märz 1996

Didi Neidhart
leitartikel

Zur Popmusik

Man stelle sich Popmusik als eine Art Schrebergartensiedlung vor, in der jeder Stil seine Parzelle mit Häuschen inklusive Garten hat und die Vereinsstatuten besagen, daß auch Schwarzbauten, sobald sie einen Mehrwert für die Vereinskassa erwirtschaften, legalen Status erhalten. Dadurch wird nicht nur ein Bedürfnis nach Identifikation befriedigt (der Hollunderschnaps aus Parzelle 5, bei dem man sich so richtig zu Hause fühlt), sondern auch jenes nach Ordnung (siehe Statuten).

Jetzt haben Vorstellungen aber die blöde Angewohnheit, daß sie vor etwas stehen bzw. gestellt werden, aber als Wahrnehmung (der Welt) gehandelt werden. Diese ist zwar eher »wahr« im Sinne von »Das nehmen-wir-weils-uns-gerade-paßt«, wird jedoch allenthalben immer noch als »wahr« im Sinne von »richtig« gehandelt, wodurch das Bewußtsein, dem das Sein eh schon übel mitspielt, sich das Bild einer Realität machen kann, die als »wahr« aufgefaßt, aber eben durch diese Wahrnehmung auch (re-)produziert wird. Auch wenn nichts so ist, wie es ist, ist es dennoch so, weil einem halt so danach ist.

Problematisch wird das Ganze aber erst, wenn diese kleine Schrebergartensiedlung nicht mehr so aussieht wie in der Erinnerung an den letzten Besuch. Schwarzbauer haben plötzlich keine Lust mehr, in den Verein aufgenommen zu werden, und pfeifen auf jegliche Statuten; Wohnwägen und Zeltlager definieren temporäre Zonen;der Gartenstuhl, der letztes Mal vorsorglich deponiert wurde, ist auch nicht mehr da.

Oder auch nicht. Denn wer geht ausgerechnet in der Freizeit schon gerne an Orte, wo Mittagsruhe, Nachtruhe sowie Rasenordnung streng reglementiert sind und überall Schilder herumstehen, die das Lärmen und das Betreten des Rasens verbieten oder unmißverständlich »Privatgrund« drohen, und wer hält sich auch noch daran? Naja, soll es auch geben, wird auch immer wieder berichtet davon. Meist jedoch im Zusammenhang mit Briefmarkensammeln oder der Fähigkeit, aus Zahnstochern mittelalterliche Altstadtteile nachzubauen, was ja nicht gerade unter jene Tätigkeiten fällt, welche das geistige Auge als Vorstellung gibt, wird es von einem Gedanken an Popmusik getroffen.

Also kann eigentlich auch gar nichts Besseres passieren, als daß es in der Schrebergartensiedlung »Zur Popmusik« nach Kraut und Rüben aussieht, kaputte Zäune nicht mehr repariert bzw. gleich ganz eingetreten werden und die ganzen doofen Verbots- und Territorial-Schilder beim Sperrmüll landen. Wie heißt es so schön: Lieber in einem undurchdringlichen Dschungel versumpfen als auf der Autobahn verhungern.