april 1996

Thomas Neuhold
titel

DER GOLDHAMSTER IM LAUFRAD

Politik und Gesellschaft sind auf die radikalen Veränderungen durch die neuen Kommunikationstechnologien schlecht vorbereitet

»Virtuelle Hochzeitsglocken im Cyberhimmel« - selbst der Tageszeitung »Der Standard« war die erste Heirat via Internet den Aufmacher auf der Titelseite einer Samstagausgabe wert. Victoria aus Hollywood und Joseph aus Venice Beach haben sich vor Gott und Laptop das Ja-Wort gegeben. Es geht aber auch andersrum: Monatelang verfolgte der Mann von Diane Goydon aus New Jersey von seinem Büro aus die E-mails seiner Frau an einen Mann in North Carolina. Als er schließlich lesen mußte, wie seine Gattin ihrem virtuellen Geliebten den »nicht-elektronischen Vollzug« anbot, reichte der Netz-Gehörnte schließlich die Scheidungsklage ein. Geschichten mit »human touch« kommen in Medien eben immer gut an; gerade bei einem Thema wie Internet, das für weite Teile der Leserschaft nach wie vor »spanisches Dorf« und »elektronisches Monster« in einem ist.

Dabei hat Österreich den Anschluß zumindest technologisch längst geschafft. Beispiel Wirtschaftsuni: Die Musterschülerin im Wissenschaftsbetrieb in Sachen Netznutzung bietet knapp 10.000 Studierenden über das WU-System »Powernet« Zugang zum Netz. Wer inskribiert, erhält auch gleich seine Kennung fürs Internet. Dabei geht’s freilich nicht nur ums Lernen oder die Wissenschaft. Zeugnisausdrucke oder Anmeldungen für Lehrveranstaltungen sind bereits an den vernetzten Computer gebunden. Die universitäre Verwaltung kann so ganz profan jede Menge Administration auf die Studierenden überwälzen.

Aber nicht nur Unis auch Klein- und Mittelbetriebe sind im Netz vertreten. Der ökonomische Nutzen für einen Hotelbetreiber im Lungau, der sein Haus übers Netz anbietet, mag zwar gering sein, Repräsentieren geht aber über alles. Ein bißchen funktioniert das System wie ein »globaler Bassenatratsch«: »...wenn schon der Nachbar on-line ist...« Vom Dorotheum bis zur Salzburg-Land-Tourismus-Gesellschaft, alle sind on-line. Nach eher konservativen Schätzungen verdoppelt sich die Größe des World Wide Web alle fünzig Tage, das Werbevolumen wird 1996 erstmals die Milliarden-Dollar-Hürde überspringen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Sie hat gerade erst begonnen - auch zwischen Boden- und Neusiedlersee.

Allerdings scheint die rasante Vernetzung, die Ausbreitung der neuen Kommunikationstechnologie an der heimischen Öffentlichkeit, vor allem aber an den Entscheidungsträgern in Politik und Interessensvertretungen, weitgehend vorbeizugehen. Beklemmung kommt auf, liest man die Analyse, die der Arbeitskreis »Hypermedia« am Rande des österreichischen Filmfestivals »Diagonale« im Dezember vergangenen Jahres in einem Positionspapier »an die politischen Vertreter Österreichs« festgehalten hat. Die knapp zwanzig Kopf starke Expertengruppe diagnostiziert längerfristig »eine Gefährdung der demokratiepolitischen Grundlagen« und »katastrophale soziokulturelle Entwicklungen«.

Wörtlich heißt es in der Präambel eines Forderungsprogrammes zur Telekommunikation in Österreich: »Während die medienrechtliche Basis dieser neuen Technologien bereits obsolet ist und strukturpolitisch notwendige Maßnahmen vernachlässigt werden, ist der Ausverkauf des öffentlichen elektronischen Raums in vollem Gange. Der öffentlich rechtliche Kulturauftrag im Cyberspace wird nicht erfüllt und die Problemstellungen einer Informationsökologie und Ökonomie der postindustriellen Gesellschaft werden nicht wahrgenommen. Einer sich radikal verändernden Arbeitswelt wird mit völlig untauglichen beschäftigungspolitischen Maßnahmen begegnet. Informationsvielfalt als notwendiger Bestandteil funktionierender Kommunikationssysteme muß gesichert werden.«

Einer der treibenden Kräfte hinter dem Katalog der »Hypermedia«-Gruppe ist Konrad Becker vom Wiener »Institut für Kulturtechnologie«. Im »kunstfehler«-Gespräch findet der Experte für Media-Research noch deutlichere Worte: »Keiner in der Öffentlichkeit - Politiker wie Journalisten - denkt über die Folgewirkungen dieses unheimlich mächtigen Werkzeuges nach.« Die öffentliche Diskussion reduziere sich auf Nebenschauplätze wie etwa die Tendenz der Vereinsamung. Die sei zwar auch gegeben, so Becker, im Vergleich dazu, was die Vernetzung sonst an Auswirkungen auf die Sozial- und Kulturlandschaft mit sich bringe, werde dieses Thema bei weitem überbewertet.

Dabei ist Becker, der im Zusammenhang mit den neuen Technologien von »der Atombombe fürs Gehirn« spricht, alles andere als ein Maschinenstürmer. Stolz erzählt er von den Leistungen seines Vereines, der Public Netbase »t0« anbietet und dessen Kunstserver weltweit auf etwa 30.000 Zugriffe täglich (!) verweisen kann. Sein Verein sei - wie andere auch - ein vor den Gefahren des Kommunikations-Goliath mahnender David. Insbesondere über die Möglichkeiten zu Manipulation werde »das Pflaster für eine neue Gesellschaftsordnung« gelegt.

Manipulation bedeutet für Becker einmal die rapide Zunahme von Informationen, die auf die Menschen einströmen. An sich sei der Kreislauf von »mehr Informationen - Überforderung, diese aufzunehmen und zu verarbeiten - Infoverweigerung und somit Informationslosigkeit« auch ohne Internet gegeben. »Das Netz heizt diese Entwicklung zusätzlich an«, so Becker. Mit einem direkten Zugriff des politischen Komplexes auf das Medium, auch unter Ausschaltung von filternden Elementen wie etwa Journalisten, komme ein weiteres problematisches Element hinzu.

Die neue Qualität der Manipulation ergebe sich aber aus der »neuen Architektur« des Mediums. Getäuscht durch das »partizipatorische Pseudoelement« bewege sich der User der Zukunft wie »ein Goldhamster im Radl«, gefangen von Programmen, die eigenständig Benutzerprofile erstellen. Die Funktionsweise ist denkbar einfach: Beispielsweise kann über eine elektronische Zeitung der Leser ziemlich genau vermessen werden. Das Programm stellt täglich jedem User seine individuelle Mischung aus Agenturmeldungen, Sport- und Kulturberichten, Zeitungsausschnitten und Fachartikeln zusammmen. Eine Zeitung, die nur das bringt, was mich interessiert, ist ein Traum. Oder doch ein Alpdruck? Denn der Rechner denkt mit, er beobachtet, was der Mensch wie oft abfragt, und korrigiert so permanent die Mischung der News - der Hamster sitzt im Rad und merkt es nicht einmal.

Werden dann noch die Daten der Zeitung vernetzt, etwa mit den Kreditkartenbewegungen der betreffenden Person und einem Bewegungsprofil des Mobiltelephons, dann weiß der Rechner schon sehr viel: Was du gerne liest, ißt, wo du einkaufst und natürlich auch was dir noch fehlt und dir irgendeine Firma schleunigst verkaufen sollte. »Da ist Orwell ein Dreck dagegen«, sagt Becker. Und von wegen »Paranoia«: Diese Programme existierten bereits und liefen in kleinen Einheiten im Teststadion. Bereits jetzt gebe es daher in den USA pressure groups, die ihre Kreditkarten zurückgeben, erzählt Becker.

Vermutlich mit wenig Aussicht auf Erfolg. Im englischen Swindon - ein Provinznest 100 Kilometer westlich von London - läuft derzeit ein erster Großversuch, für den 8.000 Menschen und 700 kommerzielle Teilnehmer Versuchskaninchen spielen. Getestet wird E-Money, also Zahlungsverkehr mit »virtueller Kohle«. Wenn dieses elektronische Geld die antiquierte Papierform endgültig ablöst, ist die Datenweitergabe der Einkaufsprofile wohl kaum mehr aufzuhalten.

Allein vor dem Hintergrund dieses einen Beispieles kommt den Forderungen an die Politik, die der »Hypermedia«-Arbeitskreis in Salzburg formuliert hat, ein ganz besonderes Gewicht in Sachen »digitale Demokratie« zu. Es geht nicht darum, Technologien zu bremsen. Vielleicht schon eher um einen möglichst breiten Zugang, um über die Vielfalt und auch über ein »geeignetes Regelwerk« das Schlimmste zu verhindern.

Im Bereich »Public Access« geht das Positionspapier von einem »Grundrecht auf Information« aus, »das es allen ermöglicht, an den digitalen Netzwerken teilzunehmen. So, wie für den allgemeinen Zugang zu Wissen und Literatur Bibliotheken geschaffen wurden, müssen im digitalen Zeitalter öffentliche Institutionen vernetzt und Informationen kostenlos zugänglich sein.« Zur digitalen Demokratie gehören auch »die Errichtung von Hardwarestationen im öffentlichen Raum«, »die drastische Senkung der Ortsgebühren in Form eines Basistarifes« oder etwa die Veröffentlichungspflicht im Netz von öffentlichen Datenbeständen, Gesetzgebungsvorhaben, von aus öffentlichen Geldern finanzierten Studien und ähnlichem mehr.

Gefordert ist natürlich auch die Bildungspolitik: »Dabei muß klar gemacht werden, daß kommunikative Kompetenz eine technische und eine soziale Komponente hat.« Im Klartext: Der Umgang mit der Maus ist genauso wichtig »wie eine Orientierungs- und Handlungsfähigkeit im Cyberspace.« Für einzelne Bevölkerungsgruppen sei der Zugang zu den neuen Medien erschwert, Förderungsmaßnahmen wären daher unabdingbar.

Besonders dramatisch ist nach Ansicht Beckers die medienpolitische und medienrechtliche Lage in Österreich: »Zur Zeit dürfte niemand in Österreich Internet haben«. Die laut Rundfunkgesetz notwendige Lizenz zur elektronischen Verbreitung von Bild und Ton hat niemand. Was vorerst noch wie eine typisch alpenländische Realsatire mit nicht exekutierbarem Rechtsgut aussieht, hat für Becker freilich einen realen Hintergrund: Es gebe kein »spezifisches Telekommunikationsrecht«, und somit auch keine rechtliche Abgrenzung der Verantwortung des Netzproviders und seiner Kunden. Also, obwohl kein Betreiber kontrollieren könne, was über sein Netz läuft, sei er rechtlich dafür haftbar.

Die weiteren Punkte im Maßnahmenkatalog der »Hypermedia« sind dann »nur mehr« Folgen der öffentlich-politischen Ignoranz hierzulande. So wird auf den Bericht der »Group on the Informa-tion Society« an die EU-Kommission verwiesen, der unmißverständlich festhält: »Jedem ECU für Technik sollten zwei ECU für Inhalte, Philospohie und Experiment entgegengehalten werden.« Solle das österreichische Kommunikationssystem im künftigen Europa eine Rolle spielen, »müssen Nischen für die Entwicklung von intelligenter Software finanziert und neue Inhalte gefördert werden.« Schließlich würden Forschungsprojekte, »die zur gesamtgesellschaftlichen Produktion beitragen«, neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Kunst, Technologie und Benutzern stiften.

Besonderen Optimismus, was die Durchsetzungschancen digitaler Demokratie angeht, versprüht allerdings niemand. Die Situation im Cyberspace sei »wie im Wilden-Westen«, wo derzeit die Claims abgesteckt würden und jeder »ein bißchen Territorium erobern kann«. Besonders geht Becker da aber »die Larmoyanz und Trägheit« in Sachen neue Kommunikationstechnologie »potentieller Verbündeter« in der Politik und bei den Interessensvertretungen auf den Geist. Die würden sich den realen Problemstellungen schlicht verweigern und sich statt dessen über Nazi-Propaganda oder Pornographie im Internet unterhalten. »Dabei gibt’s doch an jedem Bahnhof mehr Pornos als im Internet.«

»Zur Zeit dürfte niemand in Österreich Internet haben«. Die laut Rundfunkgesetz notwendige Lizenz zur elektronischen

Verbreitung von Bild und

Ton hat niemand.