märz 1996

Didi Neidhart
titel

What’s That Noise?

Wer »Alles Techno« sagt, meint dabei häufig: »Alles klingt gleich.«

Doch abgesehen davon, daß das jeder relevanten neuen Popmusik nachgesagt worden ist, ist es gerade das unendlich weite Feld der neuen elektronischen Klänge, das auch eine andere Saite altgedienter Utopien und Subversionsstrategien von Pop zum Erklingen bringt

Was als Quantensprung in der (Pop-) Musik der letzten Jahre bezeichnet werden kann, passierte nicht nur mit einem Vorsprung durch Technik - also den Segnungen der Computertechnologie, sprich Sampler -, sondern wurde zum wesentlichen Teil auch durch die Kombination von zwei Plattenspielern und einem Mischpult initiiert und vorangetrieben. Mit der Wandlung der menschlichen Jukebox Discjockey zum DJ, der aus einzelnen Teilen verschiedener Nummern ein neues Stück Musik zusammenmixt, wurde das Abrufen und Ineinanderverweben schon vorhandener Tonquellen zur kreativen Technik in der Produktion neuer Musik. Den Musikern, die diese Prinzipien des Zusammentragens vorgefundener Materialien in einen neuen Kontext übernommen haben (und dabei nicht selten als DJs tätig sind/waren), steht somit jede technisch reproduzierbare Schallquelle als Ausgangsmaterial ihrer eigenen Arbeit zur Verfügung.

Es scheint also, als feierten Avantgarde-Theorien der klassischen Moderne (Dada, Futurismus, John Cage, Stockhausen) ihre Reaktualisierung im aktuellen Pop-Kontext. Nur gilt hier zu beachten, daß ähnliche Ergebnisse nicht ähnliche Ausgangspunkte haben müssen; die Annahme, daß DJs hier ästhetische Projekte der Moderne weiterführen (und dies auch wissen), liegt zwar nicht voll daneben, wird aber dennoch meist dazu benützt, die eigenen Bildungsdünkel gegenüber einer massenkompatiblen Musik intellektuell aufzuarbeiten. Eine Band wie Kraftwerk hat für DJs nicht deshalb Kult-Status, weil sie Stockhausen studiert, sondern weil sie schwarze Funk-Grooves elektronisiert hat.

Weitaus schwerer wiegen da schon die Folgen, die sich direkt aus dem (ästhetischen) Umgang mit dem vorhandenen Material ergeben. DJs und Musiker, die mit Samplern arbeiten, verstehen (Musik-)Geschichte als Steinbruch mit sich überlappenden, nebeneinander und kreuz und quer liegenden Segmentschichten und überwinden somit ein Geschichtsbild, das vom linearen Ablauf aufeinander folgender Ereignisse ausgeht. Die verkürzte Zugriffszeit auf musikalisches Grundmaterial führt zu einer Musik im konstanten Laborstadium, die vieles, vor allem aber die Verbindlichkeiten zu einem historisierenden »Genre«, offenläßt. Dem unübersichtlichen, dynamischen Hin- und Herfließen ist mit den Hierarchieleitern der Stilkunde nicht mehr beizukommen. Auch wird einem Konstrukt der offiziellen Popmusikschreibung, das für Medien, Markt wie Marketing die Basis liefert, der Boden entzogen: Das Original ist nicht mehr festzumachen, wenn eine unendliche Fülle von Remixen alle Spuren zu vermeintlichen Ur-Texturen verwischt. So wird auch der Chimäre eines autonom, nur aus sich heraus schöpfenden Subjekts endgültig die Autorität entzogen. Der Originalgeniegedanke landet dort, wo er hingehört - in der Mottenkiste konservativer Bildungsbürger jeglicher Couleur.

Seit Anfang der 90er häuft sich die Zahl der DJ-Remixe von »konventionellen« Bands, wobei neben künstlerischen Aspekten (komplettes Neustrukturieren und Abmischen des Materials) auch ökonomische eine wichtige Rolle spielen, kann man doch durch einen gezielten Dancefloor-Remix eine herkömmliche Rocknummer gleich mehreren Zielgruppen schmackhaft machen. Damit wurde auch der wachsende Markt jener Klientel bedient, die sich in den 80ern noch gehäuft in den Rock-Bereichen Independent, Hardcore, Metal, Grunge tummelte und seit Beginn der 90er immer zahlreicher das Lager wechselt, also statt Gitarrenhandwerkern lieber DJs, Sample-Bastlern und Elektroniktüftlern das Gehör schenkt beziehungsweise sich als Rock-Musiker von deren technischen Praktiken beeinflussen läßt. Dieser Wechsel kann, wie Konzertveranstalter und Agenturen aus leidvoller Erfahrung zu berichten wissen, von heute auf morgen passieren, hängt jedoch auch mit der zeitlichen Koinzidenz von einer erneuten Rezession in der Rockmusik und einer explosionsartigen Hochkonjunktur im Dancefloor/Elektronik-Bereich zusammen.

Auch wenn man gerne den Tag, an dem die Rockmusik der 90er starb, mit dem Datum des Selbstmordes von Nirvanas Kurt Cobain gleichsetzt, so wird dadurch doch eher ein Bedürfnis nach Drastik und dem Stoff, aus dem Heldenmythen gestrickt werden, befriedigt. Noch nie gab es so viel harte und scheinbar nonkonforme Musik in den Charts, und doch ist nicht zu übersehen, daß subversive Strategien und das Einfordern von Utopien hierbei nur noch geringfügig zum Tragen kommen. Dies hat weniger mit dem gelangweilten, apolitischen Herumhängertum der zu Tode analysierten Generation X zu tun, als mit veränderten Marktbedingungen. In Zeiten, wo der Mainstream schneller ist als der »umtriebige Underground« und sich der Unterschied zwischen Major Company und Indie Label bei einer CD weder im Sound, im Cover noch in den Texten, sondern nur noch in den Produktionsbedingungen feststellen läßt, funktioniert auch die alte Dichotomie zwischen »subversivem Under- ground« und »konservativem Mainstream« nicht mehr. Schon gar nicht dann, wenn die Mainstream-Kulturindustrie das Etikett »Undergound« zur Absatzförderung ihrer Produkte einsetzt. Ist doch, wie der Pop-Theoretiker Günther Jakob meint, jede Revolte »als abweichende Meinung abermals verkäuflich«. So wird der Systemkritiker zum Systemerhalter, solange er dieses Spiel nicht durchschaut (oder gar als Sieg wertet). Anscheinend haben Industriebosse die Strategie der »repressiven Toleranz« besser verstanden als jene, denen Marcuse mit dieser Bezeichnung kapitalistischer Umgangsformen gegenüber »Andersdenkenden« eine Grundlage zu dissidenten Gegentaktiken liefern wollte.

Warum zum Teufel wird dann aber ausgerechnet in den Dancefloor/Techno-Bereich gewechselt? Löst sich doch gerade hier der »Underground« im Wohlgefallen der kapitalistischen Freizeitindustrie auf - sei es bei massenkompatiblen Mega-Events der »ravenden Gesellschaft«, die als Werbeflächen für Markensignets eine Attraktivität ausstrahlen wie sonst nur Spitzensportler, sei es in den Charts, wo Oldies und Kindermelodien über notorische Stampfrhythmen jugendhafte Kirmesfröhlichkeit unter der verkaufsträchtigen Schutzmarke »Techno« verbreiten (und damit in der breiten Öffentlichkeit ein Bild von »Techno« erzeugen, das mit Techno ungefähr so viel zu tun hat wie Kommissar Rex mit einer spannenden Krimiserie).

Wie sehr über diese Ecke auch eine Stilisierung und Traditionalisierung dieser »ersten anonymen und weitgehend atonalen Massenmusik der Geschichte« (Diedrich Diederichsen) vorangetrieben wird, die letztendlich wieder im klassischen Popsong-Kontext (nachträllerbare Melodien mit Wiedererkennungswert) landet und den DJ dabei (besonders in Deutschland) zum Rockstar der Neunziger hochkandidelt, so schnell regeneriert sich diese Musik aber auch wieder in den Clubs und breitet sich in die extremsten Bereiche aus. Zum einen, weil DJs unter wechselnden Namen und auf verschiedenen Labels mit unterschiedlichsten Ansätzen arbeiten, Stil also weniger an eine (Künstler-)Person, sondern eher an ein Label-Programm gebunden ist, zum anderen, weil hier neben dem Motto »Jugend forscht« (was in diesem Falle heißt, Technologien gegen ihre Gebrauchanweisungen zu verwenden) auch die klassischen Punk-Losungen »No more heroes«, »Everybody can do it« und »Do it yourself« in einer konstanten Laborsituation weitergeführt werden. Den musikalischen Wechselwählern sind dabei musikalische Formalismen herzlich egal. Worum es geht, sind Intensitäten und Kicks - Energie-Levels, die sich unabhängig von irgendwelchen Genre-Ghettos finden lassen, sofern man nach ihnen sucht (File under: »Neue Hörgewohnheiten«).

Wenn es hier also subversive Taktiken und utopische Forderungen gibt, dann in veränderten Machtverhältnissen, in neuen Produktionsbedingungen und Umgangsweisen mit dem Arbeitsmaterial (Abstraktion und Funktionalität): Das utopische Moment liegt in den »Politics Of Dancing« ethnischer und sexueller Minderheiten und nicht in provokanten Lyrics/Statements, deren gesellschaftsverändernde Kraft uns Rockmusik immer wieder weismachen will und die nicht selten in einem großen Katzenjammer enden. Lieber ein Karl May, der sich als Old Shatterhand ausgibt, als einer, den man für Karl Marx hält.

Es ist aber gerade diese ideologische Nicht-Erdung der (weißen und mittelständischen) »Love, Peace, Happiness & Unity«-Raver, die Techno - jenseits vom Medienfutter Drogen und verschärften Auflagen für Veranstalter (die CSU denkt beispielsweise schon laut über Gesetze nach, die Bayern »technofrei« machen sollen) - zu einer äußerst problematischen Angelegenheit werden läßt. So folgerte schon Katja Diefenbach im SPEX 1/95: »Wenn eine subversive Strategie sich in die Gesellschaft ausweitet, ohne diese Gesellschaft zu verändern, dann sind wir mitten im Freizeitknast«, und sie stellte damit die zwingende Frage nach dem Zusammenhang zwischen Ästhetik und politischem Bewußtsein. Denn freiwillig begebe ich mich ja nur in diesen Knast, wenn ich auch die übrige Zeit nichts an dieser Gesellschaft auszusetzen habe und die »Segnungen« des Kapitalismus für mich - die Zielgruppe, die den Markt zirkulieren läßt - erschwinglich sind.

Dafür wittert aber ausgerechnet die Neue Rechte ein gesellschaftsveränderndes Potential im Techno, bei dem es nur darum geht, es für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen. Gerade im rechtsextremen Wochenblatt »Junge Freiheit«, das sich selbst als Avantgarde bei der Errichtung einer rechten kulturellen Hegemonie sieht, wird Techno als »moderne Entsprechung der Marschmusik« gehandelt und unter dem Motto »Stahlgewitter als Freizeitspaß« den Jüngern schmackhaft gemacht. Das geschieht, indem man einfach alle internationalistischen, schwulen, femininen, anti-rassistischen und pazifistischen Aspekte von Techno unterschlägt. Stattdessen werden die nationalistischen, rassistischen, militaristischen forciert und Techno somit als »weiße deutsche Musik« propagiert: hart, männlich, weiß, barbarisch und kontrolliert zugleich.

Christian Böhm-Ermolli, Wiener F-Rechtsaußen und Techno-Fan, sieht das in der »Jungen Freiheit« so: »Techno ist die erste Jugendkultur im deutschen Raum seit dem zweiten Weltkrieg, die weder amerikanisch noch schwarz noch britisch dominiert ist. Zum ersten Mal ist Deutschland wieder ein Land geworden, in dem Neues gemacht wird. Und von wo es ausgeht.« Den ideologischen Überbau dazu liefert sein Redaktionskollege Roland Bubik: »Macht, Gewalt, Extase, Geschwindigkeit, Totalität und Herrschaft und Unterordnung - diese Schlagworte bieten ganz brauchbare Eckpunkte zur Markierung des ästhetischen Gehalts von Tekkno. (...) Selten sieht man Tausende Menschen so lustvoll und mit Hingabe ihren Führern folgen.« Auch wenn Mark Terkessidis anmerkt, daß sich die Neuen Rechten wohl »mehr für das Führerprinzip interessieren als für Techno« und sich die Szene angesichts rechter Unterwanderungsstrategien sehr wohl politisiert und ideologisch links geerdet hat, so sind Aussagen wie »Dies ist ein Aufruf an alle Juden der Welt: Sie sollen mal eine andere Platte auflegen. Und nicht immer rumheulen«, die der Berliner »Love Parade«-Organisator DJ Dr. Motte losließ, nicht gerade dazu angetan, gewisse Techno-Szenarien, bei denen nicht nur Klaus Theweleit »ein aufgepepptes und im Tempo etwas angezogenes Bierzelt« durchhört, als nur von außen faschisiert zu betrachten.

Die eigentlichen Potentiale von Techno werden dabei tunlichst vermieden, sind sie doch das genaue Gegenteil von dem, was der faschistische Körper zu seiner Konstituierung braucht. Es geht nicht darum, mit all den anderen zu einer Einheit (als/im »Ornament der Masse«) zu verschmelzen, sondern um Ent-Rückung/Ent-Körperlichung mit und durch Musik und Groove. Die eigenen Aggregatzustände in Mind, Body & Soul wirbeln in munteren, ununterscheidbaren Intensitäts- und Polarisationswechseln herum, (Körper-)Strukturen lösen sich auf, gehen neue Verbindungen ein, werden remixt, lösen sich wieder und verzichten dabei getrost auf Fragwürdigkeiten wie Metaphysik und schamanistische Ausdruckstanzmystik. So kann Techno auch als Philosophie eines Materialismus plus Soul & Fun definiert werden.