märz 1996

Harald Friedl

Von einem, der auszog...

Der Salzburger Maler Wilhelm Kaufmann wird im März 95 Jahre alt. Fragmente aus einem langen Leben mit aufrechtem Gang

Er ist eine bekannte Persönlichkeit in dieser Stadt: als Maler und als Streiter in wichtigen Angelegenheiten. Wenn er etwas sieht, das ihn in seinem Gerechtigkeitsempfinden rührt, dann setzt er sich ein und tut es mit einer Spontanität und Vehemenz, die manch frühvergreiste AktionistInnen jüngerer Tage alt aussehen lassen.

Dezember 1995: Werkausstellung Wilhelm Kaufmann in der Galerie Welz. Bilder aus sieben Jahrzehnten sind zum Kauf angeboten. Darunter auch solche, die er lange gehütet hat. Warum er sie nun verkauft? »Najo, ich kann sie ja schließlich nicht ins Grab mitnehmen!« Alle Ölgemälde gehen auf einen Schlag weg. »Mit einem Auge weine ich«, kommentiert er den Abschied, denn Bilder zu verkaufen, ist wie Kinder auszustiften. Sein Trost: Das gewonnene Geld wird gut investiert. Für Flüchtlinge, für Schubhäftlinge in Polizeigefängnissen, für die fliegenden Ärzte in Ruanda.

Schon als Jugendlicher hat Wilhelm Kaufmann genau gewußt, was er will: als freier Maler leben. Prägend für Kaufmanns Freiheitsbegriff war die »Wandervogelbewegung« der 10er und 20er Jahre, die erste autonome, emanzipatorische Jugendbewegung unseres Jahrhunderts. Eigenverantwortung wurde über die zentralen Autoritäten Eltern, Kirche und Schule gestellt. In selbstbestimmter Freizeitgestaltung lag die subkulturelle Lebensform. Städter und Städterinnen schlugen sich auf unmarkierten Pfaden im Hochgebirge durch. »Hinterm Gaisberg war terra incognita!« Was es im Jahr 1919 bedeutet haben muß, eine Wandergruppe aus Burschen und Mädchen den vorgeschriebenen Schulmessebesuchen vorzuziehen und in Heustadeln gemeinsam zu übernachten, das kann man heute nur noch schwer ermessen.

Ein Wanderer ist Wilhelm Kaufmann geblieben. Fast täglich düst er durch Salzburg, bewegt er sich zwischen seiner Wohnung am Westrand des Mönchsbergs, seinem Atelier im Künstlerhaus, der Lithographiewerkstatt im Traklhaus, verschiedenen Schulen, in denen er aus seinem Leben erzählt, hin und her. Die Wandervogelzeit hat ihn ein einfaches, kraftvolles Leben gelehrt.

Oft genug hat er von »der Hand in sen Mund« gelebt. Auf die Frage, wie es denn war, von der Hand in den Mund zu leben, antwortet er zündend: »Auch schön! Ich hab den Reichtum nie genossen! Viel Geld machen, das kann jeder Depp, wenn er nichts anderes im Kopf hat.«

Das ist nicht ins Blaue geprochen, denn er hätte es mit seiner Kunst, auf die sich traditioneller und moderner Geschmack durchaus einigen können, zu Reichtum bringen können. Ganz besonders in den 50er Jahren in Kanada, wo er sich einen so guten Namen gemacht hatte, daß er sich nach Einschätzung eines wohlmeinenden Freundes mit Portraitsmalen »ein Schloß verdienen« hätte könnten.

Doch Kaufmann zieht den freien Lebensraum den feinen Gesellschaften vor. Er hält Wälder, Nordlichter, Sonnenuntergänge im Bild fest und malt lieber Indianer in ihren Kanus als Prominente auf ihren Thronen. Wenn er Promis portraitiert, dann wegen dringend benötigter Einnahmen oder weil er die Person bzw. ihre Kunst mochte - Igor Strawinsky etwa - oder weil ihm eine Aufgabe reizvoll er- schien: Wilhelm Kaufmann malte das letzte offizielle Portrait von Papst Paul VI. Daß ein Papst nicht einfach Modell sitzt, sondern der Maler die Gelegenheit zu offiziellen gesprächs- und auch bewegungsintensiven Audienzen wahrnehmen muß, hat Kaufmann nicht gestört.

Festen Schrittes ziehen wir durch seine Stadt Salzburg. Wir verfolgen ihn mit Kamera und Mikro. Eine TV- Dokumentation ist herzustellen. Kaufmann läßt sich aus über die farbliche Gestaltung der Gebäude: »Lauter Unfarben! Kein Blau, sondern ein schmutziges Blau, kein Gelb, sondern ein schmutziges Gelb!« Nur Mozarts Geburtshaus läßt er gelten, »ein schönes Ocker,« und wundert sich direkt, daß man so etwas hierzulande wagt. Es ärgert ihn, daß diese Stadt »ihren verdrießlichen Bürgern die einfachste Art vorenthält, die Gemüter aufzuheitern: durch Farbe!« Früher sei Salzburg einmal bunter gewesen, so wie heute kleinere Städte wie Schärding oder Mattighofen etwa. Bilder aus den späten dreißiger Jahren, als »die Hitlerei« auch über Österreich zu kommen drohte und er Salzburger Ansichten auf Vorrat malte, belegen seine Erinnerung.

Vorbereitungen zur Emigration 1938 bricht er ab: »Ich hab mir gesagt, der Krieg kommt, und da bin ich lieber bei meiner Familie, um eine Igelstellung einzunehmen. Und sie hat gehalten, weil die Familie eines Sinnes war. Selbst die Kinder sind in keiner Organisation gewesen, obwohl es Pflicht war. Sie sind einfach nicht hingegangen, so wie: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!«

Es gab Fanatiker, die sich über sein renitentes Verhalten öffentlich ausließen. Der Pinzgau war in solchen Zeiten sein Refugium: »Aus den Augen, aus dem Sinn!« Nur einmal war er nahe dran, in echte Gefahr zu geraten. Der Leiter des Denkmalamtes hatte einen »Appell« einberufen, zu dem er erstaunlicherweise in SA- Uniform auftrat. Er befahl Kaufmann, vorhandenen Wandtafeln und Objekten, die durch eine läppische Symbolik die Dichtung der Südslawen gegenüber der germanischen herabwürdigten, eine »künstlerische Fassung« zu geben. Kaufmann reagierte spontan. »Das mache ich nicht!« Entsetztes Schweigen der Umstehenden. »Wieso? Sie sind hier zwangsverpflichtet!«, herrschte ihn der Leiter an. Darauf Kaufmann schlagfertig: »Weil ich es unehrenhaft finde, wenn ein Volk die besiegten Gegner schmäht!«

Der Appell wurde abrupt abgebrochen. Kaufmann blieb unbehelligt.

In den fünfziger Jahren, die beiden Kinder sind erwachsen und Kaufmann ist frisch von der Ehefrau getrennt, begegnet er einer elf Jahre jüngeren Jugendliebe wieder: Lotte Gerhold. Sie bleiben 33 Jahre zusammen, bis zu ihrem Tod.

Lotte ist eine ebenso engagierte Person wie Kaufmann. Sie arbeitet für den Urwaldarzt und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer. Die nächste Reise nach Lambarene machen sie gemeinsam. Der Maler ist fasziniert: von den Farben, der Schönheit der Landschaft und der afrikanischen Menschen. Angesichts der überbordenden Arbeit aller im Spitalsbereich bietet auch Kaufmann an, einen praktischen Beitrag zu leisten. Schweitzer begrüßt das Angebot und überträgt Kaufmann die Leitung des Bauhofes. Es sind keine religiösen Motive, die ihn - nach Eigendefinition »Ketzer« - dazu bewegen, die Naturbeobachtung und das Malen etwas hintanzustellen. Es ist sein radikaler Humanismus, der ihn aus der süßen Egozentrik des leidenschaftlichen Künstlers zieht. »Ich hab in meinem ganzen Leben nie so hart gearbeitet wie damals im Spital«, kommentiert er heute. »Und wär' Lepra ansteckend, so wär ich längst leprös.«

Vor wenigen Monaten hat Wilhelm Kaufmann begonnen, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Weniger bescheidene Menschen würden sagen, sie verfaßten ihre Memoiren. Sie zu vollenden, dafür wünscht er sich, wie auch für andere Ziele, noch ausreichend Lebenszeit und Kraft.