märz 1996

GastautorIn
kommentar

Dancemusic

Ohne Übertreibung kann man die Entwicklung der Dancemusic der letzten 15 Jahre als die Revolution im Musikbereich bezeichnen. Der Slogan »40 Jahre Rock’n’Roll sind genug« mag übertrieben sein, aber die wesentlichen Innovationsschübe in der Popmusik kamen aus dem tanzorientierten Eck. Dem DJ kommt neben dem Studio bei dieser Revolution die größte Bedeutung zu.

Ende der 60er erblickte der DJ als Künstler in New Yorker Clubs das Licht der Welt, als die Plattenaufleger aus dem vorhandenen Material mit zwei Plattenspielern und einem Mixer ihren ganz eigenen, nie vorher dagewesenen Sound kreierten. Disco, HipHop und House/Techno haben schließlich den DJ zum Komponisten gemacht.

Die Musik der 80er entstand in den Studios und vielfach durch sie. Sie war nicht mehr »real time«-, sondern »step by step«-Musik und zerfiel nicht in Bass/Schlagzeug/Gitarre, sondern in Segmente des Frequenzspektrums auf dem Bildschirm.

Die Entwicklung von Cut- und Scratch-Techniken aus dem HipHop, die Non-Stop-Remixe der DJs in Chicago, die Improvisationen und Sirenen in den New Yorker Gay-Discos und die Experimente der kraftwerkbegeisterten DJs in Detroit trugen erstmals zur Entwicklung einer breitgefächerten DJ-Culture bei. Einen entscheidenden Schritt zur vollständigen Emanzipation des Genres DJ-Musik brachte die Computertechnologie. So wie Sampler das Musizieren als ein Neu-Zusammensetzen »eingesammelter« Soundquellen ermöglichten, machten die DJs schon seit Jahren Musik und retteten dabei auch noch das Vinyl.

Bedenkt man, daß Anfang der 90er Vinyl für tot erklärt wurde und heute trotz Internet und Digitalisierung mehr als 600 neue Vinylscheiben (nur House und Techno!) pro Monat veröffentlicht werden, so kann die Bedeutung des DJ als Informationsrecycler nicht überschätzt werden.

Dabei ist das kollektive Erlebnis eines Dancefloors der zentrale Punkt überhaupt. Was beim Minimalismus dieser Musik besonders zum Tragen kommt, ist ihre enorme Effektivität und Funktionalität. Einzelne Tracks sind zum Teil zu Hause nicht abspielbar und fürwahr reine DJ-Tools, d.h. sie werden erst im Club-Live-Mix zum Leben erweckt. So wurden DJs auch deshalb gute Produzenten, weil sie genau wußten, was der Dancefloor braucht. Das ist auch der Grund, warum es umgekehrt oft schiefgeht. Wer im abgeschiedenen Studio ein Kaiser ist, muß noch lange nicht die Disco zum Kochen bringen.

Hans Kulisch

Hans Kulisch ist seit 1991 Anzeigenleiter und Redakteur bei SKUG

PR für div. Veranstaltungen (u.a. Vienna Sounds Fair 95)

Veranstalter im Verein Club Culture Network (div. Techno/House/Jungle-Events in Wien). DJ im Bach sowie bei Einzel-Events mit Spezialisierung auf Bhangra und Ethno-House etc. Er schreibt u.a. für Envelope (Techno/House-Magazin), City, Bestseller.