mai 1996

Peter Truschner
gelesen

Figuren des Sexus.

Aus: Lettre International, Heft 32. Berlin 1996, S. 68-81

»Figuren des Sexus« umfaßt vier Beiträge, auf drei möchte ich näher eingehen: Nancy Hustons »Ich bin schön und gescheit« stellt sich unter Bezugnahme auf ihre eigene Entwicklungsgeschichte der Kriminalisierung und Bürokratisierung zwischengeschlechtlich-sinnlicher Kontaktarreale entgegen. Paul Virilio hält in »Cybersex« denselben für einen »Bruch zwischen Mann und Frau (...), der eine Bedrohung für die Zukunft der Fortpflanzung darstellt«. Harold Brodkeys »Triumph des Willens« läßt »Sex, amerikanische Filme, Nazis und moralische Fragen« einander gegenseitig erhellen und analysiert den »Solipsismus im Lande Oz« (Metapher für den amerikanischen Selbstzwang zur tagträumerischen Konstruktion erlebbarer Wirklichkeit).

So andersartig die Essays auch sind, gemeinsam ist ihnen das Wissen um eine wachsende Bedrohung. Für Virilio hat mit dem Cybersex qua Datenanzug jene Phase begonnen, in der man den verfügbaren Klon dem realen Wesen vorzieht, dessen Fehler darin besteht, einen freien Willen zu haben: »Die Angst vor dem Ungleichen hat über die sexuelle Anziehung den Sieg davongetragen«. Und Houston zur Situation in den USA: »...alle Formen des physischen Austauschs zwischen menschlichen Körpern müssen so vorhersehbar und sicher und vertragsartig sein wie der Verkauf eines Hauses«, wo durch »besessene Verbalisierung und falsch verstandenen Legalismus« die Rolle der Erotik »zu einem Nichts« degradiert wurde. Aber, so Brodkey: »Solipsismus kann verführerisch sein (...). eine Abwehrpose gegenüber der vollständigen, von vielerlei Willen und einer Vielfalt von Typen bewohnten Welt. Und doch weiß jeder, der einmal einen Menschen geküßt hat, daß zu einer Zärtlichkeit auch der magische Schock gehört, den Willen eines anderen Menschen zu erfahren.«