april 1996

Thomas Neuhold

DER GROOVE DES WOLFGANG AMADEUS MOZART

Exklusiv im »kunstfehler«: Friedrich Gulda über sein neues Salzburger Projekt, Dancefloor, die Festspiele und seine Freude an der Musik

Friedrich Gulda ist zweifelsohne einer der großen Pianisten dieses Jahrhunderts. Gulda, der am 16. Mai seinen 66. Geburtstag feiert, gilt als genialer Bach-, Beethoven- und Mozart Interpret, ist Jazz Musiker und neuerdings auch zwischen Techno, Hip Hop und House unterwegs.

Gulda war immer mahnendes Gewissen des klassischen Musikbetriebes. Und gerade mit Salzburg verbindet den gebürtigen Wiener, so gesehen, viel. Die Konflikte mit den Salzburger Festspielen, als Gulda Verträge brach, um die Abweisung seines Mozart-Mitstreiters Nikolaus Harnoncourt zu rächen, sind bereits Legende. Gulda war aber auch von Anfang an bei der »Szene« dabei.

Am Osterwochenende kehrt Gulda mit seinem Dancefloor-Mozart Projekt »Flite Thru The Nite« wieder zur »Szene« zurück. Der »kunstfehler« - Didi Neidhart, Thomas Neuhold und Herbert Huber (Photos) - war wenige Wochen vorher zu Gast in Guldas Atterseer Heimat Weißenbach, wo...

• ...ich mich im Winter in meinem Arbeitskeller vergrabe. Und ohne daß ich recht weiß, was und wie das wird, entwickelt sich dann aus dem vergangenen Jahr eine musikalische Tätigkeit, die das, was im Jahr so passiert ist, zusammenfaßt und weiterdenkt.

Das Ergebnis sind zwei Schwerpunkte, die in meinem musikalischen Denken sehr eng verbunden sind: Das eine ist der Groß- oder Weltmeister Mozart, das andere ist die Musik, nicht der Jungen, sondern der ganz Jungen. Also nicht, wie es bisher war, wo meine Mitarbeiter meinten, das könnten meine Söhne und Töchter sein, sondern jetzt könnten es auch meine Enkel und Enkelinnen sein.

Was wird uns am Osterwochenende im Stadtkino bei »Flite Thru The Nite« erwarten?

• Ich werde meine intensive Beschäftigung mit dem Weltmeister Mozart nach dem neuesten Stand vorführen und in Beziehung und Verbindung bringen mit Dance- und Housemusic.

Ich bin da an meinem Urlaubsort Ibiza einfach hineingeraten. Da endet man am Abend in irgendeiner Disco. Dort gibt es die besten, schönsten und stimmungsvollsten auf der Welt, mit den besten DJs, der schönsten Musik und den schönsten Mädeln. Da geht man halt gerne hin, auch wenn man nicht mehr so ganz taufrisch ist. Das hat für mich auch musikalische Konsequenzen gehabt. Ein Ergebnis nach dem allerneuesten Stand, werden diese zwei Nächte in Salzburg am 6. und 7. April sein.

Inwieweit wird sich dieses Projekt von Ihrem vorhergehenden in Wien unterscheiden?

• Die Weiterentwicklung besteht darin, daß der Zusammenhang zwischen dieser lebensvollen Musik des Meisters Mozart und der in ihrer Art genauso lebensvollen modernen Tanzmusik für mich auch schon in Wien sehr klar war, aber die Umstände es nicht zugelassen haben, das rüberzubringen. Im Wiener Konzerthaus war es so, daß, bedingt durch die Räumlichkeit, der Mozart-Teil und der Disco-Teil hintereinander stattgefunden haben. Zuerst war der Mozart-Teil, dann haben wir etwas gejazzt, und dann sind wir hinüber in den Mozartsaal, der unbestuhlt und als Tanzsaal hergerichtet war. Da hat der DJ schon gewartet.

In Salzburg wird das mehr ineinandergreifen. Diese Zweiteilung, die sich ja aufdrängt, die zu reduzieren, herunterzuspielen und als überhaupt unwichtig wegzudrängen, das ist ein wichtiges Ziel von mir. Es soll nahtlos ineinander übergreifen, sodaß sich beim dritten, vierten Wechsel die Leute nicht mehr darüber aufregen.

Warum will man überhaupt den jungen Menschen Mozart näherbringen? Wenn sie von selber nicht draufkommen, braucht es ja auch kein didaktisches Hilfsmittel.

• Ich habe keine pädagogischen Absichten dabei! Wenn die jungen Leute gerne Mozart hören, ist es gut, wenn nicht, dann ist es mir auch recht. Nur, umgekehrt ist es genauso. Es gibt viele Leute, die sagen, wenn der Gulda Mozart spielt, dann ist das wunderbar, dann kommt er wieder mit seiner Discomusik und die ist so laut. Ich präsentiere diese beiden Arten von Musik, die zeitlich zweihundert Jahre von einander entfernt sind, aber sich geistig sehr nahe stehen. Beide Arten von Musik strahlen überwiegend eine ungeheure Lebensfreude und Vitalität aus. Beide Arten von Musik sind ungeheuer tänzerisch. Es besteht eine sehr enge Verwandtschaft, die ich nur mit den Worten Glanz, Lebensfreude, tänzerisches Vergnügen beschreiben kann. Je weniger dabei stilistische und zeitliche Unterschiede auffallen, desto besser ist es.

Was fasziniert Gulda eigentlich an Techno?

• Die Frage engt die moderne Tanzmusik durch den Begriff Techno etwas ein. Alle Techno-Musik ist Tanzmusik, nicht jede Tanzmusik ist Techno. Die reine Techno-Musik tut so, insbesondere in Deutschland, als wäre sie die moderne Tanzmusik. Das ist eine Überheblichkeit, die leider für unser Nachbarvolk typisch ist. Der deutsche Techno-Papst Sven Väth, mit dem ich befreundet bin, tut so, als wäre seine Musik das Ganze von der modernen Musik. Ich mag diese Überheblichkeit nicht. Die DJs, die ich einlade, kommen vorwiegend aus England. Die bauen Techno ein, wenn sie es brauchen können.

Wie Jazz bei uns nach dem Krieg angefangen hat, mit Fatty George und so, da war das Tanzmusik. Das erste und wichtigste in diesen Clubs war, daß dort getanzt wurde. Dann wurde die Tanzmusik immer mehr zu einer Zuhörmusik, und es war aus. Die nächste Generation hat gesagt, bis hierher und nicht weiter. Das ist ein unverständlicher Scheiß, wir wollen unsere Hetz haben und Tanzen: The Dance first, the music second. Und man muß sagen, ihr habt Recht, ihr führt die Musik dorthin, wo sie hingehört, nämlich zum Vergnügen, zum Tanz, zur körperlichen Bewegung.

Wobei sich ja gerade bei Hip- und Trip-Hop und bei Housemusic die Enkel wieder Sachen von den Großvätern sampeln. Coltrane, Art Blakey, Dizzy Gillespie...

• Wenn das nach ihren Kriterien funktioniert, dann paßt das. Ich will ja nicht sagen, daß diese neue Generation elternlos ist, nur nehmen sie sich halt nur das, was ihnen von den Vätern brauchbar erscheint. Vieles, was beim Papa altmodisch, verzopft und unverständlich ist, lassen sie weg. Mir taugt das enorm. Ich gehe dort gerne hin, höre mir die Musik an, tanze etwas mit, soweit es mein vorgerücktes Alter erlaubt, schaue mir das an und trinke meine zwei Gin-Tonic. Extacy nehme ich aber nicht. Da habe ich Angst. Die Jungen kommen und sagen, komm, gehen wir After Hours, da sage ich, der Papa geht jetzt schlafen.

Wie stehen Sie zu den veränderten Produktionsbedingungen der modernen Tanzmusik, die vor allem durch die Arbeit am Computer definiert ist?

• Wenn man am Computer sitzt und die richtigen Knöpfe im richtigen Moment drückt, ist das nur eine andere und neuartige Form der Musikproduktion. Früher hat man schwarze Punkte aufs Papier geschrieben. Ich sehe darin weder einen Vor- noch einen Nachteil. Ein Musiker kann auf verschiedenen Instrumenten spielen. Wer vor dem Computer in seinem stillen Kämmerchen sitzt, muß ja auch bestimmen, wann und wohin welcher Beat kommt. Will ich den hoch oder tief, laut oder leise, langsam oder schnell. Das ist komponieren. Dasselbe gilt auch für DJs. Eine der Fähigkeiten und Techniken eines guten DJs besteht darin, die Übergänge zwischen den einzelnen Stücken so nahtlos zu gestalten, daß sie die Tänzer dabei nicht aus dem Groove werfen.

Wo ist da der Anknüpfungspunkt zu Mozart? Wenn man die Leute nicht aus dem Groove werfen will, ist ja Mozart nicht der einzige aus der Musikgeschichte.

• Mozart ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Stärkste. Er selber war ein begeisterter Tänzer. Im Gegensatz zu Johann Strauß, der als berühmter Tanzmusiker gilt, aber nur sehr ungern und wenn, dann schlecht, getanzt hat. Wenn ich jetzt aber sage, die Leute heute wollen nicht aus dem Groove geworfen werden, kommt die berechtigte Frage: Aber der Mozart schmeißt sie ja aus dem Groove. Da müßt ihr halt eure musikalischen Rezeptionsorgane ein bißerl öffnen. Ich habe das den ganzen Winter lang geübt. Wo schmeiße ich euch aus dem Groove und warum. Das kommt sinnvoll runter, ohne daß die Jungen maulen.

Das heißt, der Ausnahmekomponist Mozart dient zur Weiterentwicklung der modernen Tanzmusik.

• Nein! Ich würde Mozart nicht in den Dienst von irgendetwas stellen. Ich will die Stücke von Mozart, die gespielt werden, so aussuchen, daß das alles in einem Zusammenhang gestellt wird und überzeugend wirkt. Wobei ich anheim stelle, daß die Tänzer bei Mozart vielleicht zu tanzen aufhören. Aber erstens muß das gar nicht sein, und wenn sie aufhören, macht es auch nichts, weil ich die Übergänge so angelegt habe, daß man auch dieses Aufhören, dieses Ändern, dieses Übergehen als lustvoll empfinden kann.

Vielleicht noch eine Neuerung gegenüber Wien: Ich spiele nicht mehr Klavier, sondern ein elektronisches Instrument namens Clavinova. Sein Klang ist von einem wirklichen Klavier nicht mehr zu unterscheiden, es hat aber den Vorteil des elektrischen Instruments, das noch viel mehr andere Dinge kann.

Und was den Klavierklang betrifft, da kommt etwas hinzu. Der Konzertflügel klingt auch nicht so wie zu Mozarts Zeiten. Das Klavier war zu seinen Zeiten eine ganz neue Erfindung, ein mit Kinderkrankheiten behaftetes, sehr schlechtes Instrument. Wenn man das heute auf einem modernen Steinway spielt, dann ist das in keinster Weise das authentische Instrument. Der Steinway ist nur eine Übersetzung von Mozarts Klangvorstellungen ins 19. Jahrhundert und das Clavinova eine in das 20.

Gulda und Salzburg ist ein Kapitel, das war nie ganz friktionsfrei. Da hieß es letztens sinngemäß, das, was Mortier macht, ist erstens weder neu und zweitens keine Musik. Ist die Ära Mortier nicht zumindest eine Weiterentwicklung gegenüber den vergangenen Jahrzehnten?

• In der Hauptsache besteht in der programmatischen Ausrichtung zwischen der Ära Karajan und der Ära Mortier kein Unterschied in der konsequenten Ausklammerung der wichtigsten heutigen Musik, die es gibt, der afroamerikanischen Musik mit ihren ganzen Unterabteilungen Jazz, Popmusik, HipHop, Blues, Gospel.... In dieser Hinsicht sind sie sich verdammt ähnlich.

Wie würden dann Gulda-Festspiele ausschauen?

• Ich würde mich dazu nicht berufen fühlen. Ich habe so etwas einmal gemacht und bin dabei gescheitert. Da bin ich zuwenig Diplomat und Machtmensch. Macht, Listigkeit, Durchsetzungsvermögen, auch mit manchmal unlauteren Mitteln, das sind Dinge, die mir fremd sind.

Aber Ideen und Wünsche gibt es doch für die Festspiele?

• Wie gesagt: Die Öffnung hin zur afroamerikanischen Musik und daraus praktische Konsequenzen ziehen. Mir hat, wie das Gespräch mit der »Szene« zu unserem Oster-Projekt aufgekommen ist, das Datum nicht zuletzt so gut gefallen, weil zwei Türen weiter der Herr Abado und die Wiener Philharmoniker zufällig auch ein Mozartprogramm spielen. Ich habe dieses Datum ganz bewußt gewählt. Die Osterfestspiele wissen übrigens auch davon.

Ich habe jedenfalls mit dem überragenden Mozart auf meine alten Tage das größte musikalische Vergnügen gefunden. Mit Betonung auf Vergnügen. Das besteht aus Mozart, Ferrari fahren, in die Disco gehen, Mädels und in fröhlichster Stimmung die fröhlichsten Stücke von Mozart spielen. Und ich danke meinem Schicksal, daß es mir vergönnt ist, diese ganzen schönen Dinge zu genießen.

Danke für das Gespräch!

»Ich werde meine intensive Beschäftigung mit dem Weltmeister Mozart nach dem neuesten Stand vorführen und in Beziehung und Verbindung bringen mit Dance- und Housemusic«.

»Ich habe beides probiert, Jazzprofessor und Disco-Mädel - kein Vergleich.« (Friedrich Gulda über seine Motivation, in Discotheken zu gehen.)