mai 1996

Gudrun Seidenauer

»La nuestra dignidad«

Miriam Abrego, Koordinatorin von 60 Basisgemeinden El Salvadors, war auf Einladung der Romerogruppe zu Gast in Salzburg

»Freiheit für El Salvador, schiebt den Amis Riegel vor!« Politisch Bewegte der siebziger und achtziger Jahre erinnern sich vielleicht noch an diese nett skandierfreudig gereimten Slogans, die diversen Demos die passende akustische Grundierung zu verleihen pflegten. Seit Abschluß des Friedensvertrags zwischen der Guerilla und der Regierung El Salvadors auf Druck der UNO 1992 ist das kleine mittelamerikanische Land (Größe etwa wie Niederösterreich, ca. 6 (!) Mio. EinwohnerInnen) aus den Medien und weitgehend auch aus den Köpfen der Linken, Ex-Linken etc. verschwunden. (Und auf Brigade zu fahren ist nicht mehr in.) Vage taucht da etwas im Gedächtnis auf: FMLN (Frente Farabundo Marti para la liberaciòn nacional), Todesschwadronen, Erzbischof Romero, Verfechter einer christlichen Glaubensauffassung, die dem Widerstand Legitimation, Ermutigung und nicht zuletzt organisatorische Struktur verliehen hat.

Romero ist heute noch, sechzehn Jahre nach seiner - von den VertreterInnen der »comunidades cristianas« als Märtyrertod verstandenen - Ermordung am 24.3.1980 während einer Messe, spirituelle und politische Integrationsfigur der Ärmsten El Salvadors, die rund 65% der Bevölkerung ausmachen.

Wenn Miriam Abrego, Koordinatorin von 60 Basisgemeinden El Salvadors, ihre Geschichte erzählt, die gleichzeitig ihren Prozeß der Politisierung be- schreibt, erhellt sich die Bedeutung dieses Mannes für das Bewußtsein der Menschen im Kampf für demokratische Grundrechte. Es fällt auf, daß von ihm nie anders als von »Monsenor Romero« die Rede ist, stets verknüpft mit dem Begrif von »la nuestra dignidad«, »unsere Menschenwürde«.

Miriam Abrego war knapp zwei Monate auf Einladung der österreichischen Romerogruppe hier zu Gast, einer Initiative, die seit zehn Jahren ebenso unspektakuläre wie praktische Solidaritätsarbeit leistet, ungeachtet des Kommens und Gehens politischer Moden. Das Geld für die Reise sowie Unterkunft und Verpflegung wurden von Gruppenmitgliedern zur Verfügung gestellt, den Erlös aus Vorträgen und Seminaren kann Abrego für ein konkretes Projekt zu Hause in El Salvador verwenden - ein bestechend einfaches und wirkungsvolles Beispiel internationaler Solidarität - ein Begriff, der also bei genauerem Hinsehen seine von »postlinken« Klugsch..wätzern eilig diagnostizierte Staubigkeit umgehend verliert. Ausgangspunkt der Vorträge Miriam Abregos ist die individuelle Lebensge- schichte:

»Ich wurde 1958 geboren und bin Mutter von zwei Kindern. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mir als Landarbeiterin. Aufgrund der Armut unserer Familie konnte ich nur die Volksschule besuchen. Von meinen zwölf Geschwistern sind drei im Krieg ums Leben gekommen. Ebenso ist mein Mann im Krieg ermordet worden. Am 25. Juli 1981 kamen die Todesschwadronen in jene Gemeinde, in der ich mich als Katechetin aufhielt. Es kam zu einem großen Massaker, bei dem 43 Menschen ermordet wurden. Ich bin die einzige Überlebende. Denn die Mörder glaubten, mit zwei Einschüssen im Brustkorb wäre ich tot. Meine siebzehnjährige Schwester zählte zu den Opfern. Sie hinterließ einen elf Monate alten Jungen, den wir dann in der Familie aufzogen. Am 30. April des Vorjahres (1980) marschierten 5000 Soldaten in die comunidad ein, in der ich lebte, und ermordeten zahlreiche Menschen. Dies war der Moment, in dem ich den Tod spürte und gleichzeitig den eigentlichen Anfang meines Widerstands. Ich entkam und konnte dann bis 1992 nicht mehr an meinen Heimatort zurück.«

Die Jahre des Krieges verbringt die junge Frau »en las montanas«, in den Bergen. Auf mein Unverständnis erklärt sie mir, daß »in die Berge gehen« in Lateinamerika als Synonym für politischen, oft auch für bewaffneten Widerstand zu verstehen ist. Nicht ohne Stolz fügt Abrego hinzu, daß Frauen ca. die Hälfte der Guerillakämpfer stellten und daß Commandantes weiblichen Geschlechts nach und nach eine Selbstverständlichkeit geworden waren. Das verändert die Geschlechterverhältnisse nachhaltig. Auf die Frage, ob Männer mit dem veränderten Selbstverständnis der Frauen zurechtkommen und deren politisches Engagement tolerieren, erwidert sie lakonisch: »Es ist nicht so, daß wir die Männer fragen, ob ihnen das gefällt. Obwohl uns natürlich die Akzeptanz schon wichtig ist.«

Seit vier Jahren ist der Krieg in El Salvador zu Ende in dem Sinne, daß nicht mehr militärisch großflächig gegen Menschen vorgegangen wird. Viel mehr bedeutet dieser »Friede« (noch) nicht. Die heutige offizielle Politik El Salvadors ist ohne Übertreibung als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln zu bezeichnen. Einige Fakten sprechen für sich:

• Der amtierende Präsident El Salvadors, Calderon Sol, ist einer der Gründer der hinlänglich bekannten Todesschwadronen, jener militärischen Sondereinheit, die seit den siebziger Jahren mit Folter, Verschleppung und Massenmord jedes Aufkeimen von Widerstand unterdrücken wollte.

• Die ersten »freien« Wahlen wurden aufgrund vielfältiger mehr oder minder subtiler Manipulationsstrategien wieder von der herrschenden Arena-Partei gewonnen. So wurden etwa in der Millionenstadt San Salvador ganze 20 Wahllokale zur Verfügung gestellt, noch dazu war die Stimmabgabe in alphabetischer Reihenfolge zu tätigen. Dies bedeutete stunden- und tagelange Wartezeiten, die gerade von Frauen mit Kindern unmöglich zu bewältigen waren.

• Zudem waren die Regierungspartei und andere rechte Gruppierungen mit satten Wahlkampfbudgets ausgestattet, die es leicht machten, gegen die als Partei noch völlig unerfahrene und finanziell beinah mittellose FMLN zu punkten. Wahlgeschenke, Einschüchterung, Analphabetismus von über 50% und die trotz aller Bemühung nicht lückenlose Präsenz von UNO-Beobachtern taten ihr Übriges. Viele der eben zurückgekehrten Widerstandskämpfer-Innen verfügten nicht mehr über die erforderlichen Dokumente. Rechtzeitige Ausstellung war von Amts wegen »leider nicht mehr möglich«...

Zur ökonomischen Linie der »neuen«, alten Regierung El Salvadors sagt Abrego:

»Wir werden nach wie vor wie Müll behandelt. Das System des Neoliberalismus wird uns aufgezwungen. Dieses Wirtschaftssystem ist nahe daran, das zu erreichen, was der zwölfjährige Krieg nicht geschafft hat: Die Hoffnung des leidgeprüften Volkes umzubringen.«

Konkret bemüht man sich, mit kräftigem Investment US-amerikanischer Konzerne, El Salvador in ein mittelamerikanisches Vorzeige-Land zu verwandeln. Dazu wird beispielsweise derzeit der größte Flughafen Zentralamerikas gebaut, werden sechsspurige Autobahnlinien quer durch das zerstörte Land gezogen, in dem tausende Dörfer noch nicht einmal über eine Apotheke verfügen, und in dem im Zuge einer Art salvadorianischen Sparpakets, des sogenannten Dekrets 471, 15.000 öffentliche Bedienstete, vornehmlich ÄrztInnen und LehrerInnen, entlassen werden.

Erstaunlich und ermutigend ist der nach wie vor hohe Organisationsgrad der demokratischen Kräfte, die sich praktisch um alle sozialen Erfordernisse kümmern, konkurrenzlos zu staatlichen Einrichtungen - diese sind praktisch nicht vorhanden. So ist derzeit ein Projekt in Arbeit, im Zuge dessen tausende des Lesens und Schreibens kundige Frauen in einer zweijährigen Schulung zu »Maestras popolares«, »Lehrerinnen des Volkes«, ausgebildet werden, um der drohenden Lehrerknappheit aufgrund der staatlichen Un-Bildungspolitik entgegenzuwirken.

Die von der Romero-Gruppe geleistete Unterstützung - nicht nur via finanzieller Almosen, sondern auch direkt vor Ort, beispielsweise durch die Präsenz bei Protestaktionen, die das Militär bisweilen vom bekannten »harten Durchgreifen« abhält - ist schlicht beeindruckend.

Als Miriam Abrego anläßlich des Internationalen Frauentages in Salzburg die Anwesenden mit erhobener Faust und einem temperamentvollen »Vivan las mujeres y la solidaridad internacional!« begrüßte, kam nach einem Moment der Verwirrung? Peinlichkeit? ein etwas matter Applaus zustande. Vielleicht haben mit Abregos Besuch in Österreich Widerstand und internationale Solidarität wieder ein Stück Geschichte, Erinnerung und auch ein neues Gesicht bekommen. Und das wäre schon viel.

»Seit Abschluß des Friedensvertrags zwischen der Guerilla und der Regierung El Salvadors auf Druck der UNO 1992 ist das kleine mittelamerikanische Land (Größe etwa wie Niederösterreich, ca. 6 (!) Mio. Einwohner) aus den Medien und weitgehend auch aus den Köpfen der Linken, Ex-Linken etc. verschwunden.«