juni 1996

Mario Jandrokovic

Die Holzhammer-Aufklärung

Ein Power-Drink macht das brisante Thema »H.I.V.-positiv« zum Markenzeichen. Marketing, das zumindest moralisch immun machen sollte

Es ist wohl eine Frage des Geschmacks, und zwar gar nicht mal so sehr diejenige, ob man bei einem heftigen Energieschub aus der Dose auf das Flair von Blutorangen anspricht oder nicht. Die AIDS-Hilfe Salzburg hat jedenfalls keinen Geschmack gefunden am »positiven« power drink namens »H.I.V.« (dem auch ein Kondom mit demselben Brisanz-Design beigelegt ist) und hat daher das Angebot der Getränkvermarkter dankend abgelehnt, vom Opferstock mit Blutorangengeschmack mitzunaschen. Diese haben sich zwar bereiterklärt, einen Schilling pro verkaufter Dose für gute Zwecke abzuzwacken, doch hat die AIDS-Hilfe Salzburg - wie auch Schwesternvereine in anderen Bundesländern - das Marketingkonzept, das mit solch geballter Ladung an gewagter vordergründiger Hintergründigkeit auffährt, nicht besonders goutiert; im großen und ganzen die betroffene Klientel auch nicht, wie von der Salzburger AIDS-Hilfe versichert wird.

Von den insgesamt sieben Landesorganisationen in Österreich, deren MitarbeiterInnen Informations-, Präventiv- und für Betroffene Betreuungsarbeit leisten, ist bisher alleinig die AIDS-Hilfe Wien dem Pragmatismus des Schillings gefolgt, nicht ohne einen Seitenhieb nach Salzburg, wo die AktivistInnen in ihrem Informationsmagazin »plusminus« sowie mittels eines LeserInnenbriefes an die Salzburger Nachrichten auf Distanz gingen zur polternden Corporate Identity, die im Namen eines meist tödlichen Virus und unter dem Vorzeichen der guten Tat operiert; der Wiener Obmann witterte bei seiner KollegInnenschaft in der Mozartstadt »katholische« Vorgehensweise.

Die Brisanz des Themas AIDS zeichnet sich nicht zuletzt schon daran ab, daß sich die Argumentationen pro und contra des Energy-Drinks nur schwer der Sphäre des Moralischen zu entziehen vermögen. Dabei bleibt jedoch der kleine Unterschied, ob sich das »Moralisieren« aus dem Anspruch an sich selbst ableitet, Verantwortung zu tragen, oder ob »Moral« ein praktisches Mittel ist, sich gegen Kritik zu immunisieren, nachdem man nachweislich die bessere Moral vorweisen kann. Im Falle der Firma mit dem umstrittenen Produkt ist der moralische Vorsprung vor allem schon mit 400 Tausendern quantifizierbar, die über den Drink seit November des Vorjahres als finanzielle Hilfe in Sachen AIDS aufgebracht worden sind. Alexander Rummel, einer der Initiatoren des »World Life Project«, jener Organisation, die mit Hilfe des Drinks viel Gutes tun will, findet es von demher »verantwortungslos«, wenn die örtliche AIDS-Hilfe zugegebenermaßen nicht überflüssiges Geld ausschlage.

Siegfried Hetz von der besagten Salzburger Organisation lehnt einfach den Schulterschluß ab, der mit dem Schillingangebot verbunden ist: »Ich weiß nicht, ob es im Sinne des Themas ist, jedes Geld anzunehmen.« Vor allem schätzt er nämlich soviel an brisantem Wortspiel, wie es eine Alu-Dose samt Kondom gerade noch tragen kann, eher als kontraproduktiv ein: »Prävention heißt vor allem auch die mühsame Arbeit, gegen festgefahrene gutbürgerliche Meinungen anzuarbeiten und vor allem bei Betroffenen dafür zu sorgen, daß vor dem physischen Tod nicht der soziale kommt. Der Drink ist dazu nicht geeignet, weil er sich mit Marketingkonstruktionen drübermogelt über das, was ursprünglich im Konzept als Prävention angeführt war. Ernsthafte Auseinandersetzung wird dabei eher verhindert als gefördert. Bei vielen Leuten ruft der Name auch einfach Verunsicherung hervor.«

Tatsächlich bleibt die Gretchen- oder auch Benetton-Frage, ob die Signale gesellschaftlich überaus problematischer und heikler Angelegenheiten, wie es eben das Virus namens »H.I.V.« eine ist, nicht nur noch als Stoff für Schmähs übrigbleiben, wenn diese Signale als handelbare Etiketten im Umlauf sind. Kann der Marketing-Holzhammer zur Sensibilisierung beitragen? Alexander Rummel betrachtet ihn als Notwendigkeit: »Als wir uns überlegt haben, wie mit diesem Thema umgegangen werden kann, haben wir uns für einen Konsumartikel entschieden, der immer verwendet wird. Außerdem werden solche Drinks gerade an jenen Plätzen eingenommen, wo sich Leute kennenlernen und die so eine Basis für AIDS-Risiko sind.«

In der Namensgebung haben sie sich für den harten, offensiven Slogan durchgerungen, da dieser wachrüttelt. Ob dieses Rütteln nun tatsächlich Diskussionen nach sich zieht oder sich bloß auf ein besonders lautes Klappern beschränkt, das bekanntlich zum Handwerk gehört, ist schwer zu sagen. Die Firma unterstützt derzeit jedenfalls zusätzlich Selbsthilfegruppen und hat für Spätsommer ein Projekt am Wallersee (und später am Mondsee) in Angriff genommen, bei dem sich KünstlerInnen mit dem Thema AIDS auseinandersetzen werden. Bleibt zu hoffen, daß diese Geste mit künstlerischem Rahmen nicht bloß zum versöhnlichen Gesellschaftsereignis nach Art der Lichterketten wird: Denn dann könnte sich »H.I.V.« allzu leicht bloß als ein weiteres Produkt auf einem heiß umkämpften Markt zu erkennen geben - einem Markt, wo sogar Margarinestimme Dominic Heinzl mit publicityträchtiger Anbiederung an die F versuchte, seine »Blaue Sau« unter Gleichgesinnten auszubreiten. Der Schulterschluß, den »H.I.V.« betreibt, könnte fraglos ein fruchtbarer sein. Allerdings schwer zu sagen, inwieweit der Zweck die Mittel heiligt.