mai 1996

Dagmar Rieger

Sex, Lügen und Computer

Sind Maschinen männlich ?

Die Anfänge der Computernutzung liegen im militärischen und im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, einem Arbeitsfeld mit geringem Frauenanteil. Die Entwicklung von Personal Computern machte Computer erst zu dem, was sie heute sind, zu einem Werkzeug - für Männer UND Frauen.

Der Computer ist eine Maschine, weder männlich noch weiblich, und die einzige Sprache, die das Gerät »versteht«, ist 0 und 1. Trotzdem umgibt diese Maschine nach wie vor etwas nahezu Mystisches; der Computer wird personifiziert, dessen grammatikalisches Geschlecht wird dem biologischen Geschlecht gleichgesetzt. ER ist ein Ausdruck männlicher Potenz und ein Werkzeug weiblicher Ohnmacht, denn ER ist ein Diktator, der kleine Kinder frißt, Frauen vergewaltigt und Männern Orden an die Brust heftet.

Nachdem DER Computer also männlich ist, liegt der logische Schluß nahe, daß Frauen im Umgang mit diesem Gerät benachteiligt sein müssen, denn die mathematische Logik der Maschine widerspricht der »weiblichen Natur«, sind doch Frauen gefühlsbetont, unlogisch und völlig unfähig, mit jeglichen Werkzeugen (außer Kochlöffeln, Stricknadeln u.ä. unkomplizierten, nicht-technischen Geräten) umzugehen. Überspitzt formuliert und doch die Quintessenz eines nicht auszumerzenden Vorurteils.

Computing offers pluralism, different things for different people. (Pamela McCorduck, Wired 4.04, April 1996). Frauen und Männer sind verschieden, aber auch Frauen und Frauen, Männer und Männer. Differenz ist kein Kriterium für Qualität, sondern der Ausdruck einer Vielzahl von möglichen Herangehensweisen und Ergebnissen.

Mädchen / Frauen haben einen anderen Zugang zum Computer als Jungs / Männer, doch die Art des Gebrauchs bzw. des Umgangs mit einer Maschine sagt nichts über die Qualität der Arbeit aus. Mädchen programmieren großteils strukturierter, weniger nach dem Prinzip Trial and Error. Für sie ist der Computer eher ein Werkzeug, für die Jungs zusätzlich noch ein Spielzeug. In den Bereichen Textverarbeitung, Datenbanken, DTP und Mutimedia sind hingegen keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen, ebensowenig beim Interesse am Internet. Computerspiele jeglicher Art werden von allen Kids geliebt.

Trotzdem ist die Anzahl der Mädchen in den Informatik-Klassen deutlich geringer als die der Jungs, auch der Frauenanteil am LehrerInnenpersonal ist in diesem Bereich entsprechend niedrig. Findet man an Schulen zumindest noch Frauen im Computer-Ausbildungswesen, so verringert sich ihr Anteil auf universitärer Ebene auf eine verschwindende Minderheit.

Woran liegt es, daß bei uns trotz gezielter Förderungsmaßnahmen immer noch wenige Mädchen und Frauen den Schritt in eine umfassende Ausbildung am Computer wagen ? In den USA ist der Anteil von Frauen und Männern in der Computerausbildung zum Beispiel annähernd gleich (43% Frauen, 57% Männer).

Ein wesentlicher Faktor sind sicherlich unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen und Wertigkeiten. In den USA gilt in der Computerwelt das Leistungsprinzip, denn die Entwicklung in dieser Branche ist so schnell, daß man keine geschlechtsspezifischen Entscheidungen mehr trifft (Gerhard Engelbrecht: Computer und Rollenklischees). Der Frauenanteil in der Software-Entwicklung ist sehr hoch, einzig der Hardware-Bereich ist nach wie vor männlich dominiert. Der Computer gehört in den USA längst zum Alltag, ist ein Werkzeug wie jedes andere auch.

Anders in Europa, hier hält man an althergebrachten patriachalisch-hierarchischen Strukturen viel länger fest, auch in der Ausbildung. Und - in den USA längst kein Thema mehr - hier bei uns lebt der Mythos von der männlichen Maschine und feiert fröhliche Urständ.

Es sind aber nicht nur die »bösen Männer«, die Frauen mit allen Mitteln davon abhalten, in ihr angeblich ureigenstes Territorium der Maschinenwelt vorzudringen, es sind auch die Frauen selbst, die in ihre eigenen Fallen tappen. Wenn frau sich ständig nur in ein Ghetto der Benachteiligung zurückzieht, wenn frau sich freiwillig mit dem »Ich-kann-das-nicht«-Mäntelchen umgibt, wenn frau hinter jedem technischen Gerät einen Anschlag der Männer auf ihre »Weiblichkeit« sieht, dann werden all diese Vorstellungen schnell zu Self-fulfilling Prophecies. Mädchen sind schutzlos den Fallen ihrer Mütter und Lehrerinnen ausgeliefert, indem sie ständig nur beschützt werden, was ihnen letztendlich die Luft zum Atmen nimmt und die freie Sicht auf die Welt verstellt.

Mädchen und Frauen müssen gefördert werden, aber nicht, indem man (und frau) sie unter einen Glassturz stellt. Es gilt vielmehr, ihnen Mut zu machen, ihnen die Welt zu öffnen und ihnen zu zeigen, daß Computer Maschinen sind, weder dämonisch-männliche Kobolde noch feenhaft weibliche Geistwesen. Maschinen sind Werkzeuge, nicht mehr und nicht weniger, und sie haben keinerlei geschlechtsspezifische Merkmale.

Identity isn’t fixed but variable and fluid und Computer bzw. Computernetzwerke geben uns die Möglichkeit, verschiedenste Identitäten, ob weiblich oder männlich, kennenzulernen und auszuprobieren. Aber - We need to be careful. Ultimately the computer is a machine (Sherry Turkle).

Dagmar Rieger ist

Informatik-Lehrerin am BRG, Akademiestraße 19 (einer

Schule mit eigenem Informatik-Zweig) und arbeitet im Bereich Cultural Studies.

Literatur

Pamela McCorduck u.a.

The Futures of Women.

Scenarios for the 21st Century, Addison-Wesley 1996

Ute Erhardt

Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.

Warum Bravsein uns

nicht weiterbringt,

Krüger 1996

Sherry Turkle

Life on the Screen.

Identity in the Age of the Internet, Simon & Schuster 1995

Bild

Dagmar Rieger

Angry Cyborg Woman, 1995