märz 1996

Anton Gugg

Salzburger Hochkulturroulette

Warum sollten gerade bei den Festspielen die Künstler als Samariter auftreten?

Erwartungsgemäß haben sich die Anbieter und Investoren auf dem Salzburger Hochkultur-»Großvieh-markt« geeinigt und gleichsam behandschlagt, das mit Schwung versehen, was vor langer Zeit von den politischen Weichenstellern eher kraftlos auf den Weg geschickt worden war. Gerard Mortier wird also bis ins nächste Jahrtausend die Zuglokomotive der Salzburger Festspiele abgeben und dem Festival jenen Glanz der höchsten künstlerischen Weihen angedeihen lassen, wie er der Mythologisierung seit der Karajan’schen Dauerherrschaft und wohl auch dem eigenen Wunschdenken des umstrittenen Flamen gut ansteht.

Das ist alles andere als eine leichte Aufgabe in den längst angebrochenen Zeiten der Nivellierung sogenannten Hochkulturlebens, das sich in Namen und Leistungen weltweit kaum mehr unterscheidet, wohl aber in den Preisen, die ein gelangweiltes internationales Opernpublikum in den diversen Musiktempeln zu akzeptieren hat. Salzburg bleibt zumindest darin Spitze, und Mortier muß deshalb Ware verkaufen, die aus teuerstem Material von Künstlern gefertigt ist, die für die Aura des Einmaligen und Unverwechselbaren garantieren. Auch das eine Herausforderung, die vor dem Hintergrund steigender öffentlicher Kritik an den Kosten des Hochkulturzirkus und eines immer knapper werdenden Materials von unschlagbarer Star-Qualität einen wahren Akrobaten an Kreativität und ökonomischem Denken erforderte.

Festspiele sind vor dem Horizont der Massen-Kulturindustrie zum nostalgischen Relikt eines elitären Selbstdarstellungs-Denkens ge-schrumpft, zur etwas verstaubten Ikone sogenannter Identitätssicherung verkommen. Wer sonst als die brillante Medien-Reizfigur Mortier könnte für Salzburg noch einmal jenen Zauberglanz des Musik-Theater-Spektakels heraufbeschwören, bevor die Fest-spielidee endgültig ad absurdum geführt ist und in den allmächtigen Wogen der Kommerzialität untergeht?

Wie schön und klug, daß sich Österreichs Politiker und Salzburg diesen geistsprühenden »Luxusmann« mit dem Regenbogenschimmer der Intellektualität leisten wollen, und wie gnadenvoll die Fügung des Schicksals, daß Mortier nach all dem unappetitlichen und unnötigen Viehmarkt-Geschrei um angemessene Bewertung und Entlohnung seines »Reputations-Gewichtes« nun doch zurückgesteckt hat und sich mit dem Salär eines Staatsoperndirektors zufriedengibt. Was dem weit weniger sturmgeprüften Ioan Holender recht ist, ist jetzt dem ständig im Fegefeuer der Öffentlichkeit glühenden Mortier billig, und dem argusäugigen Rechnungshof dürfen nun, nach dem Friedensschluß, die Tränen der Rührung kommen. Wie die über die verlorenen »Millionen«, die der gevifte Verhandlungsfuchs Peter Stein für seine wenig erhebenden Shakespeare-Texteinrichtungen kassierte.

Salzburg braucht Namen, und manchmal ist es bereit, für edelste und gelegentlich veraltete Etiketten mit indirekten Verschwendungsangeboten zu ködern. Andererseits hat Stein das Schauspiel aus dem Dorn-röschenschlaf geküßt und mit seinen klassizistischen Felsenreitschul-Spektakeln die Besucherhorden angelockt. Jedes Feuerwerk hat seinen Preis, und warum sollten die erlauchtesten Feuerwerker ausgerechnet in Salzburg als Hochkultur-Samariter auftreten? Das gilt für die Altmeister Solti und Stein ebenso wie für die angeblich zu teuren Wiener Philharmoniker. Mortier, der »öffentlichste« von allen Kulturrecken, ist im Kreis seiner Künstler immer noch der hochbescheidene Impresario. Und sicherlich ein sehr raffinierter, wenn er sich nach geschlagener Schlacht um die Vertragsverlängerung als angstgeplagter, ständig an sich zweifelnder Festspielkapitän darstellt.

Anton Gugg

war Kulturressortchef der »Austria Presse Agentur« und lebt heute als freier Journalist in Salzburg und Mondsee.