mai 1996

Thomas Neuhold
leitartikel

Der Blinde-Fleck der Grünen

Im vergangenen Wahlkampf gab es nur ein Politikerplakat, von dem der zu Wählende nicht breit auf seine Schäflein heruntergegrinst hat. Johannes Voggenhuber setzte mit der Wahl des Photos bewußt ein Zeichen: Es gibt nichts zu lachen, die Dinge stehen schlecht im Land. Der Grüne Spitzenpolitiker bleibt auch im »kunstfehler«-Interview seiner Linie treu. Der populistischen Versuchung, sich an die von der EU Frustrierten mittels klaren, markigen Sprüchen anzubiedern, widersteht er. Das macht den ehemaligen Salzburger Stadtrat zu einem Unikum in der heimischen Politszene.

Voggenhubers Analyse der EU ist im Grundsatz präzise, treffend und an Informiertheit auch in Details schwer zu überbieten. Auch hier unterscheidet er sich wohltuend von vielen seiner ParteifreundInnen und politischen GegnerInnen. So ist er für die Medien wie für seine potentiellen WählerInnen gar nicht pflegeleicht. Wer will sich denn einer differenzierten Haltung zur Währungsunion stellen?

Angesichts dieser unbestreitbaren Qualitäten ist es umso bemerkenswerter, daß der programmatische Vordenker der Grünen im europapolitischen Manifest, für das er redaktionell verantwortlich zeichnet, auf die Kultur, die Kulturpolitik »vergessen« hat. Aber auch der Grünen Bundesversammlung, die Ende März das Europa-Papier beschlossen hat, war die Kultur offensichtlich nicht besonders wichtig. Der Beschluß war immerhin einstimmig.

Voggenhubers Rechtfertigung im »kunstfehler«-Gespräch, es gebe eben keine europäische Kulturpolitik als solche, mag man zustimmen - oder auch nicht. So oder so hätte man das aber zumindest in ein derart grundsätzlich gehaltenes Manifest hineinschreiben müssen. Gerade dann, wenn man wortgewaltig die postmoderne Mainstream-Politik von Madleine Petrovic oder die stolz kultivierte Theorielosigkeit von Christoph Chorherr kritisiert.