april 1996

Didi Neidhart
titel

Revolution via Internet?

Nord-Süd-Gefälle auch im Internet

Die Internet-Gesellschaft ist ein bunter Haufen verschiedenster Interessengruppen, die entweder naiv wirklich an Demokratisierung durch ein potentiell nichthegemoniales Medium glauben (jede/r kann gleichzeitig Sender/Empfänger von Informationen sein) bzw. diesen Glauben großspurig medial verbreiten, um die neoliberalistische New World Order zu installieren. Das Potential zwischen diesen beiden Positionen ist spärlich gesät und rekrutiert sich hauptsächlich aus Usern diverser Kunst- und Politik-Szenen/Gruppen, deren Vorstellungen vom emanzipatorischen Potential des Internets interessenbedingt auch eher auseinanderklaffen, als zusammen so etwas wie subversive Medientheorien hervorbringen, die auch außerhalb des Cyberspace Veränderungen bewirken. Damit sind nicht die administrativen und rechtlichen Grundvoraussetzungen für einen freien Zugang zu den Medien gemeint, sondern konkrete politische Aktionen, bei denen die virtuelle Realität verlassen und die physische betreten wird.

Das war auch einer der Streitpunkte bei der »Next Five Minutes«-Konferenz in Amsterdam und Rotterdam Ende letzten Jahres (vgl. Klaus Dreyer/ Miriam Lang: »Kein Anschluß ohne Anschluß«, SPEX 3/96). Während besonders die ReferentInnen von der amerikanischen Westküste (im speziellen Fall das Umfeld des »Wired-Magazin«) immer noch ein »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«-Techno-Utopia sehen bzw. den Cyberspace als Weiterführung der psychedelischen Revolution der 60er verstehen, kamen sich die eingeladenen Gäste aus der sogenannten Dritten Welt mehr als verarscht vor. Zwar gibt es im Internet u.a. Texte der ELZN aus Chiapas zu lesen (http://www.peak.org/ ~justin/ezln/ezln.html), aber das vielbeschworene »Guerilla-Medium der Revolution« ist auch dort immer noch das Radio. Dieser US-/Eurozentrismus zeigt aber auch, daß es die global apostrophierte »Virtuelle Klasse«, »in der Herrschaftsfaktoren wie Klasse, Rasse und Geschlecht aufgehoben seien« (Dreyer/Lang), überhaupt nicht gibt. »Weiß, westlich, wohlhabend, akademisch gebildet, des Englischen mächtig, zwischen 25 und 35 Jahre alt und vor allem männlich: Die Online-Gesellschaft ist in sich so homogen, daß soziale Reibungen selten auftauchen.« Und wenn, dann sind es bestimmt wieder Minoritäten, die mittels Gesetzesentwurf (Aktion »Sauberer Bildschirm«) aus dem Internet ausgeschlossen werden.

Darüber, »daß fast alle Medien immer das Gegenteil von dem bedeuten, was in der Gebrauchsanleitung steht« (Diedrich Diederichsen), muß wohl nicht mehr debattiert werden. Über das sich immer massiver abzeichnende Nord-Süd-Gefälle sollte sich zumindest die oppositionell gesinnte Online-Gesellschaft Gedanken machen. Auch wenn sie sich ihre Finger dabei nicht nur beim Druckerputzen schmutzig macht.

»Der Computer hilft nicht, die Realität zu bewältigen, er hilft nur, seine Realität zu bewältigen.«

(Thomas Palzer)