juni 1996

Mario Jandrokovic

»Die Kleinstprivatisierung von Gedanken«

Der aus Sarajevo stammende Schauspieler Zijah Sokolovic über bosnische Kultur und Theaterpraxis in Österreich

Der aus Sarajevo stammende und nunmehr in Wien lebende Schauspieler Zijah Sokolovic hat gemeinsam mit einer Gruppe vom Salzburger TOI-Haus-Theater »Ringe Barren Reck« erarbeitet, ein beinahe non-verbales Stück für einen Turnsaal, drei SchauspielerInnen und drei Turner, eine Schlagzeugerin, Klang und Bild. Es war der Versuch, etwas wie bosnische Theatertradition auf Österreichs Bühnen zu schmuggeln.

Das Stück handelt von Macht...

• Die Leute sind in der Machtorganisation, die sich Staat nennt, auf Gruppen aufgeteilt, sie haben ihre Klassen. Dort herrscht die Kleinprivatisierung von Gedanken, mit der man sich ewig beschäftigen kann, ohne daß sich etwas verändert. Wir können die Welt ironisch als Turnsaal sehen, wo alle ohne viel Hingabe täglich trainieren. Wenn wir alle jedoch wirklich Turner sind, weiß das nur das System und der Steuerberater und jemand von der Krankenkassa. Ich glaube, daß die Vorstellung eine Kontinuität von Gedanken und Symbolen zu schaffen vermocht hat, die der Zuschauer verfolgen und sich darin erkennen kann, ob er nun darüber lacht oder darüber nachdenklich wird.

Wenn ein bosnischer Theatermacher eine Stellungnahme zur Macht auf die Bühne bringt, wird dies sehr schnell auf eine authentische Aussage zu den Geschehnissen im Bosnien der letzten Jahre reduziert.

• Nichts ist leichter, als Unwissen so zu verstecken, indem man sagt: Er hat eine andere Mentalität oder, noch besser, eine andere Religion. Er unterliegt damit nicht den Kriterien unserer Mitte, weil er der andere ist. Es besteht noch immer Verwunderung, daß es dort ein Theater gegeben hat wie im Westen, daß es dort nicht zum Krieg gekommen ist, weil das ein Dschungel ist, sondern wegen einer perfiden Politik, die auch hier im Westen die Maßstäbe festlegt. Olof Palme ist nicht ermordet worden, weil er sich einen schlechten Film angeschaut hat.

Und doch hat es, mehr gesellschaftlich als ethnisch bedingt, gewisse Verschiebungen in der Theaterpraxis zwischen Bosnien und Österreich gegeben.

• Der Großteil der Stücke hier baut gänzlich auf Distanz auf, ist eine Reproduktion des Textes, schön und bürgerlich organisiert, als Etikette für ein System. Ich komme aus einer Mitte, wo keine solche Tradition bestanden hat. Der Staat hat sich mehr mit sich selbst beschäftigt, und Kultur war irgendwie außerhalb des Systems. Es gab mehr individuelle und künstlerische Freiheit, da das System nicht zu inkorporieren versuchte, sondern ausgeworfen hat. Die Menschen, die das jetzige neue System aufstellen, sagen, daß das vorige System furchterregend war und jegliches Freiheitsbestreben vernichtet hat. Das Theater in dieser Mitte ist jedoch von absoluter Freiheit der Interpretation ausgegangen und war nicht bloß Reproduktion, eine reine Manifestation der Kunst und keine Notwendigkeit danach.

Wenn ich spiele, soll das Publikum dabei assistieren, das erkennen und interpretieren. Jetzt könnten wir mit vollem Recht fragen, ob Theater im Westen das Publikum tatsächlich Assistent wäre, und nicht nur Konsument. Sonst ist die Schauspielerei nur reine Reproduktion: Sprich laut und deutlich, wir werden dich schminken, anziehen, zurechtmachen, und fertig.

Wie ist die kulturelle Situation in Bosnien heute, mit all den massiven Aufbauprogrammen von außen, zu bewerten?

• Wenn der Westen nun so sehr Kultur hinzutransportiert, ist das auch eine Art Aggression. Er bestimmt damit auf gewisse Art und Weise auch die Maßstäbe und Werte, nach denen sich diese Mitte in fünf, zehn, zwanzig Jahren verhalten wird. Wenn der Westen anders denken würde, würde er die Leute befähigen, es selbst zu machen, würde ihnen die Technik aufbauen, die vernichtet worden ist, würde die materiellen Bedingungen schaffen, die auch hier bestehen, damit sie sich selbst damit beschäftigen. So bleiben sie wie auch wir, die in der ganzen Welt verstreut sind, auf dem Niveau der Nicht-Kommunikation.

Wie bewertest Du in diesem Zusammenhang eine Präsentation bosnischer Kultur wie bei »Pax Bosniensis«, der kürzlich veranstalteten Kulturwoche des Friedensbüros?

• Dies ist eine Verquickung von Umständen, die ihre guten und schlechten Seiten hat, aber ich bin hier noch nicht auf die kulturelle Präsentation meiner Mitte gestoßen, die von kompetenten Leuten veranstaltet worden wäre und ein adäquates Bild gezeigt hätte. Andererseits hat die Mitte, aus der ich komme, keine Basis mehr, so etwas selbst zu machen. Nicht zu vergessen, entstammt all die Kultur, all die Kunst auch drei Jahren Krieg, vollkommenem ökonomischem Elend nach großen Greueltaten. Es benötigt Kraft, wieder zu versuchen, Schritt zu halten. Auch mein Spiel ist der Versuch, wieder Schritt zu halten mit einem Alltag, den der Mensch im vorhergehenden Leben hatte. Denn wir alle, die wir einer früheren Zeit angehört haben, müssen vergessen. Das waren zu große tektonische Verschiebungen für ein Lebensalter.

Danke für das Gespräch!

»Es besteht noch immer Verwunderung, daß es dort ein Theater gegeben hat wie im Westen, daß es dort nicht zum Krieg gekommen ist, weil das ein Dschungel ist, sondern wegen einer perfiden Politik, die auch hier im Westen die Maßstäbe festlegt. Olof Palme ist nicht ermordet worden, weil er sich einen schlechten Film angeschaut hat.«