jänner-februar 1996

Gudrun Seidenauer
zu gast

Klaus Theweleit

Orpheus, verhüllt, Andy Warhol, Drella (=Kreuzung von Dracula und Cindarella) stand im Mittelpunkt der Lesung Klaus Theweleits aus dem zweiten Band des monumentalen Buch der Könige. Wer den Theweleit’schen Sprachduktus in seiner unvergleichlichen Vernetzung von biographisch-historisch-soziologischen facts mit der zügellosen Methode der »freien« Assoziation genießen konnte/wollte, mußte freilich eine (gerade unter Intellektuellen erstaunlicherweise schier unausrottbare) Hoffnung fahren lassen: diejenige, daß da draußen jetzt einer säße, der uns sagt, wo’s langgeht und wie’s so wirklich ist mit dem Verhältnis von Kunst und Macht und Mann und Frau. Theweleit ist ein obsessiver Sucher, der es sich leisten kann, sein Denken so offen zu halten, daß von vielen Textstellen aus selbst weitergedacht und -fantasiert werden kann, daß Hinsehen ermutigt und nicht ausgeknipst wird, weil da einer schon alles ausgeleuchtet hat. Warum? Paradoxerweise gerade weil Theweleit jede Menge ausleuchtet, die in der medialen Produktion der Kunstfigur Künstler/Großkünstler á la Warhol, Benn, Pound, Elvis, Hamsun etc. eben verborgen bleiben muß, zumal geradezu conditio sine qua non für die zweite Geburt als Künstler: Da ist einmal die spezifische Beziehung zur Mutter häufig Turbo (männlicher) Kunstproduktion. Und eine Hypersensibilität für das Ankoppeln eigener Äußerungen an den Machtpol, ein (wohl zwingend) unbewußtes Sich-ins-Spiel-Bringen, das mit »Sich Verkaufen« keineswegs hinreichend auf den Punkt gebracht ist. Im Falle des Pop-Art-Kings Warhol heißt das Spiel etwa Produktivmachen der Leere, Serielles, das den Tod aufhebt (weil vom Körper des Künstlers unabhängig reproduzierbar), ein Spiel, das man mögen oder verachten kann. Moralische Kategorien, täten sie was zur und in die Sache, ins Traumboot Wissenschaft (Theweleit), würden die Fahrt nur bremsen, gar verunmöglichen. Und Frauen als Künstlerinnen? Schwierig, schwierig. Besonders als Großkünstlerinnen: No chance. Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch hierfür als Begründung keine mono-kausal-hanebüchene Einweg-Patriarchats-Jammerei, vielmehr schmerzhafte Nüchternheit: Zwischen Muse und Mutter ist’s eben eng. Und zwar nicht nur außen, in der bösen man’s world. Auch und vor allem innen. Bleibt die gute alte Tradition als des Künstlers weibliches Medium: Echo, das die Töne zurückwirft, und bisweilen Vampir. Auch nicht schlecht. Besser: Selber Theweleit lesen, genießen, diskutieren mit dem Funken Frohsinn und Frechheit, der in Theweleits Satz »Begründen-kann-man-alles-wenn-man-nicht-ganz-blöd-ist« aufblitzt, und der mir nach wie vor als einer seiner Leitsätze erscheint.