jänner-februar 1996

Mario Jandrokovic

Bewahren, was nicht mehr da ist

Durch einen Neubau gelangt Mozarts Wohnhaus am Makartplatz wieder zu verlorener Ursprünglichkeit zurück.

Nun ist wiederum ein Stückchen Salzburg zur Vollendung gekommen, von jenem Salzburg, wie es früher einmal immer war und wie es auch heute und morgen wieder sein sollte. Das neu errichtete historische Gebäude am Makartplatz ist auch schon seiner Funktion übergeben worden: mit diversen Läden zum Beispiel, die etwa Kulinarisches für den Hör- bzw. Gaumengenuß feilbieten. Die Internationale Stiftung Mozarteum, die als Bauherrin Mozarts Wohnhaus in seiner »ursprünglichen« Form wiederherstellte, nutzt das zu seinen historischen, bescheideneren Dimensionen zurückgeführte Gebäude als Gedenkstätte für den genius locii einschließlich Film- und Tonarchiv. Finanziert wurde das Ganze in erster Linie durch großzügige Schenkungen, vornehmlich einer japanischen Versicherungsgesellschaft; ein Hersteller von Mozartkugeln ließ sich bei dieser großen Sache auch nicht lumpen.

Das Haus, das nunmehr in biedermeierlicher Façon sein Haupt zwei Stockwerke hoch vor dem großen Sohn der Stadt geneigt hat, wird sich Pilgerscharen aus aller Herren Länder als Schaubild gelebter Geschichte darbieten, und auch für die einheimischen Passanten wirkt der so diskret alt aussehende Neubau inzwischen längst wie etwas schon ewig Dagewesenes, am »natürlichen« Lauf der Stadtgeschichte Teilhabendes; wer die Vorgänge hinterm Bauzaun mitverfolgt hat, weiß nunmehr also, daß Beton tatsächlich ein Stück Natur ist.

Das Quentchen mehr an Stadtbild, das bei Panoramafahrten passende Stimmung erzeugt, wäre eigentlich kaum der Erwähnung wert, hätte sich nicht im Vorfeld des Umbaus eine Phalanx ortsansässiger Schönheitsbewahrer auf argumentative Hinterbeine gestellt, die einiges an Auskunft darüber geben, welches urbanistische und geschichtliche Selbstverständnis dem Lebensraum Mozartstadt einen prägenden Stempel aufdrückt. Darüber gibt auch das 1987, am Höhepunkt der Debatte erschienene Buch mit dem bezeichnenden Titel »Die demolierte Gegenwart« Aufschluß, in dem der Kunsthistoriker Thomas Zaunschirm die Querelen rund um den alten, inzwischen abgerissenen Neubau und den nunmehr neu geschaffenen Altbau detail- und geistreich dokumentiert und auch mit fundierter Polemik kommentiert hat.

Womit die Befürworter des Rückbaus in erster Linie Legitimität gesucht (und nebenbei auch ihren Visionen von der Zukunft der gesamten Stadt Ausdruck verliehen) haben, ist bezeichnenderweise die Flucht in Geschichtliches, welches die Aura des Wahren, weil unverrückbar Bestehenden umgibt. Der Wirtschaftswunderbau am Eck zur Theatergasse, der den Platz der 1944 zerbombten Haushälfte eingenommen hatte, wurde dabei als seltsame Ent- gleisung aus einem vorbedingten Lauf der Geschichte gewertet, als Schandmal, das sich offenbar von außerhalb dieser Geschichte in ein historisches Ensemble eingenistet hat und so »der historisch wichtigen Blickachse Mirabellgarten-Festung«, welche die Sachverständigenkommission für die Altstadterhaltung der Landesregierung konstatiert hat, im Weg gestanden ist. Nun ist es ja ausgestanden, und wir können als ausführende Organe der Geschichte der Mozartstadt wieder unseren historisch bedeutsamen Blick auf Hohensalzburg werfen, während wir auf den O-Bus warten.

Tausende dieser ausführenden Organe hätten, so stellte ÖVP-Klubobmann Fritz Peham, eine der entscheidenden Triebfedern der Rückbau-Initiative, in einem Leserbrief fest, in den Fünzigern »durch beispielhaftes öffentliches Engagement« die unversehrte Hälfte von Mozarts Wohnhaus »gerade noch vor dem Abriß retten« können. In Wirklichkeit hat Salzburgs Bevölkerung in den Trümmern der unmittelbaren Nachkriegszeit offenbar nur verhaltenes Interesse dafür gezeigt, das touristische Zugpferd Mozart architektonisch zu zäumen: Der denkmalgeschützte Rest sei, so Thomas Zaunschirm, durch einen Bescheid aus Wien, und zwar gegen eine anderweitige Zusicherung der Stadtgemeinde, gerettet worden.

Dieses Ja zum Rückbau, das offensichtlich alle Zeit gegolten hat, läßt letztlich auch die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt als historischen Ensemble erscheinen, als statisches Element einer zeitlosen Kulisse. Wer einen anderen Standpunkt eingenommen hätte, wäre offenbar der bedeutsamen Blickachse auf einen historischen Fluchtpunkt im Weg gestanden, an dem das ursprüngliche, echte Salzburg zu finden ist - ein Salzburg, in dem man, ganz selbstvergessen, eins wird mit jenem Gemäuer; ein Platz, an dessen Geschichte nicht Nazizeit, nicht Wirtschaftswunder und schon gar nicht städtebauliche Fragen der Gegenwart gröbere Spuren hinterlassen konnten.