april 1996

Ludwig Laher
zu gast

Michael Köhlmeier

Noch immer hält sich Michael Köhlmeiers »Telemach« auf einem Spitzenplatz der österreichischen Buchbestseller-listen. Und seine unprätentiösen Radioplaudereien über die griechische Mythologie sind, wie er überrascht vermerkt, als CD-Edition schon mehr als 9000mal verkauft worden.

Über »Poesie und Vielgötterei«, also das weite Land einer Literatur gewordenen, besser gesagt: aus der Literatur erst gewordenen Götterwelt und ihr Verhältnis zu uns Menschen habe ich neulich in der Reihe »Poetik & Poesie« vor - selbstredend- vollem Haus mit Michael Köhlmeier geredet. Warum dieser Publikumserfolg bei so einem Thema? Für Köhlmeier steht der aufklärerische Aspekt des Mythos im Vorder- grund, die Klarheit der reinen Erzählung. Mit postmodernem Geraune will er nichts am Hut haben, mythisch und mystisch ähnelten einander bestenfalls als Wort. Auch Handlungsanweisungen, Heilswege würden nicht geboten.

Michael Köhlmeier erzählt Geschichten, die Leute hören und lesen wollen, er erzählt uralte Storys ohne Pathos, respektlos und eben dadurch von Respekt für die Vorlage geprägt, er erzählt sie neu, zeitgemäß. Die griechische Götterwelt, wir kennen sie aus der Schule, verstaubt, verwirrend, zum Einschlafen für viele. Jetzt wohnen Persephone und Hera logischerweise in der Französischen Straße 1177 und Pallas Athene im dicken Mentor.

Und warum, das lassen wir uns vorm Einschlafen erzählen und bleiben wach.

Der Weg des Zögerers und Zauderers Telemach aus dem Schatten seines Heldenvaters, aus der Einflußsphäre der umtriebigen, ziellosen Mutter, der Populisten und Opportunisten, philosophischen Mentoren, weltabgewandten Kriegervorfahren und selbst der listenreichen Götter hin zur wahren Bestimmung dürfte auf junge Leser allerdings schon wieder leicht nostalgisch wirken. Denn als er alle Bürde hinter sich gelassen hat und übermütig Bob Marleys Trenchtown Rock singt, ist Telemach Aussteiger geworden, dem einfachen Leben zugetan, das romantische Gemüter in den 70ern mit Marley-Reggae assoziierten: viel Integrität, ein bissl Botschaft, ein bissl Ganja, ein bissl Sonne und Meer und Liebe. Nix mehr Rache und Erfolg, nix mehr Establishment und Götterwille, ätsch.

Darüber haben wir im ARGE-Saal geplaudert, das Publikum, vorzugsweise über 30, Köhlmeier und ich. Wer unterschwellige Kritik aus diesen Zeilen liest, irrt. Klar, junge, global vernetzte Leute, die den nächsten technologischen Quantensprung in Fachzeitschriften begierig antizipieren, dürften mit all dem wenig anfangen können. Aber Köhlmeier erzählt ja bloß, er drängt niemandem eine Lehre auf. Und er erzählt die Geschichte seiner Generation, nein, damit ich keinem Mythos aufsitze, präziser: die Geschichte der idealistischen Lebenskonzeption nicht so weniger seiner Generation.