juni 1996

Vitruvius

Traumhaus

Ein potemkinsches Zuckerbäckerhaus, eine Werbeagentur und ein entscheidungsfreudiger Vizebürgermeister schafften einen handfesten Skandal

Sokrates: Wer etwas sieht,

der sieht wirkliches.

Theaitetos: So scheint es.

Das Reiben der Retina verhalf keineswegs zur Klärung. Hartnäckig erneuerte sich das Trugbild auf der Netzhaut. Endlich botschafteten hurtig verbreitete Reportagen die Wahrheit und ersetzten den Kater vom Vorabend oder vermeintliche halluzinatorische Restbestände unverarbeiteter Wünsche der vergangenen Nacht als Erklärungsmuster. Der weiß-blaue Alptraum von einem Elchhaus wurde auf der possenreißerischen Ebene lokaler Berichterstattung zu dem, wozu es von Anfang an gedacht war, zum Skandal. Brav und dienstbeflissen hatte die Reporterschaft der vereinigten Kleinformate das erfüllt, womit die coolen Köpfe von Demner, Merlicek & Bergmann spekuliert hatten. Das mediale Spektakel war inszeniert, und der berufenste Schauspieler in Sachen Altstadt hatte der Bausparkasse den Weg ins Licht der Öffentlichkeit gebahnt. Ohne diese mannhafte Presseförderung wäre mit der Attrappe auf der Kuenburgbastei herzlich wenig geschehen. Die klugen Kerle der Werbeagenturen wissen nun einmal, wie man die Medien für seine Zwecke nutzt. Und auch dieser Artikel dürfte, widerstrebend zwar, dennoch Bestandteil der medialen Mythisierung dieser Kampagne werden. Gratuliere!

Mit der Skandalisierung dieser Aktion wurde an die Hochzeiten der Kunst im öffentlichen Raum angeknüpft. Seit langem stritt man nicht mehr so herzhaft über ein Kunstwerk - und darum handelt es sich per definitionem - wie über dieses. Ein entscheidungsfreudiger Vizebürgermeister genügte, um zu beweisen, daß die normativen Grenzen zwischen Kunst, Anti- oder Nichtkunst perdu sind und die überkommenen Gattungsbegriffe bestenfalls noch den Katalogisierungszwängen von Museumskustoden genügen. Er hat sich als Mäzen wider Willen erwiesen, was unterm Strich nicht zählt, denn so erging es vielen vor ihm in der Geschichte. Nicht selten entstanden dort die interessantesten Werke, wo nicht die Größe von Anfang an intendiert war, wo Dinge »gewachsen« sind. Bleibt nur abzuwarten, ob er unter weniger kommerziellen Auspizien diesselbe Freizügigkeit an den Tag legt, oder ob das mea culpa, mea maxima culpa nun ausgerechnet der Avantgardistentruppe um Werbefuzzis und Geldverleihern das Monopol auf Intervention im öffentlichen Raum sichert.

Daß solche Elkhäuser an sich geschmacklos sind - und zwar ganz unabhängig davon, ob sie das Wahrzeichen der Stadt Salzburg verschandeln oder den Landschaftsraum-, wurde gerade durch die Nonkontex- tualität auf der Festung sichtbar. Daß so schlagartig die hoffnungslose Dämlichkeit dieses Dings offenbart wurde, das konnten die Schöpfer dieses potemkinschen Zuckerbäckerhauses nicht mehr kalkulieren. Nicht umsonst haben sie es noch vor Ablauf der genehmigten Frist wieder abgebaut. Daran knüpft die Hoffnung des Querlesens, daß diese in der avantgardistischen Tradition des Anschlags auf den guten Geschmack stehende Installation jede(r)mann/-frau heimleuchtet zur Erkenntnis der Häßlichkeit dieses Produkts. Der Wert der Werbeaktion hätte in diesem Moment in sein Gegenteil kippen können. Hier haben nun die Herren von der Mediengewalt - und das nicht ohne Grund - ganz und gar ausgelassen. Nicht die destruktive Gewalt dieses Häusls (in seiner schnuckeligen Doofheit) haben sie an den Pranger gestellt, sondern nur, daß sie am »falschen« Ort geschieht. Wie hätten sie es auch wagen können, den Finger in die Wunde zu legen, wenn man das allwöchentliche Anzeigenvolumen kalkülisiert und weiß, daß sich rund 87% der ÖsterreicherInnen ein solches Häusl im Grünen erträumen. Hier stand die vollkommene Täuschung als zusammengenagelter Traum vom Glück und schrieb auf wunderbare Weise den Satz »My home is my castle« ins Stadtbild.

Abstrakter betrachtet, könnte man den aufgebrochenen Konflikt als ökonomischen Verteilungskampf deuten. Auf der einen Seite die produktiven Kräfte, welche die Ressourcen verwerten, also die Klasse der Bodenbesitzer, der Investoren, der Banken und der Baulobby, die um Anerkennung und daher Repräsentation im Stadtbild ringen. Auf der anderen Seite die Kaste der Reproduktion, der Verwertung des Gegebenen, mit dem Tourismus als leitendem Wirtschaftszweig. Die coupartig überraschten Akteure der zweiten Gruppe reagierten heftig, weil sie ihre wirtschaftliche Basis bedroht sahen. Die kurzfristig wankende Ordnung wurde schnell wieder hergestellt. Der Sturm ist gelegt.