgeruch« beim ersten Hinschnuppern wenig bemerken. Trenkers Enkel haben sich von ihrem im April 1990 verstorbenen Urahn in Vielem längst emanzipiert.

Die Begeisterung für Hügel und Berge, Schnee und Eis, Almen und Wände ist damit jedoch keineswegs zurückgegangen. Für viele gilt sinngemäß auch heute noch, was Lehner über Trenker feststellt: Einer Gesellschaft, die den Komfort als sinnstiftend proklamiert, habe Trenker bewiesen, daß die frei gewählte Schwierigkeit eines Aufstieges die Qualität des erreichten Gipfels bestimmt. Allein in Salzburg zählen die alpinen Vereine weit über 10.000 Mitglieder. Als sich DAS KINO vergangenes Jahr zum ersten Mal an ein Bergfilmfestival wagte, hat der Publikumszuspruch die kühnsten Erwartungen übertroffen. Über 3.500 Bergbegeisterte haben sich in einer Woche Vertikales aus bequemen Kinosesseln reingezogen. Beinahe jeden Abend mußten Besucher unverrichteter dinge wieder abziehen: Überfüllt!

Bergsteigen hatte bei Trenker viel mit Dissidenz zu tun. Auch heute noch treibt - eine für den einzelnen oft schwer beschreibbare - Zivilisationsflucht die Menschen ins Gebirg' oder zumindest in die filmische Bilderwelt zum Thema. Die Werbestrategen wissen dies nur zu gut, wenn sie formulieren: »Es gibt Leute, die gehen lieber durch den ðBig WallÐ als durch die ðWall streetÐ.« Daß genau diese Zweifel an der Effizienz der Leistungsgesellschaft nicht nur eine wohltuende Huldigung an die Langsamkeit darstellen, sondern allzuoft in Fortschrittsfeindlichkeit umschlagen, liegt auf der Hand.

Hier ist gerade in der jüngsten Form des Alpinismus - der Sportkletterei - die Ablöse von den Altvorderen am stärksten ausgeprägt: Man ist jung, grell, bunt, freaky. Der Berg an sich verliert an Wert, er wird zum austauschbaren Sportgerät, an dem sich die Leistungsgrenzen in beängstigender Weise nach oben verschieben. An der Wiege der Sportkletterei in den 70er Jahren stand noch »die Flucht aus der Gesellschaft«, die Flucht vor dem klassischen Alpinismus. Das waren die alpinen Nachwehen der 68er. Heute dominiert ein Profizirkus samt Weltcup und Weltmeisterschaften die Szene. Die Kletterstars leben - wie bereits die professionellen Hochalpinisten vor ihnen - von Sponsor- und Werbeverträgen, die Umsätze der Ausrüstungsfirmen steigen dank ständig neuer technischer Entwicklungen ebenso rasch wie die Anzahl der Kletterer und Bergsteiger sowie ihrer urbanen Epigonen und »Ausrüstungssportler«.

Gleichzeitig öffneten die von den Traditionalisten oft mißtrauisch beäugten Freaks der Vertikale völlig neue Dimensionen. Klettertechnisch und gesellschaftlich: Die Jungen nahmen ihre gesellschaftlichen und politischen Werthaltungen gleich mit in die Bergsteigerszene. Klingende Namen wie Ben Moon, Claude Remy, Beat Kammerlander, Heinz Zak oder Susi Good starteten vergangenes Jahr die weltweite Aktion »Kletterer gegen Ausländerfeindlichkeit«. Und Frauen, im klassischen Alpinismus völlig unterrepräsentiert, haben sich in der Sportkletterszene einen festen Platz erkämpft.

Neu eröffnete Routen erhalten Namen wie »Che Guevara«, »Wehret den Anfängen« und (weniger politisch) »Zölibat«, »Waldschnaxler« oder »Täglicher Wahn«. In Tirol wurden Landkarten umgeschrieben, nachdem Kletterer ein besonders ergiebiges Gebiet umgetauft hatten. Die Gegend heißt jetzt »Ewige Jagdgründe«. Im »rotpunkt« - der Name des besten Klettermagazines in deutscher Sprache bezieht sich auf einen »rotpunkt« genannten Kletterstil - werden alpinistische Leistungen mit »Keine Atempause - Geschichte wird gemacht - Es geht voran!« kommentiert. Auf Kletterverbote - in der BRD sind aus »Naturschutzgründen« ganze Regionen für Kletterer gesperrt - wird in für Alpinisten nicht alltäglicher Form reagiert: Flugs die alten Transparente aus dem Keller, neue Parolen drauf und schon ziehen tausende Demonstranten durch die deutschen Städte.

Wer weiß, daß beispielsweise die Salzburger Sektion des Österreichischen Alpenvereines in ihrer Festschrift zum 125-Jahres-Jubiläum ihre Sektionsobmänner der vergangen zehn Jahre noch 1994 mit den Worten »aus alter Salzburger Bürgerfamilie« oder »aus eingesessener Salzburger Bürgerfamilie« abfeierte, kann erahnen, wie groß der kulturelle Bruch eigentlich ist.

Aber nicht nur die Politik stürzt viele der klassischen Alpinisten in arge Verwirrungen. Der vorsätzliche, bewußte Einsatz erotischer Signale im Klettersport läßt die Puritaner verzweifeln. Die männlichen Kletterprofis lassen sich und ihre makellosen Muskelkörper in der Wand mit Vorliebe halbnackt photographieren; die weiblichen Stars der Szene tragen nur unwesentlich mehr am Körper; die engstanliegenden Höschen sind zugegebenerweise notwendig, um sich nirgendwo in der Wand zu verheddern, machen aber die Geschichte nicht gerade jugendfreier. Mehr Bekleidung ist übrigens auch nicht sinnvoll: Geklettert wird vorzugsweise sehr mondän in Südfrankreich, Spanien, Portugal und nicht in den Alpen, wo man sich ohnehin nur den Arsch abfriert.

Empfindsame alpine Seelen haben da längst die Haken aus der Wand geschlagen und erwarten nun stündlich den freien Fall. Sie sollten sich lieber wieder sichern. Vieles ist durchaus nicht neu und findet sich bereits in der Hochblüte des Expeditionsbergsteigens. Zum Beispiel die Kommerzialisierung: Viele der Erstbesteigungen - allesamt alpinistische Vorbildleistungen - auf den Bergen der Welt wurden erst durch Bücher, Filme und später Sponsoren ermöglicht. Vermarktungsprofi Reinhold Messner hat gezeigt, wie's geht.

In Folge der kolonialistischen Herrenbergsteigerei zieht heute ein ungeheurer Treck zu den Bergen der Welt. Die meisten Gipfelsiege sind längst »käuflich«. Neuerdings werden sogar 8.000er-Touren gegen Bares angeboten. Und der Bergsteiger ist plötzlich wieder weniger urbaner Flüchtling sondern Überbringer und Verbreiter der von ihm gescheuten westlichen Zivilisation. Die - negativen und positiven - Folgen seines Tuns unterscheiden sich wenig von jenen anderer »Reiseimperialisten«.

Zwar scheint es, daß die angegrauten »Nordwandgesichter« mit den »nackerten, langzotterten Adrenalinjunkies« ungefähr so viel zu tun haben wie die gesetzten Herren des Wiener Eislaufvereines mit einer Horde 18jähriger Inline-Skater, sie alle machen aber zumindest im Prinzip dasselbe. Es wundert daher nicht, wenn der Stilbruch längst übergeschwappt ist. Nicht nur, daß die »rotkarierten Lodenwalker« aus Vernunftgründen längst die Materialerfahrungen der jungen Kletterer und Hochalpinisten übernommen haben und in Gore-Tex unterwegs sind. Einige Fachmagazine, Literatur und alpine Vereine beginnen sich zunehmend aus ihrer Berg-närrischen Isolation zu lösen und nehmen gesellschaftliche Entwicklungen rundherum auch zur Kenntnis. Die Themenschwerpunkte liegen auf der Hand: Ökologie, Transit, Tourismus... Der Naturfreunde-Internationale kommt dabei zweifellos eine Vorreiterrolle zu. Im zweijährigen Rythmus werden über die Aktion »Landschaft des Jahres« gemeinsam mit einer Region in Europa (zur Zeit das Kärntner Lessachtal) erfolgreiche Projekte zur nachhaltigen wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Entwicklung gestartet.

Die »I muaß eam unterkriegn«-Mentalität ist dahin. Längst hat sich nämlich herumgesprochen, daß Berge nicht rufen. Sie stehen einfach nur so in der Gegend herum. Am Tag, in der Nacht und auch morgens um fünf, wenn die Bergbegeisterten, ihre Leidenschaft verfluchend, schlaftrunken das Kaffeehäferl gegen die Lippen zittern....