jänner-februar 1996

Didi Neidhart

Dahoam is dahoam

Neue Volksmusik und Austro-Pop als blauäugige Heimatpflege

Am Wahlsonntag war es wieder einmal soweit. Unabhängig voneinander nannten Haider und Petrovic bei ihren ersten Stellungnahmen den »Angstwahlkampf der Regierung« als Grund für das Scheitern ihrer jeweiligen Wahlziele und provozierten damit die Frage, ob politisches Bewußtsein (wie auch immer portioniert und gelagert) und Farbenlehre (Blau plus Gelb gleich Grün bzw. Grün minus Gelb gleich Blau) vielleicht doch etwas miteinander zu tun haben.

Nur, so einfach ist es dann auch wieder nicht, bedenkt man nur, in welchem Jammertal das österreichische Bewußtseinsschmalz meist gemütlich hin und her schwappt und sich dabei durch selbstgebastelte Dämme und Flurbereinigungen bis hin zum Zustand eines toten Gewässers selbst reguliert. Oder war das einfach ein Zufall, wo man sich auf einer Ebene getroffen hat, auf der auch die Hainburger Au und das Bärental nur »Natur« und »schön« sind? Es ist halt schon ein Kreuz mit diesen ganzen liebgewonnenen und mit soviel positiven Gefühlen tapezierten Wörtern. Besonders dann, wenn jemand daherkommt, neue Tapeten raufklatscht und niemand merkt, daß es sich dabei um das Muster des Wandverputzes handelt, müßte man sich doch im Augenblick der Erkenntnis die bange Frage stellen, was quatsche ich da eigentlich daher.

Nun sind kürzlich zwei Bücher erschienen, die sich mit Neuer Volksmusik bzw. Austro-Pop beschäftigen und deren Hauptcharakteristikum sich, neben einigen Stücken Pflichtlektüre, in gefühlslinks-liberaler Blau-Äugigkeit manifestiert.

Da stellt Johann Skoceks zwar in seiner Hubert von Goisern-Analyse »Heimat fern der Heimat« folgerichtig fest, daß Pop und Heimat bzw. Scholle sich ausschließende Begriffe sind und HvG daher nicht Pop sein kann, greift dann aber tief in den Gatsch, wenn er meint, daß Begriffe wie »Heimat, Region, Volk« von den Nazis »entpolitisiert« wurden.

Mehr als bedenklich wird es dann aber bei dem, was hier von Musikern unwidersprochen als Kulturbegriff angeführt wird und sich dabei problemlos in den Diskurs der Neuen Rechten (»Reinheit«, »Ursprünglichkeit«, vermeintlich unhintergehbares Erbe) einfügt.

Da können Aniada A Noar drüber philosophieren, ob die neuen Volksmusiktendenzen (das sich durch die ganzen Interview ziehende Feindbild Attwenger, vor allem wegen urban, dreckig, goschert) einen schädigenden oder zerstörenden Einfluß auf »unser Erbe« haben (die CD heißt natürlich »Gwoxn«), werden Oberlehrer wie Broadlahn wegen »Harmonie« und »Ausgewogenheit« gepriesen (»Volksmusik strebt nach Klarheit, nicht nach Dreck unter den Fingernägeln« - vielleicht der Grund, warum »dirty fingernails music« wie Cajun und Zydeco um so vieles geiler ist) und bekennt sich Hubert von Goisern zum urigen Essentialismus, wenn er meint, daß er in seiner Muttersprache »vü mehr I« zu sein scheint. Der Weg zum Soundtrack für den Blut und Boden-Schinken »Schlafes Bruder« war also, trotz Anti-Haider-Songs, kein weiter. Genau das ist der Punkt, wo sich das »anständige Österreich« mit »den Anständigen« auf dem Feld der Kultur trifft und sich gefühlslinke Sehnsucht nach Heimat und Identität gepaart mit antizivilisatorischem Kulturkämpfertum als nützliches Idiotentum in den Dienst neu-rechter Diskurse stellt und diese mainstream-kompatibel macht. Denn auch die »Gutmenschen« hängen einem Begriff von Identität nach, der daran glaubt, dieses Eins-Sein (mit sich, der Natur, der »gewachsenen« Kultur der Heimatscholle) einst mit der Muttermilch aufgesogen zu haben. Nur wurde es, besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, durch dieses »amerikanische Drecksgesäusel« (Haindling, nicht Syberberg) entartet, d.h. entwurzelt, entfremdet und im schlimmsten Fall überhaupt in Frage gestellt.

Auf der Suche nach »Authentizität« und »kultureller Identität« reist der neue Volksmusikant aber auch viel herum, wobei er vornehmlich zu den Wilden (Goiserns Philippinen-Experience) geht, welche, wie der Name schon suggeriert, noch in ursprünglicher Symbiose mit sich und der Umwelt leben, integriert ein irres afrikanisches Holzinstrument in einen Landler und lernt dabei wieder so unendlich viel von Heimat, Identität, gewachsener Volkskultur und dem Ich (bzw. dem, was sich humanistisch-universalistisch fühlende Mittel-Europäer darunter zusammenromantisieren). Natürlich geht man (mit Ausnahme Attwenger) nicht zu den entwurzelten, verwestlichten und moderne Technologien verwendenden HipHop-Niggaz. Auch der Multikulturalismus hat seine Reinheitsgebote.

Warum soll da über Austro-Pop anders nachgedacht werden als so: »Woran liegt es also, daß sich zu einer Zeit, als heimische Musiker zu ihrer Identität fanden und sich der deutschen Sprache, regionalem Dialekt und lokalen Chiffres verschrieben, als Sammelbegriff der Anglizismus »Austro-Pop« etablierte?«

Würde man Popmusik als internationalistisches, kosmopolitisches und globales Kommunikations-Netzwerk verstehen, stellte man solche nationalen Fragen wohl nicht so unbekümmert.

Nun sind die beiden Bücher aber nicht nur als Analysegegenstand für den Zustand des kulturalistischen Main- stream-Diskurses (die meisten Autoren publizieren hauptberuflich bei profil und Standard) zu gebrauchen. Es gibt, wenn auch spärlich gestreut, überaus differenziertes und lesenswertes Material, bei dem sich zudem die Blauäugigkeit des Rests umso mehr manifestiert.

So z. B. Wolfgangs Kos’ Überlegungen zur Grundthematik Volkslied (von Traditionspflegewärtern als regional verwurzelt definiert) versus Folksong (global entwurzelt herumschweifend) und der differenziellen Gewichtung von Land/Stadt und Seßhaftigkeit/Nomadentum sowie Doris Knechts mehr als lesenswertes die-Faust-aufs-Schräg-dahoam-Blauauge-Interview mit dem FSK-Musiker und Radio-DJ Thomas Meinecke (»Ich glaube, das schlimmste, was der Volksmusik passierte, war, daß so pensionierte Oberlehrer das Zeug aufgeschreiben haben, und immer dann, wenn in Wirklichkeit gebumst wurde, die einfach nur den Hirsch auf die Lichtung treten ließen.«), der mit seinen Statements über die Kunst der produktiven (transatlantischen) Mißverständnisse, bastardisierte Volksmusiken, die subversiven Potentiale des Fremd-Seins in der eigenen Kultur und die Re-Kontextualisierung von Volksmusikelementen nicht nur den avanciertesten, sondern auch den schärfsten Gegen-Diskurs führt.

Interessanterweise wird da beim Austro-Pop schon etwas mehr in der österreichischen Seele herumgebohrt. Was dabei herauskommt, kann schon mal »Blut und Boden-Light« sein, wie Klaus Nüchtern bei Rainhard Fendrichs »I am from Austria« anhand der »Stimme des Blutes«, die hier bemüht wird, belegt. (»Strada del Sole« war ja auch nicht so ohne.) Es wird aber auch ein Popmusikverständnis auf den Punkt gebracht, welches wahrscheinlich nur in einem Land entstehen kann, in dem Popmusiker ehemalige Beamte bzw. Beamte ehemalige Musiker sind. Wenn etwa Michael Hopp in seinem Austro-Pop-Abschlacht-Klassiker »Schickt Ambros in Pension« schreibt, »Sie haben eine Popmusik erfunden, die den Leuten gefällt, die Popmusik nicht mögen«, dann fällt einem ob der Eliminierung anglo/afro-amerikanischer Elemente und des Rückgriffs auf europäische (Hoch-)Kulturformen nur ein Begriff ein - »Ausmisten«. So war es vielleicht nicht gemeint, aber so ist es passiert. Ein österreichisches Hoppala eben - eh wurscht!

Christian Seiler (Hrsg.):

Schräg Dahoam. Zur Zukunft der Volksmusik

(Hannibal)

Walter Gröbchen (Hrsg.):

Heimspiel. Eine Chronik des Austro-Pop

(Hannibal)