märz 1996

Didi Neidhart
gehört

LIEDER FÜR MILLIONEN

Deutschland hat eine neue, inoffizielle Hymne. Geschrieben wurde sie von der Münchner Band FSK, heißen tut sie »Das schlechteste Land der Welt« und zu finden ist sie auf deren aktueller CD »International« (Sub Up/Ixthuluh). Dachte man schon beim letzten Meisterwurf »The Sound Of Music«, komplexer kann wohl nicht mehr umgegangen werden mit all den transatlantischen Mißverständnissen in Sachen Pop/Geschichte und der kreativen Kraft, die sie produzieren, so beweisen uns FSK diesmal (wieder zusammen mit ihren konföderierten US-Mitgliedern), daß es sogar noch vielschichtiger geht. Wobei die größten Irritationsmomente gerade dort auftauchen, wo sie spezifische Aspekte ihrer nunmehr schon 15jährigen Bandgeschichte reaktualisieren. Wer die Band also wegen ihres dekonstruktiven Pop-Ansatzes in Sachen Polkas, Walzer, Country-Jodler und Two-Steps schon ins intellektuelle Bierzelt der »Neuen Volxmusik« verpflanzen wollte, erlebt diesmal sein blaues Wunder. Und recht geschieht ihm! Forcieren FSK doch diesmal besonders ihre Vorlieben für Camp, Glam-Rock und synthetisch erzeugte Pop-Musik (speziell Krautrock und den Munich Disco-Sound von Donna Summer- Producer Giorgio Moroder). Das fängt an bei einer doppelten Roxy Music-Referenz (das Intro/Outro »Roxy Munich« und das an »Country Life« angelehnte Covermotiv), setzt sich fort beim mit Steel-Guitar und singender Säge intonierten »The Moog Banjo Revival« zu Ehren des Synthesizer-Erfinders Robert Moog und kulminiert im 7minütigen Instant-Klassiker »Euro-Trash Girl«, wo sich zu verfremdeten Kraftwerk- »Trans Europa Express«-Beats, Schweizer Jodlern und Brian Eno-Gitarren-Sounds (Eno jodelte übrigens einst schon auf seinem 74er Meisterwerk »Taking Tiger Mountain«) eine Lou Reed/Nico-Überland-Partie der besonderen Art abspielt und Sängerin Michaela Melián so herrlich ge-schlechtsambivalent singt wie sonst nur die ehemalige Disco-Queen Amanda Lear. Überhaupt bilden Songs zum Thema Gender Studies diesmal einen thematischen Schwerpunkt. So wird die ultrasexistische Marylin Monroe-Nummer »She Acts Like A Woman Should« gerade dadurch, daß sie bei FSK von einem Mann gesungen wird, als die reaktionäre Männerphantasie bloßgestellt, die sie ist, und in »1+1=3« die Losung »Warum kann dein Mann nicht lesbisch sein/Darwinismus superservus!« ausgegeben.

Auch wenn es abgedroschen klingen mag - »International« ist Pop-Musik, die sich ohne doppelten Boden mitten in den aktuellen pop/subkulturellen Diskursen herumbewegt. Daß dabei dann auch noch mit der »Karl-Eduard von Schnitzler Polka« (über den Chefkommentator des DDR-TV-Politmagazins »Der Schwarze Kanal«) sowas wie ein »post-kommunistisches« Lied zum 1. Mai (»Warum nennt man Arbeitgeber/Den der deine Arbeitskraft nimmt«) herauskommt, dürfte wohl Beweis genug sein. Dialektischer Esprit Rules!

Etwas anders geht es hingegen auf dem Sampler »GOD LESS AMERICA« (Crypt/EFA/Extraplatte) zu. Droht dieser doch schon mit dem Untertitel »Country & Western fer all ye Sinners’n’Suffers 1955 - 1966«. Wer immer schon angenommen hat, daß Country & Western die Hölle ist, der kann sich jetzt 17mal leibhaftig davon überzeugen und da-nach, je nach Verfassung, zur Flasche oder zur Bibel greifen.

Geboten kriegt man jedenfalls, stets mit todessehnsüchtigen Steel-Guitar-Klängen und unheilschwangeren Country-Fiddeln versetzte Delirien von absoluter Hardcore-Qualität. Da verbringen verlassene Typen »8 Weeks In A Barroom«, bis sie seltsame Stimmen im Kopf hören und Teufel herumtanzen sehen, besingen Amphetamin-Cowboys die tödlichen Gefahren von übermäßigem Drogenkonsum (»Too Many Pills«, »The Story Of Susie«), erzählen Massenmörder lakonisch, wie das denn so ist, wenn man zu seiner Hinrichtung geht (»Death Row«), flehen 10jährige Schulkinder ihre Mutter an, doch bitte den Beruf zu wechseln, weil eine Klassenarbeit zum Thema »Ein Tag im Leben meiner Mutter« ansteht und Stripperin wohl nicht unter die Tätigkeit fällt, die man sich darunter so vorstellt (»Please Don’t Go Topless Mother«), und nicht minder beknackte Teenager berichten davon, wie ihre Mutter so heftig mit ihrem Schaukelstuhl schaukelte, als aus dem Radio Rock’n’Roll ertönte, daß sie gegen den Schrank stieß und ihr das darauf befindliche Radioungetüm auf den Kopf fiel und diesen zermantschte. Wem das noch nicht genug ist, der sei auf »Drunken Driver«, den wohl tragischsten Truckdriver-Song ever, verwiesen. Um den Tod seiner Frau zu »verarbeiten«, säuft sich ein Truckdriver durch alle Bars der Stadt, steigt in den Truck und überfährt im Suff seine eben zu Halbwaisen gewordenen Kinder. Mit einem tödlichen Familien-Splitting endet übrigens auch der unschuldig »Dolores« benannte Psychopathenklassiker, in dem ein Handels- vertreter seine junge Frau davor warnt, außer Haus zu gehen, da sich in der Gegend ein Massenmörder herumtreiben soll. Das Pech für Dolores ist dabei nur, daß ihr Mann, medizinisch ausgedrückt, schizophren und eben dieser Killer ist. Aber immerhin gewinnt in der schwer traumatischen Freud-Analyse »The Devil, My Conscience And I« trotz all der von Teufels Seite angebotenen Verruchtheiten das Gute.

Keine Ahnung, was diese von Gott verlassenen Wahnsinnigen dazu getrieben hat, solch krankhaftes und seltsames Zeug aufzunehmen. Jedenfalls vermittelt das hier zusammengetragene Material psychische Defekte aus den tiefsten Tiefen der amerikanischen Seele, gegenüber denen sogar moderne Psycho-Rocker wie Foetus, Ministry oder die Melvins wie eine eher harmlose Dachschaden-Light-Version erscheinen. Bad America at its best. Stay sick!