juni 1996

Gudrun Seidenauer
gelesen

Thomas Rothschild

Relax and Enjoy. Die totale Infantilisierung.

Texte, die den Verlust von Werten beklagen - bislang Privileg altväterlicher Konservativer, deren wortreiches Mauern gegen- über wildem Denken und politischem Tun (oder vice versa) nicht zu Unrecht mildes Lächeln oder heftiges Gähnen (auch hier vice versa) hervorzauberte. Nun, seit ein paar Jahren scheint alles anders zu sein. Der denkenden Minderheit purzeln die Paradigmen durcheinander wie anderorts die Aktienkurse, und ein Gespenst geht um unter Europas Intellektuellen (Nein, nicht das des Kapitalismus - nicht einmal der/die letzte noch so utopische SozialistIn würde noch die Fleischwerdung des Geistes von Soll und Haben leugnen.) - das Gespenst des verpaßten Anschlusses erschüttert die Köpfe, macht angst, nicht mehr zeitgemäß on line zu schwatzen. Und so übt man sich, diesem ominösen Geist phrasenreich hintendrein oder vor ihm her zu rennen.

Thomas Rothschild, Kulturpublizist, Literaturwissenschafter, Juror beim Klagenfurter Wettlesen, rennt nicht mit: Sein Essayband ist eine durchaus illusionslose und daher wenig optimistische Klage über den Verlust kritischer Traditionen und des Genusses am Denken. Der Untertitel des Buchs ist Kern seiner Grundthese: Im Schlepptau der Privaten schippert die gesamte Medienszene auf ein imaginäres Schlaraffenland in steter Infantilität gehaltener KonsumentInnen zu; mit dem Endziel, bestenfalls kreative OpportunistInnen anstelle selbst-bewußt denkender Menschen mitzuformen. Rothschild demonstriert in pointierten, aufgrund ihres Scharfsinns vergnüglichen Betrachtungen gegenwärtiger Trends zur Geistlosigkeit, daß die Mär von der Untauglichkeit der Erkenntnisinstrumentarien kritischer Theorie(n) und der Psychoanalyse zum Scharfsehen heutiger Verhältnisse eben nichts anderes als willkommene Mär ist, oder bestenfalls Gerücht im Interesse von - ja, wem? Ich halte es hier mit Rothschild und setze den ach so staubigen Begriff von »den Herrschenden«. (Wer an dieser Stelle trendy smilet sei an das Märchen vom Rumpelstilzchen erinnert.) Ein Buch für Erwachsene und solche, die es noch zu werden hoffen.