jänner-februar 1996

Ursula Rotter
titel

»Tapperl Papa Täntahooo«

Die Novelle des Tagesbetreuungsgesetzes, das alle Belange von der Bedarfserhebung bis hin zu passenden Klomuscheln regelt, novelliert an den wahren Bedürfnissen vorbei.

Bis vor kurzem zitterten über hundert Kleinkinder und vor allem deren Eltern um ihren Betreuungsplatz. Aufgrund der akut gewordenen Finanzmisere der Salzburger Kinderfreunde, verursacht durch deren ehemaligen Obmann Herbert Fartacek, bedrohte der Konkurs Krabbelstuben und Kindergärten des Vereins. Doch der Ernstfall konnte noch einmal abgewendet werden. Rund 12 Millionen Schilling schossen die Bundes-Kinderfreunde und die SPÖ in einer Feuerwehraktion der finanzmaroden, durch jahrelanges Miß-Management heruntergewirtschafteten, parteinahen Landes-Organisation zu. Jede Menge Kohle, möchte man meinen. Doch de facto noch immer zu wenig, um den eklatanten Schuldenberg abzutragen. So kann die derzeitige Landessekretärin der Salzburger Kinderfreunde, Ricky Veichtlbauer, seit September die anfallenden Rechnungen für die Verköstigung der Kinder nicht mehr zahlen. Deshalb blieb dem Verein auch heuer - trotz Durchforstung aller Kosten - wieder keine andere Wahl, als um weitere finanzielle Unterstützung anzusuchen. Das Budget für 1995 scheint nach letzten Erkenntnissen durch Initiative Landeshauptmann Katschthalers gesichert. Der schwarze Häuptling, der eigentlich als heftiger Verfechter von freiberuflichen Tagesmüttern gilt und mit »Großeinrichtungen« wenig Freude hat, hat sich beinah in letzter Sekunde bereit erklärt, durch einmalige Zuwendungen den Konkurs und damit die Schließung der Einrichtungen abzuwenden.

Doch der kürzliche K(r)ampf um die parteinahen Krabbelstuben zeigt nur ein Symptom der Krankheit »ausreichende Kinderbetreuung«. Rund 460 Kinder werden im Bundesland Salzburg durch Tageseltern in Anstellung, Krabbelstuben und Kindergruppen betreut. Tatsächlich kommen aber auf einen zu vergebenden Platz zwischen drei und fünf Anmeldungen - vor allem im Bereich der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Hier beträgt die prozentuelle Deckung lediglich 1,20%. Österreichweit ist die Lage auch nicht viel rosiger. Nur 2,13 Prozent aller unter Dreijährigen genießen die Vorteile einer fixen und zumeist auch verschworenen Spielgemeinschaft (Zahlen aus 1994). Im Vergleich dazu herrschen in Frankreich (vermutlich in Vor-Juppé-Zeiten) paradiesische Zustände: Ein Fünftel aller Kleinkinder hat einen gesicherten Betreuungsplatz.

Spielen wie »Kind in Frankreich« - mag sich da so manch verzweifelt einen Krippenplatz suchendes Elternteil denken. Denn die für Salzburg angepeilte Quote liegt ebenfalls bei 20 Prozent. Zumindest wenn es nach der SPÖ-Klubchefin im Landtag, Gabi Burgstaller, geht. Die Konsumentenschützerin schlägt dazu einen von der roten Landtagsriege ausgearbeiteten Stufenplan vor: Statt eines Platzes, wie bisher im Tagesbetreuungsgesetz verankert, fordert sie für das erste Jahr nach der im Jänner zu behandelnden Novelle zwei zugesicherte Plätze pro hundert Kindern zwischen null und sechzehn Jahren (leider werden ältere und kleine Kinder in einen Topf geworfen und gemeinsam, sprich »quotifiziell«, behandelt - und das, obwohl ein eigenes Kindergartengesetz existiert und auch das Hortwesen gesondert behandelt wird). Jedes Jahr käme, so der Plan der SozialdemokratInnen, jeweils ein Prozent hinzu, sodaß in etwa fünf Jahren ausreichend viele Tagesmutter-, Krabbelstuben-, Kindergarten- und Hortplätze vorhanden wären. Allein im ersten Jahr verspricht diese Rechnung ein Plus von 800 Plätzen. Während der Ausbauphase müßte auch pro anno genügend Geld lockergemacht werden. Wie? Ganz einfach. Durch Sparen. So paradox das auch aussehen mag, es ist es nicht. Durch die derzeit laufende Verwaltungsreform werden fix verplante Gelder im Land frei. Auch würden, so Burgstaller, jedes Jahr zu hohe Kreditrückzahlungen prognostiziert. Wieder Geld, das für Kinder zweckgebunden verwendet werden könnte. Weiters würde durch die Einführung der landwirtschaftlichen Fachschulen, die zum Teil auch vom Bund mitfinanziert werden, einiges an bisher für die bäuerlichen Berufschulen verplantem Geld frei. Nicht zuletzt läßt Landeshauptmann-Stellvertreter Gerhard Buchleitner mit einem Vorschlag aufhorchen. Er fordert, daß die landeseigene Hypothekenbank - die jährlich »ausgezeichnete Betriebsergebnisse« einfährt - endlich an das Land Dividenden zahlt. Denn üblicherweise schüttet eine Aktiengesellschaft, wie eben die Hypo, zu Jahresende Dividenden - also einen Teil der Gewinne - aus. Das hat die Landesbank bisher verabsäumt. Buchleitner erhofft sich nach derzeitiger Geschäftslage 30 bis 40 Millionen für 1995. Leider verhindert ein Holding-Vertrag die Auszahlung. Der Landtag müßte also die Holding auflösen und damit den Geldfluß Richtung Land und somit auch Richtung Ausbau der Kinderbetreuung rechtlich möglich machen.

Geld wäre also genügend vorhanden. Allein, am politischen und auch gesellschaftlichen Wollen spießt es sich. Denn noch immer werden Eltern, die für ihre Kinder einen Betreuungsplatz suchen, wie Kindswegleger behandelt. In unserer Ein-Kind-Gesellschaft wird nur zu oft übersehen, daß Kinder ebenfalls soziale Wesen sind und selbst die liebevollsten Eltern niemals eine altersgemäße Freundschaft ersetzen können. Egal, ob diese jetzt bei einer Tagesmutter, in einer Krabbelstube oder im Kindergarten geschlossen wird. Und solche Freundschaften halten, so nicht gröbere Ortswechsel vorgenommen werden, erfahrungsgemäß ewig. Und, auch das darf keineswegs übersehen werden, neben der Sozialisation und Integration sind es ohnehin vorwiegend finanzielle oder berufliche Schwierigkeiten, die Eltern und AlleinerzieherInnen eine Tagesmutter oder eine Krabbelstube suchen lassen. Denn es ist statistisch erwiesen, daß fast zwei Drittel aller Berufstätigen unter 15.000 Schilling verdienen. Wenn man dann noch die für Salzburg marktüblichen Preise für Mietwohnungen dazuzählt, bleibt unterm Strich kaum Geld zum Leben übrig. Aus diesem Grund und auch, um nicht nach der Karenz ihren Anspruch auf den Arbeitsplatz zu verlieren, müssen Frauen arbeiten gehen - und benötigen daher eine adäquate Betreuung für ihr(e) Kind(er). Die ist derzeit durch die spezielle Ausbildung, die die meisten Kleinstkindbetreuerinnen (Küche und Kinder bleiben wohl, solange die Bezahlung nicht auch für Männer attraktiv wird, fest in Frauenhänden) zumeist berufsbegleitend machen, garantiert.

Seit dem Inkraftreten des Tagesbetreuungsgesetzes 1993 ist eine Ausbildung für Kindergruppenpersonal vorgeschrieben. Weil es jedoch noch keine gesicherten Forschungsergebnisse über den Erfolg der Ausbildung gibt, die bisher übrigens in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsmarkt-Service stattfand, ist diese nur bis 31.6.1996 anerkannt. Nach Ablauf dieses Datums werden, sofern sich die Landesregierung nicht zu einem Beschluß aufrafft, auch wieder alle AbsolventInnen verwandter Berufe (Pädak, Kindergartenschule, PsychologInnen etc.) auf die Kinder losgelassen - ungeachtet dessen, daß Kinder von null bis drei Jahren eine spezielle Förderung in allen Bereichen der Motorik, der Sprache und der Unterhaltung brauchen. Von der vermehrten Zuwendung einmal ganz abgesehen. Oder verstehen Sie, was »Tapperl Papa Täntahooo« heißt? Na eben. Menschen, die im Umgang mit gerade eben sprechen lernenden Kindern geübt sind, können immerhin auf Anhieb »das Kapperl vom Papa« erkennen. Bei näherer Beschäftigung und der allseits beliebten Frage:»Kannst Du mir das auch zeigen?« wird aus dem ominösen Täntahooo plötzlich ein Känguruh.

Das ist allerdings nur einer der Kritikpunkte am Salzburger Tagesbetreuungsgesetz - (Salzburg ist übrigens das einzige Bundesland, das sich den Luxus eines eigenen Gesetzes leistet - in den meisten Ländern gibt es einfache Übereinkünfte. So fordern die wirklichen ExpertInnen, nämlich die BetreuerInnen und Verbände, eine realistische Bedarfserhebung. Derzeit wird, wie bereits erwähnt, von einem gesicherten Platz pro hundert Kindern zwischen null und 16 ausgegangen. Der Landesverband der Salzburger Kindergruppen, der die verschiedensten Initiativen wie z.B. die Kinderkiste am Hinterholzerkai, die Uni- oder auch die ARGE-Krabbelstube zusammenfaßt, und die Kinderfreunde begrüßen dabei den Vorstoß der SPÖ mit ihrer Jahresstaffelung. Sodann fordern sie die Wahlfreiheit der Betreuungseinrichtung. Derzeit ist es nämlich so, daß Eltern gerade in kleineren Gemeinden nur Tagesmütter vorfinden. Die Gemeinden sind zwar verpflichtet, für Betreuung zu sorgen, ziehen aber zumeist Tageseltern vor, da diese der Gemeinde einfach billiger kommen. Im Gesetzestext heißt es da: »Eine Förderung von privaten Kinderbetreuungseinrichtungen (=Krabbelstuben) kommt erst in Betracht, wenn der Bedarf nicht durch Tageseltern gedeckt werden kann.« Gemeinden, die selbst eine Krabbelstube betreiben, sind finanziell benachteiligt, denn sie müssen die ganzen Personalkosten selbst bestreiten. Wenn jedoch »natürliche und juristische Personen des privaten Rechts«, also Vereine, eine Krabbelstube eröffnen, so teilen sich Land und Gemeinde die Personalsubvention.

So, nun einmal angenommen, die Hürde Tagesmutter oder Krabbelstube ist überwunden und das Kind hat endlich einen geeigneten Platz, so ist noch lange nicht alles eitel Wonne. Will nämlich z.B. eine Alleinerzieherin, obwohl die Gemeinde eine eigene Krabbelstube hat, ihr Kind in einer Einrichtung in ihrem Arbeitsort anmelden (weil die Krabbelstube in ihrer Heimatgemeinde vielleicht nur bis 15 Uhr geöffnet hat, sie jedoch bis 18 Uhr arbeiten muß und zusätzlich noch eine halbe Stunde Wegzeit hat), so wird sie Schwierigkeiten haben. Denn normalerweise gibt es zwischen den Gemeinden keine Vereinbarungen, wer in diesem Fall für den Subventionsanteil zuständig ist. Im Streitfall enscheidet die Landesregierung über den Ersatzanspruch. Als weiteres Hindernis entpuppen sich auch die Schulferien. Kleinere Gemeindekrabbelstuben oder auch Tagesmütter (die zumeist eigene Kinder haben) beharren auf Schließung bzw. Urlaub. Wohin also mit dem Kind? Lange Öffnungszeiten und ganzjährige Öffnung werden nämlich derzeit noch immer viel zu wenig gefördert. (In Spanien sind -nur zum Vergleich, was machbar wäre - durchgehend geöffnete Betreuungsplätze, also von 0 bis 24 Uhr, 365 Tage im Jahr keine Seltenheit.) Die Landes-SPÖ hat in diesem Punkt ihre sozialen Hausaufgaben gemacht und fordert gemeinsam mit den verschiedenen Betreuungsverbänden, daß der Förderungs- schlüssel geändert wird. So soll den Gemeinden der Start in die Kleinstkinderbetreuung erleichtert werden: 60% der Personalkosten soll, nach dem Plan der Roten, das Land berappen und 40% die Gemeinde. Somit gewännen die Gemeinden, die bisher keinerlei Subventionsansprüche hatten, einen gewaltigen finanziellen Vorsprung. Wenn dann noch zusätzlich die teilweise ziemlich kleinlichen Bestimmungen, was beispielsweise Tisch- und Sesselhöhen angeht, gelockert würden, wären die Gemeinden »sinnvoll flexibel«, wie das Gabi Burgstaller nennt. So könnten Gemeinden beispielsweise ab Mittag und während der Ferienzeiten eine altersgemischte Gruppe anbieten, die die notwendige »Außer-der-Zeit-Betreuung« garantiert. Happig wird es auch bei der Anzahl der BetreuerInnen. So müssen in Horten und Kindergärten bis zu 25(!) Kinder um die Gunst einer Tante buhlen. Daß da für einzelne Probleme kaum Platz bleibt, ist wohl nicht zu übersehen. Aus diesem Grund fordert die ARGE Kinderbetreuung mit Unterstützung der SPÖ und der Bürgerliste verpflichtend zwei BetreuerInnen pro Gruppe. Der grüne Landtags-Chef Burtscher will gar das Geld für die sechsspurige Autobahn in Richtung Kinderbetreuung fließen lassen. In Kleinkindgruppen ist die Situation nicht ganz so eklatant tragisch, da Kinder unter drei ebenso wie behinderte Kinder für zwei zählen. Trotzdem wird aus Sparüberlegungen eine Erhöhung der Gruppenzahlen von acht auf zwölf Kinder überlegt.

Nur 2,13 Prozent aller unter Dreijährigen genießen die Vorteile einer fixen und zumeist auch verschworenen Spielgemeinschaft (Zahlen aus 1994)

In unserer Ein-Kind-Gesellschaft wird nur zu oft übersehen, daß Kinder ebenfalls soziale Wesen sind und selbst die liebevollsten Eltern niemals eine altersgemäße Freundschaft ersetzen können.