jänner-februar 1996

GastautorIn

Weichenstellungen

Die Salzburger Politikwissenschafter Franz Fallend und Elisabeth Wolfgruber über die Nationalratswahl 95.

»Die Richtungsentscheidung«

( Wolfgang Schüssel)

So ist es! Die WählerInnen haben zum einen dem Szenario eines bürgerlich-konservativen Regierungsblocks eine deutliche Absage erteilt, zum anderen ist die SPÖ als eindeutige Wahlsiegerin aus dem Wahlkampf 95 hervorgegangen (und zwar mit einem Zuwachs um 6 auf nunmehr 71 von 183 Mandaten). Indem sie sich kompromißlos von den Freiheitlichen unter der Führung Haiders abgrenzte und erfolgreich das Szenario einer schwarz-blauen »Kahlschlag«politik kolportierte, gelang es ihr, 145.000 WählerInnen zu mobilisieren, die 1994 den Gang zur Urne verweigert hatten. Ansonsten dominierten im SP-Wahlkampf ideologische Schlagworte, die die Fortführung bisheriger Politik suggerieren sollten und nicht zuletzt von fehlenden zukunftsorientierten Konzepten sozialdemokratischer Reformpolitik abzulenken suchten.

Gemessen an dem gesteckten Ziel - nämlich relativ stimmenstärkste Partei zu werden und den Kanzler zu stellen - ist die ÖVP in die Reihe der Wahlverlierer einzuordnen. Sie konnte ihren Stimmenanteil zwar erhöhen (53 Mandate), der Abstand zur SPÖ als nach wie vor stärkster Partei vergrößerte sich jedoch auf zehn Prozent. Wie im Grunde schon die Reaktionen auf den Abbruch der Budget- verhandlungen zwischen den Koalitionsparteien signalisiert hatten, wurde das von taktischen Überlegungen bestimmte Provozieren von Neuwahlen von der Bevölkerung keineswegs honoriert. So sehr sich die ÖVP-Spitze mit ihrem Schüssel-Ditz-Kurs auch als zukunftsorientierte Reformkraft präsentieren wollte, so wenig gelang ihr dies trotz breiter medialer Unterstützung: Die sozial unausgewogenen und unangemessenen Sparvorschläge ermöglichten es der SPÖ, sich in der Wahlauseinandersetzung als Gegenpol zu profilieren. Radikale (Spar-)Programme, die nicht mehr um sozialen Ausgleich bemüht sind, erzeugen berechtigterweise Verunsicherung. Und Reformen im wesentlichen darauf zu reduzieren, Einsparungen (konzentriert auf den Sozialbereich) vornehmen zu wollen, mußte der ÖVP mehr schaden als nutzen.

Ähnlich wie die ÖVP hat auch die Freiheitliche Bewegung ihr Wahlziel (24 bis 26 Prozent der Stimmen) bei weitem nicht erreicht. Erstmals seit 1986 verliert die F-Bewegung und hält 40 Mandate. Daß dies als Reaktion auf das Ausreizen des (rechts-)populistischen Politikstils gewertet werden kann, ist zuviel der Hoffnung. Wohl aber läßt sich festhalten, daß sich der Zuspruch, den die Haider-Bewegung als Opposition erhält, nicht auf die Option erstreckt, die F-Bewegung auf den Regierungsbänken zu sehen. Mit der Infragestellung der parlamentarischen Demokratie (Stichwort »Dritte Republik«) ist Haider weiter gegangen, als ihm die WählerInnen zu folgen bereit waren. Dabei ist jedoch zu differenzieren: Verlusten in den östlichen Bundesländern (vor allem in Wien!) stehen Gewinne in westlichen Bundesländern (Tirol, Vorarlberg und Salzburg) gegenüber. Besonders in Tirol profitierte die F-Bewegung von der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit den Folgen des EU-Beitrittes (Transit, Einkommensverluste der Bauern). Bedenklich erscheint auch die Tatsache, daß über 30 Prozent der JungwählerInnen Haider gewählt haben.

Der Höhenflug der Grünen ist hingegen jäh abgebrochen. Mehr als ein Drittel ihrer Stimmen mußten sie abgeben - an das LiF, die SPÖ und die ÖVP. Schon im Wahlkampf 94 waren die Grünen in den Ring massenmedial zugeschnittener Politikinszenierung eingestiegen, und es schien, als würden sie dieses Metier besser beherrschen als so manche ihrer KontrahentInnen. Die zunehmende Zentrierung der Grün-Politik auf die Spitzenkandidatin Petrovic wirkte sich jedoch kontraproduktiv aus - Inhalte, für die die Grünen zweifellos stehen, wurden zu wenig vermittelt. Dazu kommt, daß im Wahlkampf 95 Themen im Vordergrund standen (Budgetpolitik), mit denen die Grünen nicht automatisch assoziiert werden. Und schießlich widersprach das zeitweise Kokettieren mit einer Regierungsbeteiligung dem bisherigen Selbstverständnis der Grünen als kontrollierende Opposition im Parlament. Als Konsequenz halten die Grünen nunmehr bei 4,6 Prozent der Stimmen bzw. bei 9 Mandaten (1994: 13). Das Rücktrittsangebot der Spitzenkandidatin Petrovic reiht sich in die Angleichung der Grünen an andere politische Akteure, auf Stimmenverluste mit personellen Maßnahmen reagieren zu wollen.

Nicht nur, daß die Grünen vom Liberalen Forum stimmen- und mandatsmäßig überholt wurden, wanderten außerdem nicht wenige Grün-WählerInnen zum Liberalen Forum, und das, obwohl die Partei von Heide Schmidt nach wie vor außer Heide Schmidt wenig zu bieten hat. Der Verlust von 0,7 Prozent an Stimmen bedeutet jedoch auch für die Liberalen, mit zehn, anstatt wie bisher mit elf Mandaten im Parlament vertreten zu sein.

Aus dem bisher Gesagten ist in jedem Fall abzuleiten: Die wegen des steigenden Budgetdefizits und der angestrebten Wirtschafts- und Währungsunion erforderliche Budgetsanierung muß sozial ausgewogen erfolgen. Gerade die in den letzten Wochen vor der Wahl über die TV-Bildschirme laufenden Bilder von den Streiks und sozialen Unruhen in Frankreich sollten den politisch Verantwortlichen vor Augen führen, daß politische Maßnahmen nicht losgelöst von der betroffenen Bevölkerung erfolgen dürfen.

Prognosen im Hinblick auf die Zusammensetzung der nächsten Regierung sind problematisch: Die SPÖ hat ihre Verhandlungsposition in den anstehenden Koalitionsverhandlungen deutlich verbessert, das Gesprächsklima mit der ÖVP hat jedoch durch die Vorgänge rund um den Abbruch der Budgetverhandlungen und gegenseitige Untergriffe während des Wahlkampfes sichtbar gelitten. Beide Parteien, jedoch insbesondere die ÖVP, haben deutlich gemacht, daß sie von den Grundzügen ihres jeweiligen Sparprogramms nicht abzurücken gedenken. Bleibt die jetzige personelle Zusammensetzung unverändert, scheint eine Neuauflage der Großen Koalition ferner denn je. Ob daran eine mögliche Regierungsbeteiligung der Liberalen etwas ändert, sei dahingestellt. Eine schwarz-blaue Koalition ist damit nicht ausgeschlossen. Ob ÖVP-Obmann Schüssel ein solches Experiment riskiert, ist allerdings fraglich: Zwar hat er sich im Wahlkampf nie klar von der F-Option distanziert, womit die Volkspartei, gemessen an ihrer Stärke, einen unverhältnismäßig hohen Verhandlungsspielraum gegenüber der SPÖ hat. Ihr ist jedoch bewußt, daß eine Koalition mit der F-Bewegung bürgerlich-liberale WählerInnen verprellen würde, aber auch international auf Kritik stoßen würde. Und schließlich sind die in den kommenden Jahren notwendigen Spar- und Reformmaßnahmen schwerlich gegen den Widerstand der SPÖ durchzuführen.

Christian Fuchs,

1952 in Wien geboren.

Er studierte Theaterwissenschaften und arbeitet als Chefdramaturg am Salzburger Landestheater. Mitbegründer des Falter, Buchautor, Beiträge für Zeitschriften, Hörfunk, ferner Drehbücher, Opernlibretti...