april 1996

Mario Jandrokovic

Das große europäische Kultur-Handshake

Das »European Art Forum« präsentiert die künftigen Eliten großeuropäischer »kultureller Identität«

Die Infomappe zeigt Salzburg von der besten Seite: als unverfälschtes historisch-europäisches Postkartenpanorama, das sich ohne Zweifel für das Pfingsttreffen der ganz Großen beim »European Art Forum« mehr als würdig erweisen wird. Unter der Patronanz des EU-Obersten Jacques Santer und Bundespräsident Klestil versammeln sich höchste politische Würdenträger, Kulturindustriemagnaten sowie in Ehren ergraute kreative Denkerstirne.

Laut Ankündigung sind »kontroversielle Debatten« zu erwarten; falls nicht so sehr in der salbungsvollen Atmosphäre der Tagungsorte, Kleines Festspielhaus und Alte Fürsterzbischöfliche Residenz, dann umso mehr außerhalb. Wenn KulturarbeiterInnen im Land über die Umwidmung des jährlichen Etats für die Landesausstellung zugunsten des »European Art Forum« gelinde gesagt erbost sind, so geht es dabei um weitaus mehr als die leidige Frage, wie denn der schnöde Mammon umverteilt wird. So hat das Land Oberösterreich - gemäß der Erkenntnis, daß nicht jede offiziell abgesegnete, großangelegte Kulturmanifestation auch von Relevanz ist - abwechselnd mit den Landesausstellungen alle zwei Jahre das »Festival der Regionen« installiert, in welches letztes Jahr neben internationalen Kräften auch zahllose Initiativen vor Ort eingebunden worden sind; dieses Festival hat dann nicht nur die erwähnten kontroversiellen Debatten mit sich gebracht, sondern auch an die 30.000 Interessierte, welche die diversen Veranstaltungsorte besuchten, in die brisanten Auseinandersetzungen um Kultur, Heimat etc. mit einbezogen.

Auch in Salzburg sind alle herzlich zum dreitägigen Diskussionsereignis eingeladen, allerdings gegen ein Entgelt von 5.400.- Schilling, was für zahllose kulturell Aktive vor Ort das halbe Monatseinkommen bedeutet; ihnen bietet das »European Art Forum« allerdings die Teilnahme an den Plenarsitzungen des ersten und dritten Tages für öS 1.200.- an. Doch trotz des Sonderangebots werden zahlreiche dieser AktivistInnen nicht von ungefähr zu diesem Spektakel auf Distanz bleiben: Die zweifellos bedeutenden Fragen nach der integrativen Vernetzung Europas etwa werden in Gesprächsrunden diskutiert, bei denen auf medialer Ebene der Intendant des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Gerhard Zeiler teilnimmt, und wo als Vertreter von außerstaatlichen Institutionen der höchstens in wirtschaftlichen Belangen liberal denkende Redakteur Jens Tschebull, der Medienboß Hubert Burda sowie Jan Mojto, Geschäftsführer des bei Satellitenprogrammen omnipräsenten Kirch-Gruppe, Referate halten. Es ist äußerst schwer vorstellbar, daß Kultur dabei anders abgehandelt wird denn als Wurmfortsatz in den kanalisierten Bahnen des großen Geldflusses. Die Fragestellungen ergeben sich aus der Perspektive, und die Perspektive ist jene von den Spitzen angehäufter Macht, also MinisterInnen und FunktionärInnen höchst renommierter Kultureinrichtungen. Vereinzelt finden sich etablierte künstlerische Persönlichkeiten wie Peter Sellars oder Iannis Xenakis.

Amnesty International etwa wird die Seriosität dieser Veranstaltung wohl daran messen, ob bei allen Bekenntnissen zu Integration und Humanismus die als Referentin geladene türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller denn auch zu den Menschenrechtsverletzungen an der kurdischen Bevölkerung befragt werden wird. Ansonsten bleibt der geistige Höhenflug nämlich tatsächlich am Boden des verbalen Händeschüttelns gestandener »Kongreßeuropäer« (wie in einem Kommentar treffend vermerkt wurde).

Wo Begriffe wie Kultur und Identität ineinander verschwimmen, scheint vor allem der Glaube an die unbefleckte Empfängnis kultureller Identität wirksam zu werden, ein Glaube, der zum »Aufbau eines (...) kompakten Europas« scheinbar äußerst dienlich ist. VertreterInnen von Kulturinitiativen vor Ort, die sich halt auch mit avancierteren Fragestellungen wie der zunehmenden Unterwanderung der Begriffe »Kultur« und »Identität« durch die Neue Rechte auseinandersetzen müssen, erscheint dies mit Fug und Recht als unhaltbarer bis gefährlicher Kulturaberglaube. Um einem Dialog mit ihnen scheint Festspielintendant Gerard Mortier, Vorsitzender des »European Art Forum«, nunmehr verstärkt bemüht zu sein. Für einen gleichberechtigten Dialog, dem Kultur nicht als Werkzeug zur Bestätigung von Hierarchien dient, ist das bestehende Programm nicht gerade förderlich. Dies wäre jedoch der einzige Weg, in Salzburg nicht ein weiteres Mal eine Kultur des Ausschlusses zu fördern, die alleinig potenten TechnokratInnen (aus der Zeit Karajans als Geld-adel bekannt) und deren etablierten Handlangern zum Abfeiern zugute kommt.