april 1996

Didi Neidhart

Unvereinbarkeiten und gegensätzliche Positionen

Zum zweijährigen Bestehen der Zeitschrift »DIE BEUTE«

Mal ehrlich, wer erwartet sich noch etwas von linken Zeitschriften außer der Bestätigung der eigenen Nonkonformität plus der Reformkraft, die dahinter vermutet wird (a.k.a. der kritisch-engagierte Dialog mit dem System, auf das es sich als böse erkennt und reumütig Einsicht zeigt)? Hat sich das Bewußtsein einmal die Welt in alternativen Klassenzimmern erklären lassen, hält es halt gerne daran fest. Auch wenn ihm plötzlich die Pausenbrote gestohlen und die Hefte und Bücher beschmiert/entwendet werden. Es darf sich dann aber auch nicht wundern, wenn ihm seine gut gehüteten Geheimnisse von der anderen Seite um die Ohren fliegen. Dummerweise wundert es sich aber nur selten, sondern sieht darin die gesell- schaftsverändernde Kraft seiner Ideale, ohne zu bemerken, daß es sich dabei nur um Minimalforderungen handelt, deren Integration die herrschenden Machtverhältnisse nicht verändert, sondern neu stabilisiert.

Daß es auch anders geht, zeigt nun schon seit über zwei Jahren die BEUTE. Gegründet im Umfeld der Wohlfahrtsausschüsse, jenem Zusammenschluß von Initiativen/AktivistInnen aus Politik und Kunst, die die Isolation und Kommunikationslosigkeit der verschiedenen oppositionellen Szenen aufbrechen wollten, um so das »Handlungsfeld für eine radikale Kritik zu erweitern«, versteht sich die BEUTE als »Zeitschrift für radikale linke Kritik«, deren theoretische wie praktische Grundlagen (»Theorieproduktion ist nur eine politische Praxis unter anderen.« Sabine Grimm) vor allem neuere Cultural Studies-Ansätze aus dem anglo-amerikanischen Raum (Race, Gender, Class und Impulsgeber wie z. Bsp. Foucault, Deleuze/Guattari) und das Eingebundensein in autonome (Sub-)Kulturszenen/Milieus (Stichwort Pop & Politik) bilden.

Ist die BEUTE 1994 noch angetreten, in der Linken die »gruppendynamische Selbstbezüglichkeit als auch die sektenhafte Abgrenzung gegenüber der Öffentlichkeit zu überwinden«, um so den verlorenen »Kontakt zu den politisch Aktiven und zu den subkulturellen Gruppen« wieder herzustellen, wird 1996 festgestellt, daß es an der »Bereitschaft, neuere Diskussionen zu Rassismus, Nationalismus und Sexismus wahrzunehmen« mehr als mangelt, bzw. sich viele diese Fragen der Linken nicht einmal stellen, da sie sich mit einem in den 70ern erworbenen kritischen Kanon zufrieden gibt.

Wer jetzt aber glaubt, die BEUTE verbreitet bohemistischen Katzenjammer-Schmuß (Jetzt noch linker als die Linken), irrt gewaltig. Dafür bürgt schon der situationistisch gefärbte Sub-Titel »Politik und Verbrechen« und das Verhältnis der AutorInnen zu Kunst, Genuß, Militanz, Sex, Rausch, das sie einer moralisierenden Linken gegenüberstellen, deren Positionen dazu auch Helmut Kohl teilen dürfte. Deshalb geht es auch um die »Konstruktion eines unkontrollierten Kontextes«. Um Ambivalenzen, Anti-Dogmatismus, Möglichkeiten von Dissidenz in den mittleren 90ern, linke Subkulturgeschichte(n) und herumwirbelnde, rhizomatische Diskurse, die nicht vom Mainstream assimiliert werden können.

Bisher sind acht Ausgaben erschienen. Darunter Schwerpunktbände zu den Themen »Sicherheitskonzepte«, »Subkultur«, »Autonomie und Bewegung«, »Fiktionen des Imperialisums«, »Schwarze Löcher. Illusionen der Herrschaft - Utopien der Linken«.

Zusätzlich gibt es einen »Übersetzungs- und Recherchierfonds«, der ausländische Texte in der BEUTE als Erst-übersetzung bringt (bisher u.a. Er- klärungen und Dokumente der EZLN, Nancy Fraser: »Feministische Intellektuelle in den USA«, Joanne Gottlieb/Gayle Wald: »Smells Like Teen Spirit - Riot Grrrls und Frauen im Independent Rock«, Subcomandante Marcos: »Guerilla und Zivilgesellschaft«, Ömer Laciner: »Antikemalistische Linke und islamische Intellektuelle«)

Die aktuelle Nummer »NOW! Black Panthers, Foucault, Hippies« bringt neben einem Gespräch mit Melvin und Mario Van Peebles über ihren in Amerika kontrovers diskutierten Film »Panther«, dem aktuellen Stand der Freilandversuche in den USA, betreffend elektronische Halsbänder für Delin-quenten und einer Analyse des Zusammenspiels von Foucaults Ästhetik der Existenz, den Theorien der Situationisten, dem Pariser Mai ‘68 und den Konsequenzen für das »Subjekt der Revolten« daraus, Diedrich Diederichsen und Juliane Rebenitsch über Hippies, MC5, Outlaws, Sonnenkinder, Poeten, Charles Manson und anderen Ahnen der Gegenkultur, Sabeth Buchmann über die High-Tech-Tauglichkeit von Kunst, bzw. wie Reaktion mit Dissidenz vertauscht wird und Sabine Grimm über Feministische Zeitschriften und Fanzines, mit dem Ergebnis, daß trotz den seit Judith Butlers »Gender Trouble« geführten Diskursen »Geschlecht weiterhin als essentielle Kategorie (...) im Sinne einer un- hintergehbaren Faktizität« begriffen/ reetabliert wird (»vorsichtiges Wiederzulassen der Biologismus-Diskussion«, »Geschlecht als identifikatorische und nicht analytische Kategorie« in der feministischen Geschichtsschreibung) und dadurch gesellschaftliche Macht- und Gewaltverhältnisse eher »idealistisch verklärt«, als benannt und kritisiert werden.

Wenn die festgeschriebenen Dichotomien nur noch den gesellschaftlichen Status Quo zementieren, sind herumwildernde FreibeuterInnen nicht nur für Bewegungen des Gehirnschmalzes unverzichtbar.

Die Beute

Politik und Verbrechen

Einzelheft 16 DM/125 öS

Abo (mind. 4 Hefte) 66 DM (incl. Versand)/ Förderabo 100 DM

Edition ID-Archiv

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