juni 1996

Anton Gugg
titel

»Augenmaß für das Machbare«

Wolfram Morath, der neue Direktor des Museum Carolino Augusteum, ist um sein Salzburger Engagement wahrlich nicht zu beneiden

Nach fast zwei Jahren lustloser Lösungs-Verschleppung bei der Besetzung der Spitzenposition im Salzburger Museum Carolino Augusteum konnte jetzt endlich weißer Rauch aus dem Kamin der politischen Entscheidungsstube aufsteigen: Endlich haben wir einen neuen Museumsdirektor, einen jungen Deutschen noch unterhalb der Vierzig, einen - wie man hört - hochseriösen Pragmatiker, der unter anderem mit dem sympathischen Vorschlag aufwartete, zur Erhöhung der Arbeits-Effizienz das strenge Beamtendienstzeit-Schema an seinem künftigen Haus zu lockern. Wolfram Morath soll ab erstem September vorerst einmal für fünf Jahre die Geschicke des SMCA lenken und für einen Salzburger Museumsfrühling sorgen - vorausgesetzt, das Veto eines freiheitlichen städtischen Kulturjüngers blockiert nicht weiter das geforderte politische Einheits-Willkomm bei der Bestellung eines Museums-Hausherrn.

Um den Erweckungskuß des neuen Museums-Prinzen auf die bleiche Wange des verstaubtesten aller heimischen Kultur-Dornröschen ist Morath keineswegs zu beneiden. Jedermann erwartet sich jetzt ein Museumsfest, wobei besonders die auf einen musealen Aufschwung erpichten Stadt- und Landespolitiker mit Kulleraugen auf die Leistungssteigerungen des fußlahmen »Heimatmuseums« starren werden. Jahrzehntelang wurde der flaue Pulsschlag des Stadt-/Land-/Geschichts-/Kunstmuseums bedauert, das sowohl der einheimischen Bevölkerung als auch den Politikern so wenig wirklich ans Herz wachsen will. Die beachtlichen Besucherzahlen des SMCA resultieren stark aus dem Zustrom zum tourismusüberlaufenen Burgmuseum auf der Festung, und was die Mächtigen in Stadt und Land bis jetzt zur dringlichen Erweiterung und baulichen Neugestaltung des häßlichen Sechzigerjahr-Nutzbaus am Franz Josephs-Kai getan haben, ist über vage Skizzen und obskure Vorschläge wie der Unterbringung der Bestände im Dachgeschoß eines neuen Kommerztempels an der Stadtkino-Örtlichkeit nicht hinausgewachsen.

Museum, das ist in der angeblichen Kulturmetropole Salzburg, in der die Höchstkulturmegafabrik der Festspiele ihre verderblichen Schlagschatten auf das Umfeld der Ganzjahresaktivitäten wirft, vor allem etwas zum Verstecken, Abschieben und Aushungern. Niemals wurde dem SMCA von den Politikern echte Bedeutung zugestanden, stets war nur von einigen Glanzstücken in minder wichtigen Sammlungen die Rede. Im Grunde war und ist die Dokumentation der gewachsenen Kunst-Geschichte den heimischen Polit-Lenkern ein unangenehmes Geschichts- relikt, das man am besten auf dem Dachboden weiterdämmern läßt. Was heute Politikergehirne ausschließlich krankhaft reizt, sind Besucherquoten und Sensationsausstellungen aus dem Fundus der teuren, möglichst klassischen Moderne, die weltweit jedermann kennt und mit deren berühmtesten Namen jedermann seinen kulturellen Standard glaubt nachweisen zu müssen. Kulturbewußtsein trägt den begehrtesten Kunstversand-Stempel »Guggenheim«, und Monet in Wien oder sonstwo muß der geeichte Kultur-Plauderer einfach gesehen haben, und seien es die mittelmäßigsten Bilder, von denen sich Leihgeber heute noch trennen.

Standort-Kunst hat einfach keinen Wert, Aufpropfung von »Allerwelts-Kunst«, und sei es die allerbeste und unantastbarste, ist überall angesagt. Nur so ist es erklärbar, daß auf höchster Ebene laut überlegt wird, ob die Residenz für die immerhin beachtlichen Bestände der dortigen Gemäldegalerie nicht doch ein zu nobles Gehäuse sei. Was im Vergleich zu anderen Kollektionen auch in Österreich mittelrangig sein mag, wird von Führungskräften noch kleiner gemacht, und fast scheint es so, als ob man sich für die »Kunstreste« der über die Jahrhunderte durch Herrscher und politische Entwicklungen zusammengerafften Bestände noch geniert.

Symptomatisch für die negative Einstellung zur Salzburger Kunst und dem Widmungsmuseum sind »Kleinigkeiten« wie die Tatsache, daß der Kulturreisende meist vergebens nach einem Werk des bedeutendsten hier ansässigen Künstlers, des Malers Anton Faistauer, Ausschau hält. Sonderausstellungen sind eben einmal wichtiger als die Hauptwerke des überragenden Salzburger Meisters. Nicht weniger entlarvend für den Salzburger Museums-Minderwertigkeitskomplex ist die »hingenommene« a-priori-Abrechnung aller fünf finalen Kandidaten mit dem Salzburger Museum. Offenbar hat die Findungskommission - ein nicht gerade museumskompetenter BeamtInnenkreis unter der Führung des Innsbrucker Museumsmannes Gert Amman - vom künftigen Direktor nichts anderes erwartet als die Negativ-Einschätzung der Salzburger Institution.

Reichlich sonderbar mutet auch die Beengung des Entscheidungs-Horizontes an, die sich das Gremium selbst auferlegt hat. Wurde bereits in der Ausschreibung vor einem Jahr keinerlei Beziehung der Kandidaten zu Salzburg gefordert, so hat man im Auswahlverfahren selbst alle durchaus diskutablen Salzburger Bewerber rigoros ausgeschlossen. Das SMCA wurde auch erst gar nicht um seine Wünsche und Anliegen gefragt, aus dem Kreis von knapp 30 Interessenten wurden dann unter anderem zum »Vorsingen« geladen: ein Museumspädagoge aus Bonn, der Leiter eines Rittermuseums aus Bad Mergentheim und der Wiener Ausstellungsmacher Klaus Albrecht Schröder, seines Zeichens erfolgsverwöhnter Leiter des Kunstforums auf der Wiener Freyung, der allerdings bis vor kurzem mit dem neuen Bank Austria-General Gerhard Randa nicht gerade im Zungenkuß gelegen war; noch im April des Vorjahres kursierten Gerüchte über eine mögliche Kündigung des »Zampano«, der freilich stets sein Desinteresse an einer Übersiedlung an die Salzach betont hatte. Schröders Meriten zur Ankoppelung der Wiener Ausstellungsszene an den internationalen Kreislauf hochkarätigster Klassiker-Präsentationen sind unbestritten, machen aber als offenbar politisch gewünschte Vorgabe für ein neues Salzburger Museumskonzept mehr als stutzig. Abgesehen von der hohen Wahrscheinlichkeit, daß man in Salzburg dem beliebten Bewerbungskarussell von Spitzenfachleuten und Managern aufgesessen ist und obendrein vor den horrenden Gagenforderungen des unverschämten »Job-Hoppers« kapitulieren mußte, stimmten Schröders forsche Statements zur konkreten Salzburger Situation bedenklich. Wörtlich sprach der Starmanager vom hiesigen minder effizienten Museums- und Ausstellungswesen für »Sekten«, also für nicht ganz voll zu nehmende Minderheiten. Überflüssig hinzuzufügen, daß eifrige Marktforschung alle Projekte zu eliminieren gehabt hätte, die ein erwartetes Besucheraufkommen von 40.000 unterschreiten. Und das womöglich als kultur- und ausstellungspolitischer Grundsatz eines musealen Salzburger »Generalmusikdirektors«, den Schröder gerüchteweise hätte verkörpern sollen. Das Schicksal war jedoch gütig und hat Salzburg ein Zentralorgan mit »Großausstellungs-Syndrom« erspart und entgegen der ursprünglichen Manager-Überlastigkeit im Anforderungsprofil einen seriösen Wissenschafter mit Augenmaß für das Machbare beschert. Morath, der als Kodirektor des Saarbrückener Museums in Verwaltungsdingen Erfahrung gesammelt hat, ist Spezialist für niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Nicht gerade ein wissenschaftliches Nachbarschaftsverhältnis zur spätgotischen Salzburger Plastik, die den Sammlungs-Hauptgegenstand bildet und weiterhin der Bearbeitung harrt. Ein »Muß« für den neuen Direktor, der mit seiner neuen Würde auch den sehr spezifischen Forschungsbereich vom verstorbenen Leiter Albin Rohrmoser geerbt hat, jenem vielgescholtenen Hausherrn, der ohne viel Aufhebens gegen den engstirnigen Willen des Museums-Verwaltungsrates mehr als einmal eine sehenswerte Ausstellung durchdrückte und mit persönlichem Risiko durchführte.

Wolfram Morath ist um sein Salzburger Engagement nicht wirklich zu beneiden. Er wird die Kunst des Spagats trainieren müssen, um nicht zwischen einem Null-Budget und den allgemeinen Erwartungen eines Aufschwunges zerrissen zu werden. Ganz zu schweigen von den Frustrationen, die durch einen endlosen Arbeitsrechtsstreit in der beinahe völlig lahmgelegten Restaurierwerkstätte und die schwindenden Aussichten auf einen Museumsneubau ausgelöst werden. Nicht einmal die längst durchgeplante Neuordnung des publikumsträchtigen SMCA-Festungsmuseums ist bis jetzt in Angriff genommen worden. Auch nicht gerade viel Hoffnung auf ein umfassendes, in jeder Hinsicht repräsentatives Stadt-/Land-Museum dürfte der jüngste Vorschlag auslösen, die wichtigsten Exponate in das Residenz-Neugebäude zwecks attraktiver Repräsentation umzusiedeln. Gute Nacht dem Museum, das Filetstück-Servierern in die Hände fällt, die den »Rest« der ungeliebten Angelegenheit vollends im Schlaf des Vergessens entsorgen wollen.

Das SMCA ist wie jedes andere Museum dieser Ausrichtung kein Vorwand für einen noch so glanzvollen Kunsthallenbetrieb, dem jeder andere Aspekt der Forschung und der Dokumentation zum Opfer zu fallen hat. Was jedoch keineswegs gegen eine Einrichtung spricht, über die inzwischen jede mittlere Stadt verfügt.

Die Kulturmetropole Salzburg nennt zwar die beste Konzertsaal-Akustik der Welt ihr eigen, aber es ist nach wie vor unmöglich, Weltkunst außerhalb provinzieller Bedingungen zu zeigen. Auch Guggenheim-Träume sind weiterhin apart, solange sie nichts Benachbartes ersticken. Inzwischen droht da aber keine Gefahr mehr, seit die Politiker der Industriestadt Bilbao mehr Kultur-Mumm bewiesen haben als die vereinigten Großsprecher der Kulturnation Österreich.