mai 1996

Birgit Feusthuber
gelesen

Gudrun Seidenauer

Apfel und Aug. Anagrammgedichte. Otto Müller Verlag 1996 Jeder Satz verbirgt in seinem Buchstabenmaterial eine Vielzahl anderer.

Laut Unica Zürn, der berühmtesten Vertreterin des Anagrammschreibens, bedeuten Anagramme Worte und Sätze, die durch Umstellen der Buchstaben eines gegebenen Wortes oder Satzes entstanden sind. »Apfel und Aug«, das erste Buch von Gudrun Seidenauer, besteht aus 49 Anagrammgedichten, denen als jeweils erste Sätze Gedichtzeilen von Ilse Aichinger bis Unica Zürn zugrundeliegen. Keine Sprachspielerei kommt uns da entgegen, sondern poetische Präzision, die Verdichtungen entstehen läßt, welche dem Ausgangssatz vielfältige Bedeutungen abzuringen vermögen. Ein leiser, schwebender Dialog, der beunruhigt und fasziniert durch die Schönheit der in ungewöhnliche Bilder gebannten Sprache. »Schreiben ist sterben lernen« heißt es bei Ilse Aichinger, »in Scherben leben, stets irren« ist die verborgene Dimension, mit der uns Gudrun Seidenauer konfrontiert.