jänner-februar 1996

Didi Neidhart
gehört

LAUTER KRACH

Zuerst ein Tip aus traurigem Anlaß. Am 25. Dezember letzten Jahres starb Dean Martin. Angeblich soll er an Alzheimer gelitten haben. Doch spätestens, seitdem er vor ein paar Jahren alle Ärzte zum Teufel jagte und das Krankenhaus verließ, um in Würde und mit seiner eigenen Tagesration an Whisky auf den Tod zu warten, wissen wir, daß Dino zwar eher an Alkheimer litt, aber dabei ein Vorbild an Charakterstärke war. Da verwundert es auch nicht, wenn sich das Feierabendunternehmen von hauptberuflich bei Bands wie Giant Sand und Naked Prey tätigen Musikern THE FRIENDS OF DEAN MARTINEZ nennt und auf der nach dem Sinatra-Hit »The Shadow of Your Smile« (Sub Pop/Warner) benannten CD zwar keine einzige Dean Martin-Nummer covert, dafür aber mit herzergreifenden Steel-Gitarren und herzschmelzenden Geigen eine exotische Country & Western-Entziehungskurorchester-Stimmung aufkommen läßt, bei der man es sich aussuchen kann, ob die Reise hin zu künstlichen Paradiesen oder zum nächsten kritischen Leberwert geht. Mit dabei übrigens auch Giant Sand-Chef Howe Gelb als feuerwasserverscherbelnder Hillbilly-Thelonious Monk. Unbedingt antesten!

Auch eine dieser Herzensangelegenheiten, die man sofort in selbiges schließt, ist der Sampler LA PALOMA - ONE SONG FOR ALL WORLDS (Trikont/Extraplatte) mit 25 verschiedenen »La Paloma«-Versionen aus den letzten 100 Jahren (die älteste Aufnahme stammt aus 1899). Das Lied von der weißen Taube gehört ja zu den absoluten Spitzenreitern, was die ständige (Neu-)Produktion von Mythen, Träumen, Klischees und künstlichen Paradiesen betrifft, die um Themen wie Einsamkeit, Sehnsucht, Abschied, Begehren, Liebe, Wiederkehr, Tod, schwüle Exotik, die »Braut des Seemanns« (dem Hobby-Psychologen auch als Woge, die den Seemann schaukelt und als Schoß, der ihm zum nassen Grab wird, bekannt) und unendliche Ferne (ohne real-existierenden Zielpunkt) kreisen. Zu hören gibt es neben den klassischen Aufnahmen von Hans Albers, Benjamino Gigli, Freddy Quinn oder Katherina Valente auch spannende Jazzbearbeitungen von Jelly Roll Morton, Charlie Parker, Carla Bley, eine schwer in Tequila ertränkte Version des Tex-Mex-Königs Flaco Jimenez, eine Krautrock- »La Paloma« von Amon Düül II und Obskuritäten wie eine Moorsoldaten-Version der Straßenmusiker Otto & Bärnelli, weiters des ungarischen Tenors Szedö Miklos rundum gelungener Versuch, die melancholische Weite der Pußta mittels in den 20ern gerade hochpopulären Hawaii-Gitarrenklängen in geradezu ozeanische Dimensionen auszuweiten. Pflichtkauf für popular culture-Fans.

Wir wechseln die Lokalität und finden uns unvermittelt in einem fremden Raum/Zeit-Kontinuum wieder.

Das im letzten kunstfehler vorgestellte Wordsound Label aus Brooklyn bringt erneut die bekannten Koordinaten von HipHop und Dub gehörig durcheinander. Diesmal ist es sogar der Labelchef persönlich, der als SPECTRE mit »The Illness« (Ixthuluh) schwerste Geisterstunden-Dope-Beats (rein optisch schon an genreunüblichen Totenköpfen und Aleister Crowley-Zitaten angekündigt) auffahren läßt, die klingen, als hätte jemand Led Zeppelin-Grooves verlangsamt, dabei aber das Volumen auf Maximum gedreht. Black Magick-Dub-Hop aus der Hölle mit programmatischen Songtiteln wie »Spectre Meets The Psycho Priest In The Temple Of Smoke«, »Evil Dub«, »9th Secret Of The Order«, die natürlich voll sind mit grummelnden Sub-Bässen, gespenstischen Grusel-Orgeln und allerlei komischen Geräuschen, die das Hirn langsam mit »The Illness« infizieren. Sick Grooves For Bad People.

Durchgeknallter Mega-Wahnsinn auch beim Londoner Dub-Head-Experimentatoren-Kollektiv DIGI DUB, die auf ihrem Debut »16 Millions Of An Inch (Incoming!/Ixthuluh) irrsinnige Dub/Techno-Deformationen betreiben, bei denen man oft nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht und wie die Beine, bei denen alle anatomischen und motorischen Regeln außer Kraft gesetzt sind, über den Tanzboden fetzen.

Als Operation Mindfuck mit bösen Hintergedanken erweist sich dafür »Gyral« von SCORN (Earache/Echo), die diesmal ihre Vorstellung von düsteren Sound-Labyrinthen so weit treiben, daß die einzelnen Tracks wie eine wabbelige, kranke Abstract/Trip-Hop-Groove-Masse daherkriechen, auf der sich zirpende und zischende Sounds auf einer fiesen Möbiusschleife befinden. Da müssen Tracks gar nicht erst »Time Went Slow« heißen, um dabei an chinesische Wasserfoltern oder langsam auf die Haut tropfendes Wachs zu denken. Psycho-Dub vom feinsten. Wenn das so weiter geht, werden Scorn demnächst rezeptpflichtig!!

Eher an den Schnittstellen zwischen Inner und Outer Space ist hingegen der japanische Elektronik-Hexenmeister und Kraftwerk-Fan KEN ISHII interessiert. Am Cover seiner CD »Jelly Tones« (R&S/RTD/Echo) stellt er sich selber als »mutant with an unconventional contact to the universe« vor und produziert dabei aus schier undurchdringlichen Groovegeweben und wild herumflirrenden Melodie- und Klang-Partikeln herrliche, spannungsge- ladene Weltraum-Exotica, wie man sie sich nur zu gerne als Soundtrack für Star Trek - The Next Generation wünschen würde.

Wer es jedoch weniger hektisch und auch erdnaher haben will, sollte es vielleicht einmal mit »Tales Of The Unexpected« (Island/PMV) von DAVE ANGEL versuchen. Seine warm dahinfließenden Techno/House-Tracks werden ja in Fachkreisen geradezu in den Himmel gelobt. Aber wer einmal bei Sauwetter durch die Gegend stapfen mußte und dabei diese CD im Walkman hatte, kann dem nur leicht beschwingt und übers ganze Gesicht grinsend zustimmen.

Keep the groove movin’!