mai 1996

titel

»Europa verwandeln«

Das europapolitische Manifest der Grünen in Auszügen

Wenn Zeitschriften Positionen einzelner wahlwerbender Gruppen dokumentieren, kann sie leicht der Vorwurf treffen, parteiisch zu sein. In Fragen der österreichischen EU-Politik freilich steht eine mit millionenschweren Kampagnen unterstützte Staatsdoktrin von den Medien weitgehend unwidersprochen im Raum. Sieht man vom nationalistischen Raunzen der F einmal ab, bleiben die Grünen mit kritischen Anmerkungen zur EU ziemlich alleine. Für den »kunstfehler« Grund genug, ihren Standpunkten im O-Ton auszugsweise Öffentlichkeit zu verschaffen.

Die europäische Integration ist seit langem ein weitgehend blinder Zentralisierungsprozeß, ohne konstitutionelles Denken, ohne Grundrechtskatalog, ohne Verfassung und ohne ein klares Ziel. (...) In ihren Institutionen und Entscheidungsverfahren werden elementare Grundsätze der Demokratie mißachtet, so die Gewaltenteilung, die Öffentlichkeit der Gesetzgebung, der Parlamentarismus und zunehmend auch der Schutz der Grundrechte. (...)

Eine weltweit operierende Wirtschaft und die globalen ökologischen und sozialen Krisen erfordern eine Emanzipation der Politik durch transnationale Zusammenarbeit. Die Grünen bekennen sich auch zur Notwendigkeit, die aggressiven Grenzen und Scheinidentitäten des Nationalstaats aufzulösen. (...)

Die Grünen treten für eine Auflösung der NATO und der WEU nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes ein, (...). Die Grünen fordern ein integriertes kooperatives Sicherheitssystem für ganz Europa unter der Einbeziehung Rußlands. Die Basis für eine solche Sicherheitsarchitektur sollen UNO, OSZE und EU bilden. Es soll der Kontrolle des europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente unterliegen. (...) In einem solchen Sicherheitssystem haben auch neutrale Staaten eine unverzichtbare Funktion der aktiven Friedenspolitik, der Vermittlung und Konfliktvorbeugung. Dazu ist auch eine Neukonzeption der österreichischen Neutralitätspolitik erforderlich. (...) Ein durchaus geeigneter Ansatzpunkt dazu ist die Wiederaufnahme der Neutralitätspolitik Kreiskys. (...) Eine Abkehr von der Neutralität ist jedenfalls durch eine Volksabstimmung zu entscheiden.

(...) Die Prioritäten der Europäischen Union heißen Wachstum und Wettbewerb. Die Beschäftigung ist kein politisch verfolgtes Ziel, sondern soll quasi automatisch aus Wachstum und Wettbewerb entstehen. (...) Auch in Österreich werden der rigide Sparkurs, die Steuer-erhöhungen, der Sozialabbau und das »Sparpaket« nicht durch die unbestrittene Notwendigkeit der Budgetkonsolidierung erzwungen, sondern durch die überhitzte Geschwindigkeit, die uns durch den Vertrag von Maastricht dafür aufgezwungen wird. (...) Bleibt der Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der europäischen Modernisierung aus, wird die Kluft zwischen ihnen unüberbrückbar. (...) Die Legitimität der europäischen Integration gerät in Gefahr.

Die Währungsunion ist kein ökonomisches, sondern ein verdecktes politisches Projekt. (...) Auf diese Weise soll ihre Entwicklung zu einem europäischen Bundesstaat - unter Umgehung der Verfassungsdebatte und gegen die Mehrheit der Bevölkerungen - unumkehrbar gemacht werden. (...) Die Konvergenzkriterien des Maastrichtvertrages, die zur Errichtung einer Währungsunion keineswegs notwendig sind, dienen der Durchsetzung eines neo-konservativen Wirtschaftsliberalismus. Der durch sie geschaffene Zwang, in allen fünfzehn Mitgliedsstaaten gleichzeitig und innerhalb kürzester Zeit willkürlich festgelegte Sparziele zu erreichen, führt zu Rezession, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau. (...)

Die Grünen wenden sich nicht grundsätzlich gegen eine Währungsunion. Es können damit Umtauschkosten vermieden, die Finanzspekulation gemildert und das Wechselkursrisiko ausgeschaltet werden. Die Währungsunion sollte jedoch derzeit keine Priorität im europäischen Integrationsprozeß haben. (...)

Das Konzept der EU des mobilen europäischen »Unionsbürgers« ist auf männliche Lebenswelten zugeschnitten. Es liegt jedoch auf der Hand, daß die im gemeinsamen Markt abverlangte Mobilität nicht von allen Menschen, insbesondere nicht von Menschen mit Betreuungsaufgaben, ergriffen oder erfüllt werden kann. So sind Frauen in dieser großräumig arbeitsteiligen Wirtschaft besonders von Arbeitslosigkeit und Diskriminierung im Arbeitsleben bedroht. Einerseits entwickelt sich die steigende Arbeitslosigkeit in Europa als Vehikel zur Rückdrängung von Frauen aus dem Erwerbsprozeß in den Privatbereich. Andererseits verschärfen Sparmaßnahmen und Sozialabbau infolge der Währungsunion die ökonomische Situation von Frauen in allen Lebenszusammenhängen (...).