mai 1996

Ursula Rotter

Im Kulturtal

Ein »kunstfehler«-Spaziergang - abseits von Budgetproblemen und Aus-lastungszahlen - durch das Nonntal, den neuen Kulturbezirk Salzburgs

Unseren Spaziergang quer durch das malerische Nonntal, das seinen Namen von dem Kloster der Benediktinerinnen ableitet, lassen wir in der am längsten dienenden Institution, dem Künstlerhaus, beginnen. Eine rüstige Dame, die bereits 150 Jahre auf dem Buckel hat. Charmant und einladend ist sie geblieben mit ihrem heimelig wirkenden dunkelrot-weißen Anstrich und der firnisgetränkten Luft, die aus den Ateliers weht. Namhafte MalerInnen wie der kürzlich verstorbene Werner Otte oder der Grandseigneur der Salzburger Maler, der 95jährige Wilhelm Kaufmann werkten und werken hinter den hohen, gepolsterten Türen. Doch weiter bei unserem Gang durch die heiligen Hallen des Kunstvereins. Den unschlüssigen BesucherInnen, die nicht so recht wissen, ob sie sich am Weg ins Café noch den hehren Kunstgenuß geben sollen, sei der Wandelgang mit seinen ebenfalls ständig wechselnden Ausstellungen empfohlen. Auf der einen Seite hin und nach der Pause auf der anderen Seite wieder retour. Nachdem wir ja Essen und Trinken eindeutig der »Kultur« zuschreiben, ist das Künstlerhaus-Café eine glückliche Symbiose aus beiden Kultur-ebenen.

Station zwei, der Fotohof: Von außen macht er ja nicht allzuviel her, gleicht eher einer verglasten Garage. Tatsächlich jedoch wurden einstens hier keine Autos, sondern Tiere für unser aller Fleischeslust geschlachtet. Heutzutage bietet der Fotohof der modernen Fotografie ein Forum. Hohe, großzügige Räume, die viel Licht hereinlassen, machen schon von außen Appetit auf »Fotobissen«. Rund zehn Ausstellungen werden pro Jahr gehängt bzw. installiert. Besonders stolz ist Andrew Phelps, einer der fleißigen Linsengucker, auf die Editionen, die zu jeder Ausstellung herausgegeben werden. Für Fotokunstinteressierte wartet eine umfangreiche Bibliothek im ersten Stock der Galerie. Rund 3.000 Bücher stehen den fotosüchtigen BezwingerInnen der stählernen Wendeltreppe zur Verfügung.

Der Weg, den man vom Erhard-Platz einschlägt, erinnert schon gar nicht mehr an die noblen Bürgerhäuser, mit denen Salzburg so gerne gedanklich verbunden wird. Die Nonntaler Hauptstraße bietet wenig euphorische Kulturhochstimmung. Lichtblicke sind da eindeutig die stets ausgefallene Schaufenster- und Gehsteigdekoration von »Blumen Uwe« und die »Hafenkommandatur Nonntal«. Weniger nautisch veranlagten Gemütern ist der benachbarte »Purzelbaum« als Nobelspeiselokal sicher ein Begriff. Da wir schon beim Essen sind: Das ARGE-Beisl, die sogenannte »Vereinskantine« des Kulturgeländes, bietet von der vegetarischen Frühlingsrolle bis zum noblen Hirschbraten für jeden Gusto (und für die meisten Geldbörsel) etwas. Vorsicht empfiehlt sich nur bei der Backerbsen-Suppe. Da scheint der Koch seit Jahren etwas zu sehr an seine Allerliebste zu denken. Wer Glück hat, kann nicht nur dem Geschmacksorgan, sondern auch den Gehörgängen einen Genuß bieten. Seit einiger Zeit bemüht sich das Beisl nämlich um samstägige Livemusik. »Hinten« (ARGE-Jargon) dann der Kulturgelände- Veranstaltungssaal. Zweimal umfallen sozusagen. Die noch vor einigen Jahren als »Alternativen-Treff« bezeichnete ARGE bietet neben den schon eingespielten Musikschienen auch zeitgenössisches Theater, sowie neuerdings tanzwütigen Youngsters einen »Liquid Planet« zum Abheben. Geschäftsführer in dem bunten Haufen ist Gerhard Wohlzog. Er sieht in der dichteren kulturellen Besiedelung insgesamt »nur Vorteile«. Für ihn bietet das Nonntal die idealen Voraussetzungen für einen neuen kulturellen Impuls: auf der einen Seite an das Altstadtschutzgebiet angrenzend und auf der anderen Seite der Grünlandgürtel. Historie und Natur verschmelzen quasi in einer geistigen Hochstimmung. Trotzdem, mit dem anderenorts geprägten Begriff »Kulturmeile« kann er sich nicht anfreunden. Für ihn ist und bleibt das Nonntal »Kulturtal«. Wohlzog kann sich sogar eine Initiative vorstellen, um den Gemeinderat zu einer Namensänderung zu bewegen.

Der österreichische Exilfilmer Fritz Lang ist wohl mit seinem berühmt-beklemmenden Meisterwerk »Metropolis« der zweiten Spielstätte des Kleinen Theaters Pate gestanden. Nur drei Leute, der Intendant, eine Sekretärin und Techniker Hartwig Reiter schmeißen den Laden an der Nonntaler Hauptstraße. Unverwechselbare Details wie die Form der Bar oder die Garderobe verraten Hans Schmid als Architekten. Doch besonders stolz ist die Crew auf die angeblich »schönsten Klos in Salzburg«. So ganz nebenbei sei noch erwähnt, daß vor allem Gegenwartsliteratur und Stücke junger AutorInnen die raffiniert konstruierte, größenverstellbare Bühne bevölkern. Absolut nicht argwöhnisch beäugt man im »Metropolis« das Näherrücken der Konkurrenz. Die Elisabethbühne, die bekanntlich ab September den frisch-lackierten Petersbrunnhof bespielen wird (Kinder werden bereits ab Mai mit der »Piratenratte Alex« geködert), dürfte, so hofft Hartwig, auch neues Publikum anlocken. Gewisse Probleme hat allerdings auch er mit dem von JournalistInnen geprägten Begriff »Kulturmeile«. Damit werde schon wieder »so ein elitärer Anspruch« vermittelt, der irgendwie nicht »hierher« passe. Denn die Kulturstätten im Nonntal seien immerhin zum Teil »gewachsen«, vor allem aber wohl heiß erkämpft. Da waren die »Arge Kulturgelände Rainberg«, die vom Berg ins (Nonn)Tal siedelte, und die »Szene der Jugend«, die anfangs im Petersbrunnhof, damals noch ein hochherrschaftlicher, aber ungenutzter Stadl des Klosters St. Peter, beheimatet war.

Für Menschen, die vor und zu Zeiten der großen Festspieldemo (1976) den Petersbrunnhof besetzt hielten und der Exekutive die Stirn boten, ist der runderneuerte, lang und heiß umstrittene Bau mit seinem modernistischen Hinterteil wie »die Faust auf’s Aug«, so einer der Ex-Besetzer, der im Petersbrunnhof seine »Tränengas-Taufe« erhalten hat. Rein optisch sei es nun nicht mehr unterscheidbar, ob eine Versicherung oder ein Kulturbetrieb hier beheimatet sei. Fest steht, daß die E-Bühne demnächst aus einem engen Hinterhofkeller in diesen geschichtsträchtigen Ort, einst Symbol des künstlerischen Widerstands, zieht. Auch in der E-Bühne fürchtet niemand, daß ein Betrieb dem anderen die BesucherInnen wegnimmt.

Selbst wenn es eng wird im Tal, es gäbe noch mehr »Kulturstätten« zu besuchen: Das Orchesterhaus, feudaler Probekeller des Mozarteums, spiegelt in seiner Fassade den Petersbrunnhof, in der Berchtoldvilla ist die Berufsvereinigung der bildenden Künstler beheimatet - ja, und manche mühen sich sogar den Weg zur Festung hinauf. Vom Herrenklo der Basteischenke hat man angeblich den schönsten Blick.