mai 1996

Ludwig Laher

Widerrede aus der Mottenkiste

Zu »What’s That Noise?« im März-kunstfehler

Wenn ich »Geschichte als Steinbruch mit sich überlappenden, nebeneinander und kreuz und quer liegenden Segment(sic!)schichten« begreife und »somit ein Geschichtsbild, das vom linearen Ablauf aufeinander folgender Ereignisse ausgeht«, überwinde, entsteht zwangsläufig ein Geröllfeld, wie es Neidhart/Jandrokovic in der März-Ausgabe des kunstfehlers vergeblich mit Kraut und Rüben zu bepflanzen suchten.

Alte Dichotomien funktionieren tatsächlich nicht mehr, und zwischen einer Geschichtsbetrachtung, die streng linear etwa plötzliche Ausbrüche konstatiert, also solche der Gewalt 1971 in Nordirland, wo doch 1969 Menschen auf dem Mond landeten, und dem Neidhart/Jandrokovicschen Steinbruch liegt viel Platz.

Naturgemäß muß scheitern, wer in ein solches Geröllfeld Ordnung bringen will. Bleiben wir daher zunächst bei ihr, der Ordnung: Sie überwinden zu helfen, scheint für die Autoren ein Hauptvorzug dessen zu sein, was sie als Techno mehr umkreisen als definieren. Und wo hält sie sich verborgen, die grausliche Ordnung?

Die »Mottenkiste konservativer Bildungsbürger jeglicher Couleur« habe ich als Zielscheibe ausmachen können, und doch sind mir seit langem nicht auf so wenigen Seiten so viele scheinbar beiläufige Verweise auf brav angehäuftes Bildungsgut in die Quere gekommen wie im Aufsatz »What’s That Noise?«

Eine Auswahl gefällig? Die Avantgarde-Theorien der klassischen Moderne (Dada, Futurismus) sind verzeichnet, eine Prise Marcuse, ein bisserl Stockhausen, Karl May und Karl Marx selbstredend, Klaus Theweleit trägt einen Halbsatz bei und Mark Terkessidis desgleichen, Rechtsintellektuelle werden zitiert, Walter Benjamin darf ungenannt durchklingen und Robert Menasse auch. Gaudeamus igitur!

Und nur wer sich sattelfest in Sachen griechische Mythologie erweist, wird jenen Satz entschlüsseln können, mit dem Neidhart/Jandrokovic dem Bildungsbürger den klasssischen Dolchstoß versetzen: »So wird auch der Chimäre eines autonom, nur aus sich selbst heraus schöpfenden Subjekts endgültig die Autorität entzogen.«

Und wer entzieht, und das noch dazu endgültig? Der DJ, der mit Samplern arbeitet und das lineare Geschichtsbild überwindet. So quadriert man den Kreis und darf sich fortan Erster Teleologe gewesener historischer Linearität nennen. Genial.

Aber halt, der Originalgeniegedanke ist, DJs sei Dank, ebenso endgültig in der Mottenkiste verstaut. Einmal im Ernst: Dazu hat es des DJ nicht bedurft. Ich erspare mir die bildungsbürgerlichen Beweise und setze sie voraus.

Was Techno uns hingegen erspart, ist nicht so sehr das Originalgenie, sondern jedweden Anknüpfungspunkt an einen originären Gedanken. Wie kann man der Neuen Rechten vorwerfen, Techno zu instrumentalisieren, »indem man einfach alle internationalistischen, schwulen, femininen (sic!), anti-rassistischen und pazifistischen Aspekte von Techno unterschlägt. Stattdessen werden die nationalistischen, rassistischen, militaristischen forciert und Techno somit als ðweiße deutsche MusikÐ propagiert.«

Wenn nämlich ein Ding etwas und gleichzeitig das genaue Gegenteil bedeuten kann, dann darf man sich nicht beschweren, wenn sich wer nach Gutdünken bedient. In ihrem verzweifelten Bemühen, Subversion im Technolabyrinth zu orten, erleiden die beiden Autoren zunächst einen Rückschlag nach dem anderen: »Noch nie gab es so viel harte und nonkonforme Musik in den Charts, und doch ist nicht zu übersehen, daß subversive Strategien und das Einfordern von Utopien hierbei nur noch geringfügig zum Tragen kommen.« - »(Es) funktioniert auch die alte Dichotomie zwischen ðsubversivem UndergroundÐ und ðkonservativem MainstreamÐ nicht mehr.«

Nach langem Suchen erfahren wir jedoch, was es denn mit dem utopischen Moment der »Politics of Dancing« wirklich so Revolutionäres auf sich hat: »Strukturen lösen sich auf, gehen neue Verbindungen ein, lösen sich wieder und verzichten dabei getrost auf Fragwürdigkeiten wie Metaphysik und schamanistische Ausdruckstanzmystik. So kann Techno auch als Philosophie eines Materialismus plus Soul & Fun definiert werden.« Aha. So what?

Kongenial setzen Neidhart/Jandrokovic diese Definition in ihre Textproduktion um. Nur der Fun fällt in die Kategorie unfreiwilliger Humor, und neben dem Ausdruckstanz verzichten die beiden per definitionem auf jegliche Kohärenz.

Statt das Phantom des Originalgenies zu jagen, hätten ein paar erhellende Worte zur Vergötterung, zum Kultstatus der DJs, zu ihrem teilweise sagenhaften Marktwert nicht geschadet. Wenn diese »unter wechselnden Namen und auf verschiedenen Labels mit unterschiedlichsten Ansätzen arbeiten, Stil also weniger an eine (Künstler-) Person, sondern eher an ein Label-Programm gebunden ist«, dann ist das für Neidhart/Jandrokovic Beleg für die tolle Regenerationsfähigkeit dieser Musik. Komisch, ich lese daraus vielmehr, was ich als urösterreichische politische Tugend schon immer zum Kotzen fand: Vorsichtshalber besorgt man sich ein zweites, gar ein drittes Parteibuch, weil sich’s rentiert.

Und so schließe ich aus ihren Ausführungen, daß die Herren Neidhart und Jandrokovic den Fortschritt darin erblicken, an die Stelle des Künstlers mit einem ästhetischen Programm das Multistylingchamäleon ohne ein solches zu setzen. An die Stelle des Werkes den Cocktail aus Ingredienzien, die möglichst jedes für sich auch nichts (= etwas und sein Gegenteil) bedeuten. Den Cash machen in dieser idealen Gesellschaft nur noch die Verwerter, nicht die Schöpfer, weil das Elend des Kapitalismus sich ja in der undemokratischen Haltung des Schöpfers manifestiert, einen originären Gedanken zu haben oder ein so noch nicht in Worte, Farben oder Klänge umgesetztes Gefühl.

Scheinbar relativieren sich die Autoren in ihrem Text immer wieder. Natürlich seien Ungeheuerlichkeiten wie die Aussage des Berliner »Love Parade«-Organisators DJ Dr.Motte, die Juden der Welt sollten eine neue Platte auflegen und nicht immer rumheulen, nicht dazu angetan, gewisse Techno-Szenarien als nur von außen faschisiert zu betrachten. Natürlich löse sich vieles im Wohlgefallen der kapitalistischen Freizeitindustrie auf, wenn Schlümpfegesäusel recycelt wird und die Mega-Events der ravenden Gesellschaft als Werbeflächen eine Attraktivität ausstrahlen wie sonst nur Spitzensportler. Und Katja Diefenbachs grundgescheite Analyse, wonach die für die Befindlichkeit der Gesellschaft folgenlose Subversion im Gehege der Freizeitindustrie zum Freizeitknast ausarte, exemplifizieren Neidhart/Jandrokovic an der ideologischen Nicht-Erdung der »Love, Peace, Happiness & Unity« - Raver. Warum aber aus all dem Schlüsse ziehen?

Spannend wäre es gewesen, der Frage nachzugehen, ob die von den Autoren gepriesene Ent-Rückung und Ent-Körperlichung durch Musik und Groove nicht weitgehend als Einbeamen in virtuelle Zusammenhänge erklärbar sind, die jungen Leuten von einer anderen Wachstumsbranche aufwendig nähergebracht werden. Ob dergleichen Eintauchen nicht doch in eine Reihe mit Metaphysik und Schamanenmystik gehört und mindestens so fragwürdig ist oder auch nicht?

Beharren sie wider Erwarten einmal auf strukturellen, historischen Abläufen verpflichteten Argumentationshandlungen, begehen die Autoren prompt einen schweren Denkfehler: Sie verwechseln Akzeptanz mit Apologie. Wenn ich mich recht erinnere, stand meine Elterngeneration in ihrer Mehrheit unserem Musikgeschmack nicht nur ratlos gegenüber, Stichwort: Alles klingt gleich. Man wollte ihn auch nicht akzeptieren. Ich habe mit Techno kein Problem, aber keiner kann verlangen, daß mich diese Musik anturnt. Und sollte ich nicht repräsentativ sein, so entschärft die massenhafte Verbreitung von Ohrstöpseln mögliche Konflikte einigermaßen.

Ich habe jedoch keinen Bedarf, mittels abstruser Überhöhungen und wirrer Verteidigungsreden in einem X ein U zu sehen. Daß aus diesen Irrungen und Wirrungen nicht nur lächerliche, sondern auch gefährliche Aussagen resultieren, lasse ich nicht unwidersprochen.