jänner-februar 1996

Thomas Neuhold
gelesen

MARKUS WOLF

»Geheimnisse der russischen Küche« (Rotbuch Verlag, Hamburg 1995.)

Alles hätte man ihm zugetraut, wirklich alles, aber ein Kochbuch? So ist das eben mit einem wie dem Markus Wolf. Der »Mischa«, wie Wolf von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt liebevoll genannt wird, war Chef des Nachrichtendienstes der Deutschen Demokratischen Republik und als solcher einer der bestgehaßten Kommunisten in der westlichen Hemisphäre. Viel Feind?, viel Ehr?: Heute versucht ihm die BRD-Justiz am Zeug zu flicken, was Mischa mit kühlem Lächeln und einem Kochbuch quittiert.

Das 230 Seiten starke, von Detlef Beck illustrierte Werk ist tatsächlich ein Kochbuch. In ihm findet Koch und Köchin alles Wissenswerte über Rußlands Genüsse von Sakuska - kommt in der Bedeutung etwa unserem Gabelfrühstück gleich - bis Borschtsch (Rote Rüben-Eintopf), vom Kwas (Brotbier) über Tschai (Tee) bis zum Wodka. Die Rezepte sind »praktikabel«, was soviel heißen will wie daß man, nach ihnen kochend (so man über genügend Einfühlungsvermögen in die slawische Seele und einigermaßen Erfahrung im Umgang mit Kochlöffeln verfügt), Dinge auf die Teller zaubern kann, von denen Rußlandreisende seit dem Einzug von McDonalds in die Moskauer Gastronomie selten etwas mitbekommen.

Mischa wäre nicht Mischa, wenn er sein Kochbuch nicht mit der einen oder anderen Geschichte aus der Zeit, als die Sonne noch rot im Osten aufging, garniert hätte. »Nicht-KöchInnen« und »Nur-LeserInnen«, die etwas über den »Mann ohne Gesicht« erfahren wollen, kommen so auch auf ihre Rechnung. Freilich soll sich niemand eine Neuauflage von Simmels »Es muß nicht immer Kaviar sein« erwarten, denn was Mischa zu berichten hat, ist Kundschafter-Realität und nicht Simmel-Fiktion. Dennoch fehlt es nicht an Humor. Wolf gibt altes sowjetisches Witzgut zum besten, wie etwa jene Anektode, nach der die Lubjanka (Sitz des KGB; Anm.) das höchste Gebäude Moskaus gewesen sei, da man von ihr bis nach Sibirien sehen hätte können.

Mischa beendet sein Kochbuch mit einem der beliebtesten russischen Trinksprüche, der wohl mehr über die russische Befindlichkeit sagt als manche wissenschaftliche Untersuchung: »Trinken wir auf unsere Särge. Mögen diese aus guten Bohlen vom Holz einer hundertjährigen Eiche gezimmert sein. Diese Eiche habe ich heute früh gepflanzt! Na sdorowje!«