märz 1996

Das letzte Großformat - 1 Jahr »kunstfehler« neu

Mitten in den Jubiläumsfeiern erreichte uns ein Brief des bayrischen Medienwissenschafters Rikki Oberbeck. Den wollen wir der geneigten LeserInnenschaft natürlich nicht vorenthalten

»“Die Menschen der Steinzeit verfügten über gewaltige Kräfte. Nur so war es ihnen möglich, ihre Zeitungen auch in der Straßenbahn mit sich zu führen. Heute produzieren die Verleger möglichst kleine Blätter, die ein Lesen im Gehen oder am Würstelstand erlauben. Ist der Inhalt nun von solcher Gestalt, daß ein Lesen desselben nicht unbedingt notwendig ist, um im Gespräch mit Kollegen auf dem laufenden zu sein, so geben zwei Löcher in der Zeitung den Blick frei für Wichtigeres. Denn es ist keine Kunst, Fehler zu machen.”« So schloß die bekannte amerikanische Semisoziologin Jolanda Bart ihren Klassiker »“Typen des Alltags”«. Und so war es auch im Herbst 1993, als sich einige Mitglieder und Freunde der ARGE überlegten, was zu tun sei. Ein Workshop war schnell gebastelt, ein Unterausschuß wählte das dahindümpelnde Mitgliederinfo einstimmig zum Opfer und demokratisches Brainstorming setzte die ultimative Power frei: Der “kunstfehler” sollte ein echtes Medium werden. Nieder mit den Infos zum schnellen Durchblättern! Weg mit langweiligen Kurzstatements! Gute Mitarbeiter konnten angeheuert werden, strenge politische Unabhängigkeit war garantiert.

Da lag sie nun, die Februar-Ausgabe des “kunstfehlers”. Die optische Aufbereitung war großartig. Da es in Salzburg keine Straßenbahn gibt, mußte ein Testlesen in der Lokalbahn durchgeführt werden. Ernüchterndes Ergebnis: Der “kunstfehler” ist ein lesbares Produkt engagierter JournalistInnen. Keine theorieüberladenen Denklawinaden trüben den Blick. Die Themen sind aktuell und bereichern die Salzburger Medienszene effizient.

Der neue “kunstfehler” tritt einer in Salzburg um sich greifenden Spezialisierung und nahezu radikalen Lokalisierung entgegen. Häuser werden gebaut für Rock und Literatur. Ehemalige Chancen für freie Kulturhäuser werden zu Theaterhäusern. Mozarts erstes Baumhaus steht kurz vor der Eröffnung. Der “kunstfehler” ist ein Spiegel des Kulturgelände Nonntal. Die manchem vielleicht überholt scheinende Konstruktion beweist den Mut, übergreifend zu denken. Musik und Literatur, Theater und Experiment sind hier integriert und finden in der Zeitschrift ihren Platz. Der neue kunstfehler blickt über den Rand, und das ist für Salzburg neu.

Seit Februar 1995 beziehen die MitarbeiterInnen Stellung. Sei es im kulturpolitischen Bereich, sei es im Sozialen: Erstmals haben Kulturschaffende und/oder MitarbeiterInnen des Kulturvereins die Chance, breitenwirksam zu Wort zu kommen. Für die Leser bedeutet das Information über das Boulevardformat hinaus. Das bedeutet gleichzeitig Information, die es sonst nicht gäbe. Jandrokovics Abrechnung mit der Salzburger Sozialpolitik (Oktober 1995), Gröchenig und seine Auseinandersetzung mit der österreichischen Kulturpolitik (April 1995) und vieles andere mehr sind Beispiele für einfach ehrlichen Journalismus, die man in anderen unabhängigen Blättern vergeblich sucht. Der “kunstfehler” beweist überdies, daß Hirn nicht humorlos sein muß: Zynisches wie “Das Sparpaketspiel” (März 1995) oder “Sauft Beaujolais - freßt Bouillebaise” ist von einer ebenso großen Leichtfüßigkeit geprägt wie die ausgezeichnet recherchierten monatlichen Buch- und Plattenrezensionen. Der große Erfolg des neuen “kunstfehler” läßt sich allein daraus ersehen, daß sich die Salzburger Nachrichten am 16. September, nur sieben Monate nach Erscheinen des “kunstfehlers”, gezwungen sahen, ihr Format zu verändern. Dennoch, und obwohl der “kunstfehler” noch nicht professionell vertrieben wird, ist es schier unmöglich, am Morgen in der Trafik an der Ecke ein Exemplar des “kunstfehlers” zu erwerben, obwohl noch stoßweise Kronen Zeitungen und Salzburger Nachrichten herumliegen. Der ägyptische Fernsehmechaniker Nil Postmann stellte zu diesem Paradoxon fest: “Es genügt nicht, das Format zu ändern. Man muß auch die Nivea halten.” (in: Wir amüsieren uns im Tode, Ale-xandra 1952)

Ich glaube, daß die gesamte ARGE durch den neuen “kunstfehler” an Kontur gewonnen hat. Manch einer hat sich vielleicht durch die anregende Qualität der Zeitschrift dazu verführen lassen, die nicht weniger aufregende Qualität des Veranstaltungsangebots zu testen. Und selbst der, der die von der Waffen-SS als liebe Freunde hat, hat angefragt. Allerdings parlamentarisch.

1995 ist das Jahr der Jubiläen. 1000 Jahre Ostern bei Ricki, 7 Jahre täglich Gyros im ARGE-Beisl und schon seit 181 Jahren Biedermeier in Österreich. Warum also nicht ein Bierchen auf den guten alten “kunstfehler” trinken? Alles Gute.